Schlüsselkompetenzen der Nachhaltigkeit für Führungspersonen in der Weiterbildung
Dieser Beitrag fokussiert auf die Rolle von Führungspersonen bei der Förderung der gesellschaftlichen Transformation in Richtung Nachhaltigkeit. Die notwendigen Kompetenzen werden anhand verschiedener Kompetenzmodelle der Nachhaltigkeit dargestellt. Diese theoretischen Ansätze werden mit empirischen Erkenntnissen verknüpft, um praxisnahe Impulse für die Weiterbildung zu liefern. Dafür werden die Ergebnisse einer Interviewstudie mit Verantwortungsträger*innen vorgestellt, die aufzeigen konnte, dass die Verknüpfung von Kompetenzen wie systemischem Denken, wertebasiertem Entscheiden und interdisziplinärer Zusammenarbeit entscheidend ist. Darüber hinaus sind der Umgang mit Unsicherheit, die Entwicklung eines eigenen Wertegerüsts und der Aufbau von Resilienz zentral für Führungskräfte.
1 Einleitung
Aktuelle und zukünftige Herausforderungen – wie Klimawandel, Ressourcenübernutzung und Biodiversitätsverlust sowie die Zunahme von sozialen Ungleichheiten, Armut und Hunger – beeinflussen Ökosysteme und Gesellschaften weltweit (IPCC, 2023; United Nations General Assembly, 2015). Viele dieser Herausforderungen liegen im Bereich der planetaren und sozialen Belastungsgrenzen, wobei sieben von acht Bereichen (zusätzlich zu den oben genannten: u.a. Verschmutzung durch neuartige Chemikalien, Süsswasserverbrauch, Aerosolverteilung in der Atmosphäre) bereits überschritten sind (Rockström et al., 2023). Das Überschreiten dieser Grenzen gefährdet das Überleben der Menschheit und des Planeten und erfordert tiefgreifende Veränderungen in Form einer wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Transformation zur Nachhaltigkeit (Rockström et al., 2023; Steffen et al., 2015). Dafür wird, besonders auch im Hinblick auf das globale Ziel der Agenda 2030, schnelles und weitreichendes Handeln hin zu einer sozio-ökologisch nachhaltigen Gesellschaft verstärkt gefordert (BMZ, 2023; UNESCO, 2021; United Nations General Assembly, 2015). Der (Weiter-)Bildung und dabei speziell der Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) kommt auf diesem Weg eine wichtige Aufgabe zu. BNE soll Kompetenzen der Lernenden fördern, um globale Herausforderungen der Gesellschaft im 21. Jahrhundert zu verstehen und die gesellschaftliche Transformation mitzugestalten (éducation21, 2018; UNESCO, 2017). Schulen und Weiterbildungseinrichtungen können wesentlich dazu beitragen Nachhaltigkeitskompetenzen zu entwickeln, zu vertiefen und praxisnah anzuwenden.
Führungspersonen in der Weiterbildung tragen dabei eine Schlüsselrolle, um nachhaltige Strategien in ihrer Organisation zu entwickeln und umzusetzen. Sie stehen somit vor der Herausforderung, ökonomische, ökologische und soziale Aspekte der Nachhaltigkeit zu integrieren und nachhaltiges Wirtschaften als Kerngedanke in allen Bereichen der Organisation zu verankern (BMU, 2008).
Dieser Beitrag hat das Ziel, das wissenschaftliche Verständnis der notwendigen Nachhaltigkeitskompetenzen für Weiterbildungsorganisationen zu vertiefen (Kap. 2). In diesem Zusammenhang werden Erkenntnisse eines empirischen Forschungsprojekts vorgestellt, welches die erforderlichen nachhaltigkeitsrelevanten Kompetenzen untersucht, die Verantwortungsträger*innen in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft als notwendig für nachhaltige Entscheidungen erachten (Kap. 3). Die Ergebnisse können auf die Leitung von Bildungsorganisationen übertragen werden und zur Förderung von Nachhaltigkeitskompetenzen in der Erwachsenenbildung beitragen (Kap. 4).
2 Nachhaltigkeit und BNE in der Weiterbildung
Die Relevanz von BNE zur Bewältigung komplexer Nachhaltigskeitsherausforderungen ist heute in vielen Bildungssystemen und landesweit in allen Bildungsformen anerkannt (Michelsen et al., 2015; Wilhelm & Rinaldi, 2023). BNE hat das Ziel, Lernende beim Treffen nachhaltiger Entscheidungen zu unterstützen und sich verantwortungsvoll für Naturschutz, eine stabile Wirtschaft und Gerechtigkeit für heutige und kommende Generationen einzusetzen (UNESCO, 2017). Nachhaltigkeitskompetenzen sind dafür unerlässlich und werden beschrieben als Fähigkeiten, Fertigkeiten und Einstellungen, die Individuen befähigen, komplexe Nachhaltigkeitsherausforderungen kritisch zu analysieren und durch verantwortungsvolle, langfristig orientierte Entscheidungen zu bewältigen (Rieckmann, 2018; UNESCO, 2017; Wiek et al., 2011). Dabei spielen die täglichen Entscheidungen jedes Einzelnen – sog. private sphere actions – eine Rolle, makroskopische Entscheidungen – sog. public sphere actions – von leitenden Personen haben jedoch weitreichendere Auswirkungen auf Umwelt und Gesellschaft (Kranz et al., 2022; Niebert, 2021; Stern, 2000). Führungspersonen selbst sollten also über fundierte Nachhaltigkeitskompetenzen und ein tiefgehendes, kritisches Verständnis von nachhaltiger Entwicklung verfügen, um dieses innerhalb ihrer Organisation und bei Mitarbeitenden erfolgreich zu fördern und zu entwickeln. Im folgenden Abschnitt werden zentrale nationale und internationale Nachhaltigkeitskompetenzmodelle vorgestellt, die als Orientierungshilfe dienen können.
Überblick: Kompetenzmodelle der Nachhaltigkeit
In den letzten zwei Jahrzehnten sind zahlreiche Kompetenzmodelle entstanden, die Menschen darauf vorbereiten sollen, komplexe Nachhaltigkeitsherausforderungen partizipativ, kooperativ und zielorientiert zu bewältigen (s. Übersicht Tabelle 1). Zur vertiefenden Literatur können die in Tabelle 1 dargestellten Kompetenzmodelle dienen, die im darauffolgenden Abschnitt in Kürze erläutert werden.
Im deutschsprachigen Raum prägte lange Zeit das Modell der «Gestaltungskompetenz» von de Haan (2008) die Diskussion, welches darauf abzielt, eigenverantwortliches Handeln und Mitgestalten im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung zu fördern. Pellaud und Kolleg*innen entwickelten darauf aufbauend jüngst eine Typologie, die von éducation21 aufgenommen wurde und besonders auf die schulische Bildung (Sek. I und II) in den verschiedenen Sprachregionen der Schweiz ausgerichtet ist (éducation21, 2023; Pellaud et al., 2021). Auf europäischer Ebene stellt der Kompetenzrahmen GreenComp der EU einen strategischen Ansatz dar, der BNE im Sinne ökologischer Nachhaltigkeit unterstützen und eine breite Zielgruppe in allen Bildungsbereichen ansprechen soll (Bianchi et al., 2022). Auf globaler Ebene wiederum brachte die UNESCO ein Kompetenzmodell heraus, das an den globalen Zielen der nachhaltigen Entwicklung ausgerichtet ist und neben allen Bildungsstufen auch die Öffentlichkeit adressiert (UNESCO, 2021).
Besonders interessant für die Weiterbildung ist der «Rounder Sense of Purpose»-(RSP-)Kompetenzrahmen, der für pädagogische Fachkräfte in allen Bildungsbereichen entwickelt wurde, mit dem Ziel, einen praxisorientierten Rahmen für Lehrkräfte in der Primar- bis Erwachsenenbildung zu schaffen (Millican, 2022). Pädagog*innen und Multiplikator*innen sollen ermutigt werden, eine handlungsorientierte, transformative Pädagogik sowie kreative, kritische Denk- und Handlungsprozesse anzuregen (RSP, 2019; Vare et al., 2022).
In diesem Beitrag und bei der vorliegenden Studie liegt der Fokus auf den fünf Schlüsselkompetenzen der Nachhaltigkeit, die von Wiek et al. (2011, 2015) als akademisches Rahmenmodell vorgestellt und spezifisch für die Hochschulbildung entwickelt wurden. Diese Arbeiten werden als fundamentaler Beitrag im Bereich der Nachhaltigkeitskompetenzen betrachtet (Brundiers et al., 2021; Bianchi, 2020) und häufig zitiert (3177 Google Scholar Zitate, 5.9.2024). In den letzten Jahren wurde dieses Modell immer wieder aufgegriffen und weiterentwickelt (Brundiers et al., 2020; Redman & Wiek, 2021).
3 Einblick in die empirischen Ergebnisse: Wie zeigen sich die Kompetenzen bei Personen in leitenden Positionen in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft?
Das Ziel der Studie war es herauszufinden, welche Nachhaltigkeitskompetenzen Führungspersonen benötigen, um Entscheidungen im Bereich der Nachhaltigkeit mit gesellschaftlichen Auswirkungen zu treffen. Dafür wurden qualitative Interviews mit 14 Verantwortungsträger*innen (w=6, m=8) aus Wirtschaft (z.B. CEOs von Unternehmen, Gewerkschaften), Politik (z.B. Regierungsmitglieder, umweltpolitische Sprecher*innen) und Gesellschaft (z.B. Vorsitzende von NGOs, Kulturorganisationen) im deutschsprachigen Raum geführt, die täglich nachhaltigkeitsrelevante Entscheidungen treffen. Die Interviews wurden semistrukturiert entlang eines Interviewleitfadens geführt und fanden zwischen September 2021 und August 2022 hauptsächlich in Videokonferenzen, teils auch vor Ort statt. Alle Interviews enthielten die gleichen Schlüsselfragen und Themenbereiche, wobei die Länge nicht vorgegeben wurde und durchschnittlich bei 52 Minuten lag. Die Daten wurden inhaltsanalytisch nach Mayring (2022) ausgewertet, wobei u.a. die fünf Nachhaltigkeitskompetenzen von Wiek et al. (2011) als deduktive Kategorien dienten.
Im Folgenden wird ein Einblick in die Ergebnisse entlang dieser fünf Kompetenzen – systemischen Denken, antizipatorische Kompetenz, normative Kompetenz, strategische Kompetenz und interpersonelle Kompetenz (englisch im Original: systems thinking, anticipatory, normative, strategic und interpersonal competence) – gegeben und anhand von Zitaten exemplarisch aufgezeigt sowie die wesentlichen Aspekte zusammengefasst. Die Zitate wurden redigiert und sind mit anonymisierten, von den Interviewpersonen selbst gewählten Pseudonymen sowie der Position im Interview-Transkript versehen (z.B. Sonne, 11).
Systemisches Denken meint die Fähigkeit zur Analyse komplexer Systeme in verschiedenen Bereichen (Gesellschaft, Wirtschaft, Umwelt), auf verschiedenen Ebenen (lokal bis global) und unter Einbezug verschiedener Disziplinen (interdisziplinär) (Wiek et al., 2011). Systemdenken wird in den Interviews in vielfältiger Hinsicht deutlich und wird von den Befragten als besonders wichtig betont. Sie heben hervor, dass Nachhaltigkeitsentscheidungen stets mit einer internationalen sowie interdisziplinären Perspektive betrachtet werden sollten, um Auswirkungen in sozialer, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Hinsicht angemessen zu berücksichtigen (Erna, 114). Das folgende Zitat von Agatha – einer Lobbyistin für den ökologischen Landbau – unterstreicht, wie wichtig es für Verantwortungsträger*innen sei, interdisziplinäres Denken, verschiedene Systeme und Wissen an Systemgrenzen einzubeziehen. Sie verdeutlicht dies mit Kreisläufen und Energiebilanzen:
«Würde man die Bodenfruchtbarkeit rein chemisch betrachten und die biologischen Aspekte ausser Acht lassen, müsste man die Felder nur mit Stickstoff düngen. Alles würde wachsen. Aber was würde mit dem Boden passieren? Und wie viel Energie wird eigentlich für die Herstellung von Stickstoffdünger benötigt?» (Agatha, 15)
Andere Interviewpersonen unterstreichen, wie wichtig es für sie sei, den Kern des Problems zu identifizieren, die Zusammenhänge greifen zu können, ohne gleichzeitig alle Details verstehen zu müssen.
Antizipatorische Kompetenz definiert die Fähigkeit, vorrausschauend zu denken und Zukunftsszenarien mit vielfältigen potenziellen Auswirkungen entwickeln zu können (Wiek et al., 2011). Fischer – CEO einer Energieagentur – betont, dass besonders das Wissen über erfolgreiche Problemlösestrategien der Vergangenheit wichtig sei, um zukünftige Entwicklungen vorherzusagen (14). Dies schliesse ein, dass verschiedene Zeitskalen unterschiedlicher Systeme berücksichtigt werden müssen und die begrenzte Vorhersagbarkeit aller Szenarien akzeptiert werden solle. Buchholz – Präsident eines deutschen Bundesamtes – weist ausserdem auf die komplexe soziale und wirtschaftliche Dynamik hin, die bei der Zeitplanung verschiedener Szenarien berücksichtigt werden müsse (s. Zitat strategic competence). In diesem Zusammenhang thematisiert Bornholm – CEO eines Energieunternehmens, dass in einer von komplexen Systemen und Ungewissheiten geprägten Welt sicheres Handeln immer bedeutender wird:
«Auch in Zukunft wird es äusserst wichtig sein, unter Unsicherheit zu handeln. Niemand kann heute sagen, wie das System im Jahr 2050 aussehen wird. Wir versuchen immer, eine solche Scheingenauigkeit für 2050 zu bestimmen, aber ich denke, das ist unmöglich.» (Bornholm, 45)
In diesem Zusammenhang weist Pinni – Redakteurin einer grossen Wochenzeitung – darauf hin, dass alle Szenarien eine begrenzte Vorhersagekraft haben und Verantwortungsträger*innen Optimismus und Offenheit gegenüber Veränderungen benötigen, um auch die Endlichkeit der auf Wachstum ausgerichteten Welt akzeptieren zu können (Pinni, 79).
Normative Kompetenz bezieht sich auf die Werte und Normen, die das eigene Handeln leiten (Wiek et al., 2011). 8 von 14 befragten Führungspersonen heben reflektierte Werte als zentral für ihre Entscheidungsprozesse hervor. Diese werden oft nicht explizit genannt, sondern indirekt deutlich in Metaphern wie «Kompass», «Wertegerüst» und «Koordinaten», die den Entscheidungsprozess lenken (Buchholz, 44; Erna, 54; Fischer, 37). Entscheidend scheint dabei das Bewusstsein über die eigenen Werte in Bezug auf Nachhaltigkeit und deren Einfluss auf das Handeln zu sein (Pinni, 73). Die Interviewpersonen betonen, dass etablierte und reflektierte Werte als Orientierungsrahmen für nachhaltige Entscheidungen dienen. Allerdings können solche Entscheidungen auch Kompromissbereitschaft erfordern, wenn sie nicht vollständig mit den eigenen Werten übereinstimmen (Schmidt, 9–13). Fischer unterstreicht zudem die Notwendigkeit, im Einklang mit einem festen persönlichen Wertesystem zu handeln und sich nicht von Emotionen beeinflussen und lenken zu lassen:
«Gerade im Hinblick auf die schockierenden Prognosen der Klimawissenschaft ist es wichtig, ruhig zu bleiben und nicht jedem Impuls nachzugeben. Weltuntergangsgedanken sind kontraproduktiv und nicht hilfreich, um weiterzukommen.» (Fischer, 72)
Herausforderungen sollten somit nicht als Hindernisse, sondern als Chancen für Veränderungen und Innovationen betrachtet werden. Um handlungsfähig zu bleiben, sei es entscheidend, eine optimistische Grundhaltung zu bewahren und verschiedene Handlungsoptionen zu entwickeln (Pinni, 73). Der Aufbau von Resilienz sowie Vertrauen in Wissenschaft und Gesellschaft scheinen dabei als zentrale Faktoren zu gelten. Diese persönlichen Eigenschaften können strategisches Denken unterstützen und ermöglichen die Erarbeitung von positiven Gegenszenarien (Sonne, 37).
Strategische Kompetenz im Kontext der Nachhaltigkeit bedeutet, dass strategisches Handeln darauf abzielen sollte, die Rahmenbedingungen von Wirtschaft, Politik und Gesellschaft innerhalb der planetaren Grenzen zu gestalten, wobei ökologische Aspekte über sozialen und ökonomischen stehen (= starke Nachhaltigkeit). Menschen mit ausgeprägter strategischer Kompetenz arbeiten kontinuierlich daran, gemeinsame Ziele zu erreichen. Die Interviewpersonen bemühen sich, die Dynamik des Systems zu verstehen und ihre Entscheidungen und Handlungen entsprechend anzupassen (Fischer, 116). Dabei sind sie sich der Herausforderungen und Hindernisse bewusst, die den gesellschaftlichen Wandel verzögern. Buchholz betont, dass es nicht nur darum geht, die natürlichen Systeme zu verstehen, sondern auch die komplexe Dynamik demokratischer Entscheidungs- und politischer Transformationsprozesse:
«Naturwissenschaftler*innen haben oft ein falsches Verständnis davon, wie lange es dauert, bis ihre Erkenntnisse zu Massnahmen in der Gesellschaft führen. Ein befreundeter Naturwissenschaftler beklagte sich, dass in den letzten 30 Jahren nichts passiert ist. ‹Wir veröffentlichen ständig Berichte über den Klimawandel, aber in der Politik und in der Wirtschaft wird niemand aktiv.› Dem widerspreche ich entschieden, denn in Bezug auf die Art und Weise, wie die Menschen Probleme in der Technik wahrnehmen, hat sich so vieles geändert.» (Buchholz, 28)
Er betont die Bedeutung, unterschiedliche Zeitvorstellungen bei transformativen Prozessen zu berücksichtigen. Es sei wichtig anzuerkennen, dass tiefgreifende Veränderungen Zeit benötigen und nicht direkt radikale Umbrüche bewirken, sondern langfristig eine Grundlage für Wandel schaffen.
Interpersonelle Kompetenz bezieht sich bei den befragten Personen auf die umfassende Zusammenarbeit mit heterogenen externen wie internen Interessengruppen, die entscheidend für das erfolgreiche Management von Transformationen sind. Verantwortungsträger*innen in einflussreichen Positionen agieren selten allein, sondern arbeiten eng mit interdisziplinären Teams aus Expert*innen zusammen, die beratend zur Seite stehen, wie das folgende Zitat zeigt:
«Die Entscheidungsträger*innen der Zukunft sind alle Teil eines Systems, sei es ein Ministerium, ein Unternehmen oder eine Gewerkschaft. Und all diese Systeme haben Kompetenzen, die eine einzelne Person nicht bieten kann. Führungspersönlichkeiten müssen daher in der Lage sein, die Gruppendynamik zu verstehen und zu erkennen, wer vertrauenswürdig ist.» (Darth Vader, 47)
Erna (82) und Tschaikowski (103) betonen, dass die «Sprachlosigkeit» zwischen den Fachbereichen verhindert und gegenseitiges Verständnis und Vertrauen gestärkt werden müssen. Weitere Interviewpersonen unterstreichen, dass gerade in kontroversen Situationen Zusammenarbeit und der Austausch von Wissen und Ideen essenziell sei, um interdisziplinäre Netzwerke aufzubauen und verschiedene Akteuren zu erreichen. Dabei seien kommunikative Fähigkeiten entscheidend, um Strategien und Entscheidungen auf institutioneller Ebene zu vermitteln und die breite Öffentlichkeit zu überzeugen. Argumentationsstärke, Verhandlungsgeschick und Kompromissbereitschaft seien erforderlich, um gemeinsame Lösungen zu finden (Agatha, 29; Erna, 60). Besonders in der Politik hänge der Erfolg davon ab, komplexe Themen effektiv zu kommunizieren und überzeugend zu argumentieren, um Mehrheiten zu gewinnen (Emma, 19).
Eine zentrale Erkenntnis war, dass die Kompetenzen nie isoliert voneinander betrachtet, sondern immer verknüpft miteinander angewendet werden. Die vorgestellten Interviewausschnitte und Erkenntnisse sollen exemplarisch veranschaulichen, wie sich theoretische Schlüsselkompetenzen im Berufsalltag von Entscheidungsträger*innen zeigen können. Darauf aufbauend werden im nächsten Abschnitt Empfehlungen für die nachhaltige Gestaltung von Weiterbildungsorganisationen und -angeboten gegeben.
4 Ausblick: Wichtige Erkenntnisse und Implikationen für die Weiterbildung
Die umfassende Implementierung von BNE in alle Bereiche der Weiterbildung – wie Programme und Angebote, Organisationskultur, Führung und Management – bleibt eine anspruchsvolle Aufgabe (Holst, 2023). Ein ganzheitlicher Ansatz, wie der «Whole Institution Approach» könnte die Integration von BNE in alle Bereiche die Organisation vereinfachen (ebd.). Dadurch würde die Entwicklung von Nachhaltigkeitskompetenzen gefördert, indem BNE fest in die Kultur der Weiterbildungsinstitution eingebettet wird. Führungspersonen und Dozierende in der Weiterbildung spielen dabei eine Schlüsselrolle, da sie die Gestaltung von Programmen, Lernprozessen und der ganzen Organisation massgeblich beeinflussen. Entlang von Leitfragen sollen aufbauend auf den zentralen empirischen Erkenntnissen nun praxisorientierte Implikationen gegeben werden, um Führungspersonen bei der Integration von Nachhaltigeitskompetenzen in die Weiterbildung zu unterstützen:
1. Wie kann systemisches Denken im Weiterbildungskontext gefördert werden, um nachhaltige Bildungsprozesse zu ermöglichen?
Führungskräfte in der Weiterbildung sollten die Fähigkeit entwickeln, komplexe Zusammenhänge in ihrer Organisation und im weiteren Bildungsumfeld zu erkennen und zu analysieren. Dabei erfordern Nachhaltigkeitsentscheidungen, dass Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Systemen wie Bildung, Gesellschaft, Politik und Wirtschaft ganzheitlich verstanden werden, um nachhaltige Lösungen in die Bildungsarbeit zu integrieren.
Mögliche praktische Umsetzung:
- Einführung von interdisziplinären Projekten und Teams, die verschiedene Perspektiven zusammenbringen und den Austausch fördern
- Förderung der Zusammenarbeit zwischen den unterschiedlichen Fachbereichen, um systemische und vernetzte Denkansätze zu stärken
- Integration von Fallstudien und Praxisprojekten an Systemgrenzen, um systemisches Denken in der gesamten Organisation zu stärken
2. Wie kann die Resilienz einer Organisation gestärkt werden?
Nachhaltige Weiterbildungsorganisationen benötigen flexible Strukturen, die auf unvorhergesehene Herausforderungen reagieren können ohne die eigenen Nachhaltigkeitsziele aufzugeben. Strategisches Denken ermöglicht dabei, proaktiv Massnahmen zu ergreifen und Chancen zu nutzen.
Mögliche praktische Umsetzung:
- Entwicklung von langfristigen Strategien und Einplanen von unvorhersehbaren Krisenszenarien
- Etablieren von flexiblen Bildungsstrukturen
3. Wie kann sichergestellt werden, dass nachhaltige Werte in der Organisation verankert werden?
Nachhaltigkeit sollte nicht nur als Theorie vermittelt, sondern als Praxis in der Organisation vorgelebt werden. Führungspersonen sollten nachhaltige Werte kommunizieren, sie in Entscheidungsprozesse integrieren, diese im täglichen Handeln sichtbar machen und selbst als Vorbild dienen.
Mögliche praktische Umsetzung:
- Nachhaltige Werte im Leitbild der Organisation verankern
- Schulungen und Workshops für Mitarbeitende, um Werte in den Arbeitsalltag der Mitarbeitenden zu integrieren
4. Wie kann die interdisziplinäre Zusammenarbeit im Team und mit externen Partner*innen optimiert werden, um nachhaltige Bildungsziele zu erreichen?
Zusammenarbeit mit verschiedenen Teams intern wie auch mit externen Stakeholdern ist essenziell, um nachhaltige Lösungen zu entwickeln. Eine Vernetzung mit anderen Bildungsakteuren, Unternehmen und der Öffentlichkeit kann helfen, gegenseitig vom Wissen und den Ressourcen zu profitieren und gemeinsam an Projekten zu arbeiten.
Mögliche praktische Umsetzung:
- Aufbau von Partnerschaften mit anderen Organisationen, um Bildungsprogramme gemeinsam zu entwickeln
- Transparente, vertrauensvolle Kommunikation und regelmässige Dialoge mit allen beteiligten Akteuren und Stakeholdern, um Feedback und neue Impulse für nachhaltige Bildungsstrategien zu erhalten
Weiterführend kann es sich lohnen, folgende Fragen zur Reflexion und Anregung zu nutzen: «Sind die gängigen Nachhaltigkeitsmodelle (Tabelle 1) praxisnah genug, um in der Programmgestaltung nützlich zu sein?», «Welches der bestehenden Modelle könnte mir helfen, realistische Fortschritte auf dem Weg zu nachhaltigen Strukturen zu erzielen?» oder auch «Welche Kompetenzen sind bereits etabliert und wo gibt es noch Potenzial für neue Ansätze?» Die Auseinandersetzung mit diesen Fragen kann dazu beitragen, Weiterbildungsorganisationen und bestehende Konzepte zu überdenken und Strukturen zu schaffen, die eine nachhaltige Entwicklung unterstützen.
Datenverfügbarkeit: Bei weiterem Interesse an der Studie sind im Artikel Eberz et al. (2023) in der Zeitschrift «Sustainability» weitere Ergebnisse sowie die Liste der Interviewpersonen und der Interviewleitfaden zu finden.
Literatur
Bianchi, G. (2020): Sustainability competences. A systematic literature review. Publications Office of the European Union.
Bianchi, G., Pisiotis, U., & Cabrera Giraldez, M. (2022): GreenComp – der Europäische Kompetenzrahmen für Nachhaltigkeit. Publications Office of the European Union (EUR, 30955). https://data.europa.eu/doi/10.2760/161792
BMU. (2008): Nachhaltigkeit braucht Führung: Bewusst – kompetent – praxisnah.
BMZ. (2023): Agenda 2030: Halbzeitbilanz. Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. https://www.bmz.de/de/agenda-2030/halbzeitbilanz
Brundiers, K., Barth, M., Cebrián, G., Cohen, M., Diaz, L., Doucette-Remington, S., Dripps, W., Habron, G., Harré, N., Jarchow, M., Losch, K., Michel, J., Mochizuki, Y., Rieckmann, M., Parnell, R., Walker, P., & Zint, M. (2021): Key competencies in sustainability in higher education – toward an agreed-upon reference framework. Sustainability Science, 16(1), 13–29. https://doi.org/10.1007/s11625-020-00838-2
de Haan, G. (2008): Gestaltungskompetenz als Kompetenzkonzept der Bildung für nachhaltige Entwicklung. In: I. Bormann & G. de Haan (Hrsg.), Kompetenzen der Bildung für nachhaltige Entwicklung: Operationalisierung, Messung, Rahmenbedingungen, Befunde (S. 23–43). VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-90832-8_4
Eberz, S., Lang, S., Breitenmoser, P., & Niebert, K. (2023): Taking the Lead into Sustainability: Decision Makers’ Competencies for a Greener Future. Sustainability, 15(6), Article 6. https://doi.org/10.3390/su15064986
éducation21. (2018): Bildung für Nachhaltige Entwicklung und Gesundheitsförderung: Viel versprechende Verbindungen (S. 1–13). éducation21. https://www.education21.ch/sites/default/files/uploads/pdf-d/bne/dossiers_zugaenge/BNE_GF_DE_DEF.pdf
éducation21. (2023): Strategie 2019–2024. https://www.education21.ch/sites/default/files/uploads/pdf-d/e21_Strategiebericht_d_E_180820_2.pdf
Holst, J. (2023): Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE): Auf dem Weg in den Mainstream, doch mit welcher Priorität?
IPCC. (2023): AR6 Synthesis Report: Climate Change 2023. https://www.ipcc.ch/report/ar6/syr/
Kranz, J., Schwichow, M., Breitenmoser, P., & Niebert, K. (2022): The (Un)political Perspective on Climate Change in Education—A Systematic Review. Sustainability, 14(7), Article 7. https://doi.org/10.3390/su14074194
Mayring, P. (2022): Qualitative Inhaltsanalyse: Grundlagen und Techniken (13. Auflage). Beltz.
Michelsen, G., Grunenberg, H., Mader, C., & Barth, M. (with Greenpeace e.V). (2015): Nachhaltigkeit bewegt die jüngere Generation: Ergebnisse der bundesweiten Repräsentativbefragung und einer qualitativen Explorativstudie, Mai–Juli 2015. VAS.
Millican, R. (2022): A Rounder Sense of Purpose: Competences for Educators in Search of Transformation. In: P. Vare, N. Lausselet & M. Rieckmann (Hrsg.), Competences in Education for Sustainable Development: Critical Perspectives (S. 35–43). Springer International Publishing. https://doi.org/10.1007/978-3-030-91055-6_5
Niebert, K. (2021): Lessons learned from Covid-19: Why Sustainability Education needs to become political. Progress in Science Education, Vol. 4(No. 3), 6–14. https://doi.org/10.25321/prise.2021.1169
Pellaud, F., Shankland, R., Blandenier, G., Dubois, L., Gey, N., Massiot, P., & Gay, P. (2021): The Competencies That School-Leavers Should Possess in Order to Meet the Challenges of the 21st Century. Frontiers in Education, 6. https://doi.org/10.3389/feduc.2021.660169
Redman, A., & Wiek, A. (2021): Competencies for Advancing Transformations Towards Sustainability. Frontiers in Education, 6. https://doi.org/10.3389/feduc.2021.785163
Rieckmann, M. (2018): Die Bedeutung von Bildung für nachhaltige Entwicklung für das Erreichen der Sustainable Development Goals (SDGs). ZEP – Zeitschrift für internationale Bildungsforschung und Entwicklungspädagogik, 2018(02), 4–10. https://doi.org/10.31244/zep.2018.02.02
Rockström, J., Gupta, J., Qin, D., Lade, S. J., Abrams, J. F., Andersen, L. S., Armstrong McKay, D. I., Bai, X., Bala, G., Bunn, S. E., Ciobanu, D., DeClerck, F., Ebi, K., Gifford, L., Gordon, C., Hasan, S., Kanie, N., Lenton, T. M., Loriani, S., … Zhang, X. (2023): Safe and just Earth system boundaries. Nature, 619, 1–10. https://doi.org/10.1038/s41586-023-06083-8
RSP. (2019): A Rounder Sense of Purpose. https://aroundersenseofpurpose.eu/de/
Steffen, W., Richardson, K., Rockstrom, J., Cornell, S. E., Fetzer, I., Bennett, E. M., Biggs, R., Carpenter, S. R., de Vries, W., de Wit, C. A., Folke, C., Gerten, D., Heinke, J., Mace, G. M., Persson, L. M., Ramanathan, V., Reyers, B., & Sorlin, S. (2015): Planetary boundaries: Guiding human development on a changing planet. Science, 347(6223), 1259855–1259855. https://doi.org/10.1126/science.1259855
Stern, P. C. (2000): Toward a Coherent Theory of Environmentally Significant Behavior. Journal of Social Issues, 56(3), 407–424. https://doi.org/10.1111/0022-4537.00175
UNESCO. (2017): Education for sustainable development goals: Learning objectives. UNESCO.
UNESCO. (2021): Bildung für nachhaltige Entwicklung. Eine Roadmap. https://unesdoc.unesco.org/ark:/48223/pf0000374802.locale=fr
United Nations General Assembly. (2015): Transforming Our World: The 2030 Agenda for Sustainable Development. UN-General Assembly. https://sustainabledevelopment.un.org/post2015/transformingourworld/publication
Vare, P., Lausselet, N., & Rieckmann, M. (2022): Competences in Education for Sustainable Development: Critical perspectives.
Wiek, A., Bernstein, M. J., Foley, R. W., Cohen, M., Forrest, N., Kuzdas, C., Kay, B., & Withycombe Keeler, L. (2015): Operationalising competencies in higher education for sustainable development. In: M. Barth, G. Michelsen, M. Rieckmann, & I. Thomas (Hrsg.), Handbook of Higher Education for Sustainable Development (S. 241–260). Routledge.
Wiek, A., Withycombe, L., & Redman, C. L. (2011): Key Competencies in Sustainability. A Reference Framework for Academic Program Development. Sustainability Science, 6(2), 203–218. https://doi.org/10.1007/s11625-011-0132-6
Wilhelm, M., & Rinaldi, S. (2023): Pädagogische Hochschulen als Leitinstitutionen auf dem Weg zu einer Didaktik der Nachhaltigkeitswissenschaft – Fünf Thesen zu Bildung in nachhaltiger Entwicklung. In: P. Tremp (Hrsg.), Nachdenken über Lehrerinnen und Lehrerbildung – Anregungen zur Weiterentwicklung der Pädagogischen Hochschulen in der deutschsprachigen Schweiz. Aus Anlass des 20-Jahre-Jubiläums der Pädagogischen Hochschule Luzern. (S. 136–145). Pädagogische Hochschule Luzern. https://doi.org/10.5281/zenodo.10033437