02.12.2024
N°2 2024

Nachhaltigkeit in der Weiterbildung: Relevanz, Konzepte und Ansätze für die Erwachsenenbildung/Weiterbildung

Nachhaltigkeit ist zu einem ‹Mega-Thema› geworden, aber auch zu einem konstanten Gegenstand der Auseinandersetzung. Dabei sind Folgen mangelnder Nachhaltigkeit global unübersehbar. In diesem Überblicksartikel soll Nachhaltigkeit als Thema und Aufgabe von Erwachsenenbildung betrachtet werden. Dabei geht es auch und gerade um Fragen, wie sich Erwachsenenbildung hier positionieren und einbringen kann.

1 Einleitung

Während ich diesen Beitrag schreibe, gibt es – man muss es leider sagen – schon wieder verheerende Unwetter mit grossflächigen Überflutungen, unter anderem in der Schweiz und Süddeutschland. Ausserdem wurde soeben (Stand Juli 2024) festgestellt, dass die Erdtemperatur zwölf Monate hintereinander um mehr als 1,5°C über dem vorindustriellen Durchschnitt gelegen hat, also auf einem Niveau, das sie gemäss dem Pariser Klimaschutzabkommen langfristig gar nicht mehr überschreiten sollte. Und genau in dieser Situation formiert sich im Europäischen Parlament eine neue rechtspopulistische Fraktion, die sich neben anderen Themen den Widerstand gegen die EU-Klimapolitik zur Aufgabe erklärt hat. Die Situation ist offenbar nicht nur sehr brisant, sondern auch einigermassen kompliziert und neben allen politischen, technologischen, sozialen und ressourcenbezogenen Herausforderungen ist kaum zu übersehen, dass wir es auch mit Bildungsaufgaben zu tun haben. Diese beginnen schon bei der Unterscheidung von Wetter und Klima – Überflutungen, so würden Leugner*innen des Klimawandels wohl argumentieren – gab es schon immer, wieso sollte also jetzt der Klimawandel daran schuld sein. Dass man vom Wetter nicht unmittelbar auf das Klima schliessen kann, ergibt sich eigentlich schon aus den jeweiligen Definitionen, und doch scheint der Unterschied oft nicht präsent (und das nicht nur in polemischen Streitgesprächen). Auch der Wechsel zwischen der globalen und der lokalen Perspektive – einem extrem warmen Jahr weltweit und einem eher kühleren Sommer in Mitteleuropa – fällt nicht leicht. Und wie schnell schliesslich auch bei Nachhaltigkeitsthemen Vergessen einsetzt, zeigt sich daran, dass die vergangenen Dürresommer bei manchem schon ganz aus dem Sinn sind und selbst dort über Regen geklagt wird, wo es (wie in weiten Teilen Deutschlands) keine Überschwemmungen gibt, sondern nur einen nassen Sommer.

Diese knappe Skizze soll zeigen:

  • Erwachsenenbildung für nachhaltige Entwicklung (EBNE)1 muss Sachkenntnis fördern. Unkenntnis, z.B. bezüglich des Unterschieds von Wetter und Klima, verschleiert wichtige Zusammenhänge und verhindert es vielfach, wirksame von unwirksamen Massnahmen zu unterscheiden. Eine Grundlage hierfür ist ein transparentes, diskussionsfähiges Konzept von Nachhaltigkeit und Bildung für nachhaltige Entwicklung (Abschnitt 2).
  • Wie so oft erschöpft sich auch hier die Bildungsaufgabe aber keinesfalls in der Vermittlung von Sachwissen und Fakten. EBNE adressiert individuelles und kollektives Leben auf allen Ebenen, sie hat viel mit Konsum und Verzicht zu tun und muss sich immer wieder mit Erlaubnissen und Verboten auseinandersetzen. Allein schon deshalb kann und wird das Thema unter anderem auch zur politischen Mobilisierung genutzt (zurzeit besonders von rechtspopulistischen Parteien), ohne dass der Verweis auf die oft völlig faktenwidrigen Argumente hier immer erfolgreich wäre (vgl. Pätzold, 2018). Bildungsarbeit, die so dicht an der unmittelbaren Lebenssituation der Teilnehmenden arbeitet, muss mit einer grossen Vielfalt von Widersprüchen umgehen. Deshalb bedarf sie der Reflexion emotionaler und kultureller Reaktionen und insbesondere eines differenzierten Blicks auf Lernwiderstände (Abschnitt 3).
  • Vor diesem Hintergrund ist klar, dass EBNE eines umfassenden Ansatzes bedarf und letztlich selbst Teil einer globalen Entwicklung ist, die mitunter, in Anlehnung an Polanyi, als «Grosse Transformation» (WBGU, 2011) bezeichnet wird. Dieser grössere Zusammenhang muss immer wieder neu bestimmt werden; in Abschnitt 4 werden einige Perspektiven hierauf angesprochen.

2 Nachhaltigkeitskonzepte

Die wohl meistgenannte Referenz in der Diskussion um Nachhaltigkeit ist die ursprünglich forstwissenschaftliche Idee, einem Wald nicht mehr Holz zu entnehmen, als im gleichen Zeitraum nachwachsen kann – sodass die Ressource Holz dauerhaft verfügbar bleibt. Diese Vorstellung lässt sich auf materielle und sogar immaterielle Ressourcen beinahe jeder Art übertragen. Sie liegt der Argumentation für jegliche Art erneuerbarer Energien zugrunde (im Gegensatz zum Verbrauch fossiler Energien, deren Reproduktionszeiten das menschliche Zeitermessensvermögen weit übersteigen) und finden sich in Konzepten der Kreislaufwirtschaft; aber im übertragenen Sinne kann beispielsweise auch ein abstraktes System wie Wissenschaft die eigene Nachhaltigkeit fördern oder auch gefährden (wenn es beispielsweise durch Skandale Vertrauen verliert und nicht in der Lage ist, in gleichem Masse Vertrauen aufzubauen, indem es beispielsweise wahrnehmbare wissenschaftliche Fortschritte produziert). Eine anschauliche, allgemeine Formulierung dieses Prinzips ist der Begriff «Enkelgerechtigkeit»: Eine Gesellschaft soll so agieren, dass die Lebenschancen der Enkel der Menschen, die in dieser Gesellschaft leben, nicht absehbar schlechter sind als die gegenwärtigen. Gerade die letztere Beschreibung ist sicher wenig präzise, aber vielleicht gerade dadurch geeignet, einseitige Vorstellungen des Konzepts Nachhaltigkeit zu verhindern, bei denen z.B. ausschliesslich auf physikalische Grössen wie CO2-Ausstoss geachtet wird.

Auch Nachhaltige Entwicklung ist ein traditionsreiches Konzept (World Commission 1987), das ursprünglich oft durch das Zusammenspiel der drei «Säulen» Ökonomie, Ökologie und Soziales bestimmt wurde. Diese Sichtweise ist zwischenzeitlich vielfach kritisiert worden, weil sie den sachlich unzutreffenden Eindruck vermitteln kann, ein Mangel an ökologischer Nachhaltigkeit könnte etwa durch ein besonders hohes Mass an ökonomischer Nachhaltigkeit ausgeglichen werden. Inzwischen haben sich gegenüber dem Drei-Säulen-Modell an vielen Stellen Vorrangmodelle durchgesetzt. Unabhängig von der genauen inhaltlichen Ausgestaltung gehen diese – im Einklang mit dem Drei-Säulen-Modell – davon aus, dass Nachhaltigkeit verschiedene Dimensionen adressieren muss (und soziale und wirtschaftliche Aspekte gehören hier auch immer dazu). Im Unterschied zu jenem stellen sie diese allerdings in einen hierarchischen Zusammenhang. So sortiert das «Wedding Cake»-Modell die Sustainable Development Goals (SDG) in drei Ebenen (vgl. Abb. 1). Die Darstellung macht deutlich, dass etwa der Erhalt der Biosphäre eine materielle Voraussetzung dafür ist, dass Werte einer nachhaltigen sozialen Gemeinschaft (und dann auch einer nachhaltigen Wirtschaft) überhaupt angestrebt werden können.

Der Übergang zu Vorrangmodellen erscheint auch wichtig in Bezug auf die Rolle von Fakten in der EBNE: Selbst aus einem konstruktivistischen Bildungsverständnis heraus ist die Bedeutung der Biosphäre kein Verhandlungsgegenstand in einem Sprachspiel; ein Konzept von nachhaltiger Entwicklung, das mit ökonomischen Entwicklungen den dramatischen Rückgang der Biodiversität kompensieren zu können glaubt, ist schlicht nicht viabel. Insofern fokussieren diese Modelle auf reale Verhandlungsspielräume (z.B. bei der Suche nach Kompromissen, bei der Verteilung von Lasten), weisen aber sachlich nicht fundierte Allgemeinplätze (‹mit wirtschaftlicher Entwicklung kommt Technologie und die wird es dann schon richten›) genauso zurück wie gelegentliche postfaktische Polemiken (‹der Klimawandel ist eine Erfindung der Chinesen›).

Diese Rolle korrekter Fakten zeigt sich z.B. in dem erwähnten Unterschied von Wetter und Klima: Unter Klima versteht man meteorologisch den Durchschnitt dessen, was sich in der Atmosphäre abspielt und konkret zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort als Wetter wahrnehmbar wird. Es kann auf unterschiedlich grosse geografische Räume bezogen werden, betrifft aber immer einen längeren Zeitraum. Deshalb spielt ein einzelnes kaltes Jahr (oder gar ein verregneter Sommer) bei der Beurteilung des Klimas kaum eine Rolle. Dieser Unterschied ist begrifflich nicht schwer zu erfassen; pädagogisch ist er allerdings durchaus bedeutsam, weil der Umgang mit einem Phänomen wie dem des Klimawandels nicht nur entlang abstrakter begrifflicher Konzepte und statistischer Erwägungen geschieht, sondern durch ein Zusammenwirken von Wissen, Erfahrungen und Gefühlen, das uns kaum in allen Einzelheiten zugänglich ist (vgl. Gigerenzer, 2013). So mag jemandem durchaus die Relevanz des 1,5°-Ziels bekannt sein. Und doch ist die Bereitschaft, diesem Wissen gemäss zu handeln, massgeblich von der unmittelbaren Erfahrung (z.B. eines kühlen oder eben heissen Sommers) und den damit zusammenhängenden Gefühlen (z.B. einem Gefühl der Bedrohung angesichts der unmittelbaren Erfahrung von Dürre oder Hochwasser) ab. Wenn also Fakten und deren Vermittlung gar nicht die Hauptrolle bei der EBNE spielen, wie kann diese dann konstruktiv geschehen?

3 Praktische Nutzung von Nachhaltigkeitskonzepten für die Weiterbildung: Umgänge mit Komplexität

Das Konzept nachhaltige Entwicklung kann eine sehr praktische Orientierung für Erwachsenenbildung liefern, sie erschliesst sich aber nicht auf den ersten Blick. Deshalb muss zunächst etwas ausgeholt und auf die Komplexität von Bildungsprozessen eingegangen werden. Bildung setzt in der Regel das Ideal eines mündigen Subjektes voraus (und strebt es gleichzeitig an). Sie zielt also darauf ab, dass Menschen verantwortungsvoll handeln können oder, wie Wolfgang Klafki es formuliert hat, in immer wachsendem Masse zur Selbstbestimmung, Mitbestimmung und Solidarität fähig sind (Klafki, 1991, S. 52). Bildung für nachhaltige Entwicklung gibt diesem allgemeinen Anspruch ein inhaltliches Ziel, gleichzeitig wird das Zusammenspiel der von Klafki benannten Dimensionen noch wichtiger – stehen doch beispielsweise Selbstbestimmung und Solidarität angesichts begrenzter Ressourcen oft in einem Spannungsverhältnis. EBNE schliesslich nimmt das Ziel der nachhaltigen Entwicklung für sich gegenüber erwachsenen Lernenden in Anspruch und ist damit in besonderer Weise herausgefordert, deren Autonomie zu respektieren und gleichzeitig gegenüber dem eigenen Anspruch nicht beliebig zu werden. Sie will und soll Einzelne und Gesellschaften darin unterstützen, nachhaltig zu leben. Bei aller Einsicht in die Offenheit von Bildungsprozessen ist dies ein normativer Anspruch, der nicht geleugnet werden darf (das Gleiche gilt natürlich auch für andere Bildungszusammenhänge und deren normative Bildungsziele, von Gesundheit über Demokratieförderung bis Employability). Da Nachhaltigkeit darüber hinaus kaum einen Aspekt des Alltagslebens unberührt lässt (Mobilität, Ernährung, soziales Miteinander usw.), berühren EBNE-Angebote unweigerlich sehr schnell die persönliche Lebenssphäre der Teilnehmenden. Und so ist sie oft mit privaten wie politischen Interessen, Bedürfnissen und Konflikten konfrontiert. Gerade der Umgang mit Konflikten innerhalb der Bildungsarbeit ist dabei von grosser Bedeutung. Nachhaltige Entwicklung geht u.a. von grundlegenden Verteilungsproblemen aus. Hieraus entstehen unweigerlich Ressourcenkonflikte, z.B. um sogenannte Verschmutzungsrechte, die ihrerseits Menschen unmittelbar betreffen, aber auch zur Mobilisierung durch Interessengruppen genutzt werden. Die Auseinandersetzung um solche Konflikte verläuft nicht frei von Emotionen, deshalb geht es in der EBNE immer auch darum, diese zu artikulieren und zu reflektieren, ohne den Raum für Kompromisse zwischen unterschiedlichen Interessen zu verschliessen. Die praktische Orientierung besteht nun darin, dass jede Bildungsaktivität danach beurteilt werden kann, ob sie das Potenzial hat, zu Nachhaltigkeit beizutragen. Ein Informationstag zu ökologischen Geldanlagen, der ausschliesslich die Renditemöglichkeiten anspricht, wird dann in der Regel schlechter abschneiden als einer, der auch anspricht, dass die einseitige Fokussierung auf Rendite beispielsweise die Gefahr der Entscheidung für nur scheinbar nachhaltige Finanzprodukte (‹Greenwashing›) erhöht.

Ging es bisher vor allem um eine allgemeine Positionierung von EBNE, so lassen sich an dieser Stelle konkretere Befunde aus der Forschung zu Erwachsenenbildung einerseits und BNE andererseits nutzen.

3.1 Diskursräume schaffen

Es ist also offensichtlich, dass Nachhaltigkeit Gegenstand eines fortwährenden Aushandlungsprozesses ist – und die oben dargestellten Aspekte sollten deutlich machen, dass es dabei nicht um das rein rationale Abwägen und die Suche nach einer einzelnen Lösung geht. Vielmehr ist die Aushandlung immer von unterschiedlichen Sichtweisen, Arten der Betroffenheit und auch Einstellungen beeinflusst. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, an die mittlerweile mehrere Jahrzehnte überspannende Forschung zu Emotionen innerhalb der Erwachsenenbildung anzuschliessen (vgl. Grotlüschen und Pätzold, 2020, S. 44ff; Gieseke, 2016; Arnold und Holzapfel, 2008). Dabei ist herausgearbeitet worden, wie wichtig es ist, Emotionen als wesentlichen Aspekt von Lernprozessen ausreichend zu berücksichtigen, und diese Erkenntnisse kann sich EBNE zunutze machen. BNE kann zum Beispiel Narrative entwickeln (Nationale Plattform, 2017, S. 83), die die Ziele der Transformation vorstellbar machen und in den Kontext positiver Emotionen stellen. Solche «positive[n] Erzählungen […], mit denen (nahezu) jedes Mitglied einer Gesellschaft positive individuelle Erfahrungen in Verbindung bringen kann» (Hoffmann, 2018, S. 13) dienen dazu, eine konstruktive Zielvorstellung emotional positiv zu konnotieren – und oft reicht es schon, sie aus einer einseitig negativen emotionalen Bewertung zu lösen. Ein Beispiel hierfür sind Konzepte des Verzichts. Oft können diese sowohl negativ konnotiert werden, wenn sie etwa im Horizont von Verlust und Deprivation eingeordnet werden, oder auch positiv, wenn sie mit Freiheit und dem Abwerfen von Ballast verbunden werden. Es geht hierbei nicht um manipulative Techniken, sondern darum, sich aus der Pfadabhängigkeit zu lösen, die sich oft in kulturellen Widerständen (und entsprechend nicht sachlichen, sondern emotionalen Einwänden) äussert (vgl. ebd.).

Emotionen liefern also nicht nur Zugänge, sondern können diese auch versperren und tun das im Kontext von Nachhaltigkeit recht oft. Die globale Nachhaltigkeitskrise ist so bedrohlich, dass es nicht verwundert, wenn mitunter die Auseinandersetzung damit aus Gefühlen von Angst oder auch Frustration abgelehnt wird. Unter dem Begriff Eco-Anxiety (Pihkala, 2022) ist eine eigene Forschungsperspektive entstanden, die sich damit befasst, welchen Umgang Menschen mit ihrer Angst vor der planetaren ökologischen Krise finden. Erwachsenenbildung kann hier Möglichkeiten eines konstruktiven Umgangs schaffen. Singer-Brodowski u.a. (2022) sprechen in diesem Zusammenhang von «safe enough spaces», Räumen also, in denen man sich trotz einer wahrgenommenen Bedrohung sicher genug fühlt, um sich diskursiv und konstruktiv mit dieser auseinanderzusetzen. Solche Räume können im Kontext von EBNE genutzt, aber nicht vorausgesetzt werden, und so ist bereits ihre Herstellung offensichtlich eine didaktische Aufgabe.

3.2 Kompetenzen entwickeln

Ein konstruktiver Umgang mit Fragen der Nachhaltigkeit erfordert aber nicht nur didaktisch angemessene Räume, sondern auch spezifische Kompetenzen. Die sind, wie so oft in der Bildungsarbeit, gleichzeitig Voraussetzung und Ziel des Prozesses, d.h. sie müssen in einem gewissen Mass bereits angenommen und gleichzeitig weiterentwickelt und entfaltet werden. In der BNE-Forschung sind hierzu bereits früh verschiedene Kompetenzmodelle und -kataloge formuliert worden, z.B. als Gestaltungskompetenzen von de Haan (2008) oder als Ergebnis einer Delphi-Studie (Brundiers u.a., 2020). Derartige Kompetenzmodelle antworten mitunter auf spezifischere Fragen (z.B. nach bestimmten Zielgruppen) und sind schon deshalb nicht einfach auf jeden Kontext adaptierbar. Sie können aber sehr nützlich sein, um einen groben Rahmen abzustecken, innerhalb dessen Kompetenzentwicklung für nachhaltige Entwicklung aussichtsreich und sinnvoll ist (und damit auch Hinweise geben, was vielleicht nicht angestrebt werden muss). In der Untersuchung von Brundiers u.a. (2020) wurde als Ausgangspunkt eine Darstellung von Nachhaltigkeitskompetenzen von Wiek und anderen (vgl. ebd., S. 16) verwendet, die relativ breit angelegte Kompetenzen wie z.B. strategisches Denken (vgl. ebd.) aufführt. Dabei ist klar, dass eine solche Kompetenz generell erforderlich ist, um in komplexen sozialen Systemen erfolgreich zu handeln. Pointiert gesagt: Auch für Erfolge im Handel mit fossilen Brennstoffen ist die Kompetenz zum strategischen Handeln erforderlich. Bereits bei Wiek u.a. werden die Kompetenzen deshalb auf nachhaltiges Handeln zugespitzt. In der hier zitierten Delphi-Studie halten die Teilnehmenden jedoch eine weitergehende Konkretisierung (stellenweise auch Erweiterung) der Kompetenzen für erforderlich (vgl. ebd., S. 18). Entscheidend ist ausserdem, das Zusammenwirken von Kompetenzen zu berücksichtigen, wenn es um das übergeordnete Ziel geht, Nachhaltigkeitsprobleme zu bearbeiten (vgl. ebd., S. 19ff). Das Bewusstsein für ein solches Zusammenwirken wird in besonderer Weise durch die Kompetenz gefördert, in Systemen zu denken («[s]ystems-thinking competency», ebd., S. 16, vgl. auch Elven, 2022, S. 537). Hier bieten sich Anschlussmöglichkeiten aus der Erwachsenenbildung, die im nächsten Abschnitt verfolgt werden sollen.   

3.3 In Systemen denken

In der Erwachsenenbildung gibt es eine reiche Tradition der Auseinandersetzung mit den Konzepten und Ergebnissen der Systemwissenschaften. Einige der wichtigsten Beiträge zu einem systemwissenschaftlichen Verständnis der sozialen Welt (von Luhmanns Theorie sozialer Systeme über Hakens Synergetik und Bronfenbrenners Ökosystemodell bis zu Senges Konzept von Systems Thinking im Kontext der Organisationsentwicklung) haben Forschung und Praxis der Weiterbildung vielfältig angeregt. Systemdenken bedeutet allerdings in allen diesen Ansätzen, konsequent betrachtet, einen wirklichen Bruch mit weithin geteilten und fest gefügten Vorstellungen über soziale und materielle Prozesse. Es stellt nämlich vermeintliche Randerscheinungen und Störungen (wie Systemträgheit, Nichtlinearität oder unvollständige Situationskenntnis) in den Mittelpunkt der Modellierung von Systemen. Auch dieser Gedanke ist der Erwachsenenbildung nicht fremd, etwa wenn sie Lernwiderstände nicht lediglich als zu überwindende Störung betrachtet, sondern als Anlass, die Gestaltung des Lernprozesses selbst zu hinterfragen (vgl. Grotlüschen und Pätzold, 2020, S. 27ff). Die Systemwissenschaften weisen ausserdem darauf hin, dass komplexe Systeme zwar beeinflussbar, aber nicht zielgerichtet steuerbar sind. Das gilt zweifellos für komplexe Ökosysteme, entspricht aber auch einer erwachsenenpädagogischen Vorstellung von Lernenden als autonomen Subjekten, denen zwar Angebote gemacht werden können, die diese aber eigenlogisch verarbeiten.

Viele Aspekte komplexer Systeme sind also nicht nur relevant für die Erwachsenenbildung, sie werden von Praktiker*innen auch unmittelbar erlebt und oft in souveräner Weise ‹systemisch› gehandhabt. Weiterbildner*innen sind in ihrer Arbeit sehr oft mit Unsicherheiten konfrontiert, die in der Komplexität von Systemen begründet liegen. Die Sozialdynamik einer neuen Lerngruppe kann erhebliche Unsicherheit verursachen (und dennoch muss der Kurs ‹irgendwie› begonnen werden); die Unterschiedlichkeit von Vorkenntnissen und individuellen Bedürfnissen muss im Kontext von Teilnehmendenorientierung ausgeglichen werden und letztlich ist auch die individuelle Verarbeitung von Lernangeboten durch die je einzelnen Teilnehmenden ein (unberechenbarer) Prozess eines komplexen psychischen Systems. Diese Vertrautheit und oft auch praktische Erfahrung mit systemischen Perspektiven kann in der EBNE vielfältig genutzt werden. Mitunter ist es dazu erforderlich, die systemwissenschaftlichen Grundlagen (erneut) zu betrachten und die Fähigkeit zum Systemdenken weiter zu stärken (vgl. Pätzold, 2019).

4 Nachhaltigkeit als Anlass kollektiver (Um-)Orientierung

Mit dem Systemdenken wäre man in einer traditionellen Sichtweise bereits auf der Ebene der Angebotsplanung angelangt. EBNE benötigt Angebote, in denen Systemdenken gelehrt und gelernt werden kann, um sowohl mit der unvermeidlichen Verunsicherung umzugehen, die von Nachhaltigkeitsthemen ausgeht, als auch genau in diesem unsicheren Feld dennoch zu brauchbaren, handlungsleitenden Urteilen zu gelangen. Schliesslich kann niemand beanspruchen, zu wissen, wie sich etwa das Klima tatsächlich weiterentwickelt, und dennoch müssen wir Wege finden, sich daraus ergebende Bedrohungen zu verringern. Solche Angebote fügen sich allerdings nicht ohne weiteres in ein nach Themen oder Fachbereichen sortiertes Programmangebot. Und eigentlich erscheint das auch gar nicht erstrebenswert, zeigt doch bereits die bisherige Praxis, dass Nachhaltigkeit ebenso in naturwissenschaftlichen Angeboten wie in Angeboten der politischen Bildung, der Ökonomie oder auch in Kochkursen, Gesundheitskursen und vielen anderen Bereichen adressiert werden kann (vgl. Burdukova, 2019). So können inhaltlich spezifische Angebote (etwa zu Verursachungsfaktoren des Klimawandels) zwar einen wichtigen Beitrag zu EBNE leisten, ebenso kann dieser aber auch erfolgen, indem in Angeboten unterschiedlichster Art die Gelegenheit genutzt wird, Bezüge zu einem nachhaltigeren Leben herzustellen oder auch nur Räume zu schaffen, in denen Teilnehmende, denen dies am Herzen liegt, ihre Position ebenso angstfrei wie konstruktiv zur Diskussion stellen können. In einem Kursangebot zu «Geldanlagen zur Alterssicherung» kann (und sollte) Raum sein, auch darüber zu sprechen, welche Bedeutungen «Sicherung» ausser der Verfügbarkeit gewisser Geldsummen zu bestimmten Zeiten haben kann – und welche Rahmenbedingungen überdies als stabil vorausgesetzt werden, damit eine Anlage ökonomische Sicherheitserwartungen erfüllen kann. Eine systemorientierte Diskussion über Phänomene wie die Kohlenstoffblase wäre dann kein curricular zu legitimierender Kursabschnitt, sondern könnte sich aus einer realistischen Betrachtung als sinnvoll, auch im Sinne des ursprünglichen Kursziels, ergeben.

Die Folgen einer nicht nachhaltigen Lebensweise betreffen mittelfristig wohl alle Menschen. Von daher ist es nicht verwunderlich, dass sie auch alle Ebenen von Erwachsenenbildung tangiert. So geht es nicht nur um Programmplanung, Angebotsentwicklung und Kursgestaltung, sondern beispielsweise auch um den Umgang mit sich verändernden Rahmenbedingungen. Zeitstrukturen können sich ändern, weil regelmässige Hitzesommer bestimmte Zeiten für Kurse unattraktiv machen; die Mobilitätsbedingungen der Teilnehmenden (und der Lehrenden) stehen im Zusammenhang mit Klimaschutz- und -anpassungsmassnahmen. Auch die interne Organisationsgestaltung, von Geschäftsprozessen und Präsenzregelungen über Gebäudeausstattung bis zur Corporate Environmental Responsibility (CER), muss weiterentwickelt werden, was sich bereits in entsprechenden Zertifizierungskonzepten niederschlägt (Dehn, 2023). Dieser Prozess ist aber nur begrenzt planbar und, auch wenn es wünschenswert wäre, es ergibt sich in der Regel kein konsistenter, bruchloser Wandel der Organisationen (oder gar der Weiterbildungslandschaft insgesamt), vielmehr ein Nebeneinander von sehr unterschiedlichen Wegen, Ansprüchen und natürlich auch Widerständen und Rückschlägen. In diesem Sinne ist aus Sicht des Autors auch die aktuelle Diskussion um EBNE als eine Momentaufnahme in einem dynamischen System zu verstehen. Wir können nicht vorhersagen, welche Entwicklungen sich genau ergeben werden, aber wir können und sollten Impulse setzen und aufgreifen, die nach heutigem Ermessen in die richtige Richtung führen. Hierzu zählen auch zahlreiche der Konzepte und Beispiele, wie sie gegenwärtig in der Literatur und natürlich auch im vorliegenden Heft dargestellt werden.

Der Umgang mit Nachhaltigkeit bedeutet nach Auffassung vieler Expert*innen nicht weniger als eine fundamentale Neuordnung menschlichen Handelns und Zusammenlebens (WBGU, 2011). Ein solcher Prozess ist in seinen Ergebnissen nicht vorhersehbar, er lässt sich allenfalls ‹auf Sicht› steuern, indem solche Entscheidungen getroffen werden, die sich aus der gegenwärtigen Perspektive nach bestem Wissen als zukunftsfähig begründen lassen. In dieser Situation kann zwar auch die Erwachsenenbildung nicht die notwendigen Inhalte und Fähigkeiten vermitteln, die zuverlässig zu einer Verbesserung führen, aber sie kann – als Institution und in ihren Angeboten – an ihrer eigenen Entwicklung und an der Entstehung zukunftsfähiger Kompetenzen mitwirken.

  1. Viele der Aussagen im Folgenden sind nicht nur auf Erwachsene beschränkt, sondern betreffen auch BNE an sich. Dennoch stehen in dem Beitrag Erwachsene im Fokus, weshalb überwiegend die Bezeichnung EBNE verwendet wird. Auch Weiterbildung für nachhaltige Entwicklung ist dabei mitgemeint.

Literatur

Arnold, R., & Holzapfel, G. (Hrsg.). (2008): Emotion und Lernen. Die vergessenen Gefühle in der (Erwachsenen-)Pädagogik. Baltmannsweiler: SchneiderVerlag Hohengehren.

Brundiers, K., Barth, M., Cebrián, G., Cohen, M., Diaz, L., Doucette-Remington, S., et al. (2020): Key competencies in sustainability in higher education—toward an agreed-upon reference framework. Sustainability Science. https://doi.org/10.1007/s11625-020-00838-2

Burdukova, G. (2019): Nachhaltigkeit als Thema in den Programmen und Angeboten der Volkshochschulen im Zeitverlauf. Programmanalysen auf der Basis des digitalen Volkshochschulprogrammarchivs am Deutschen Institut für Erwachsenenbildung. Deutsches Institut für Erwachsenenbildung. http://www.die-bonn.de/id/37081. Zugegriffen: 30. Juli 2024.

de Haan, G. (2008): Gestaltungskompetenz als Kompetenzkonzept für Bildung für nachhaltige Entwicklung. In: I. Bormann & G. de Haan (Hrsg.), Kompetenzen der Bildung für nachhaltige Entwicklung (S. 23–44). Wiesbaden: VS.

Dehn, C. (2023): Die LQW-Qualitäts- und Nachhaltigkeitstestierung. Hannover: ArtSet. https://www.qualitaets-portal.de/wp-content/uploads/Leitfaden-LQW-N_202310.pdf. Zugegriffen: 9. Juli 2024.

Elven, J. (2022): Organisation und Bildung für nachhaltige Entwicklung: Eine kritische Bestandsaufnahme der Konzeptionalisierung organisationalen Lernens im BNE-Diskurs. Gruppe. Interaktion. Organisation. Zeitschrift für Angewandte Organisationspsychologie (GIO), 53(4), 535–545. https://doi.org/10.1007/s11612-022-00659-0

Gieseke, W. (2016): Lebenslanges Lernen und Emotionen (3. Aufl.). Bielefeld: W. Bertelsmann.

Gigerenzer, G. (2013): Risiko: Wie man die richtigen Entscheidungen trifft (6. Aufl.). München: Bertelsmann.

Grotlüschen, A., & Pätzold, H. (2020): Lerntheorien in der Erwachsenen- und Weiterbildung. Bielefeld: wbv Media. https://doi.org/10.36198/9783838556222

Hoffmann, T. (2018): Teaching the Sustainable Development Goals – Geschichten des Wandels. Zeitschrift für internationale Bildungsforschung und Entwicklungspädagogik, 41(2), 27–34.

Klafki, W. (1991): Neue Studien zur Bildungstheorie und Didaktik (2. Auflage.). Weinheim, Basel: Beltz.

Nationale Plattform Bildung für nachhaltige Entwicklung. (2017): Nationaler Aktionsplan Bildung für nachhaltige Entwicklung. Der deutsche Beitrag zum UNESCO-Weltaktionsprogramm. Berlin: Bundesministerium für Bildung und Forschung. https://www.bne-portal.de/bne/shareddocs/downloads/files/nationaler_aktionsplan_bildung-er_nachhaltige_entwicklung_neu.pdf?__blob=publicationFile&v=3. Zugegriffen: 30.7.2024.

Pätzold, H. (2019): Systemdenken lehren. In: W. Leal Filho (Hrsg.), Aktuelle Ansätze zur Umsetzung der UN-Nachhaltigkeitsziele (S. 357–371). Wiesbaden: Springer.

Pätzold, H. (2018): Post-Truth und Erwachsenenbildung. Einlassen und aushalten. weiter bilden. DIE Zeitschrift für Erwachsenenbildung, (4), 16–20.

Pihkala, P. (2022): Introduction: Eco-anxiety, Climate, Coronavirus, and Hope. In: D. A. Vakoch & S. Mickey (Hrsg.): Eco-Anxiety and Planetary Hope: Experiencing the Twin Disasters of COVID-19 and Climate Change (S. v–xvii). Cham: Springer International Publishing. https://doi.org/10.1007/978-3-031-08431-7

Singer-Brodowski, M., Förster, R., Eschenbacher, S., Biberhofer, P., & Getzin, S. (2022): Facing Crises of Unsustainability: Creating and Holding Safe Enough Spaces for Transformative Learning in Higher Education for Sustainable Development. Frontiers in Education, 7, 787490. https://doi.org/10.3389/feduc.2022.787490

WBGU – Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen. (2011): Welt im Wandel. Gesellschaftsvertrag für eine Grosse Transformation. Berlin: WBGU. https://www.wbgu.de/de/publikationen/publikation/welt-im-wandel-gesellschaftsvertrag-fuer-eine-grosse-transformation#sektion-downloads. Zugegriffen: 11.7.2024.

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