Diversity-Management-Praktiken an der SML – ein Erfahrungsbericht aus der Praxis
In diesem Erfahrungsbericht werden ausgewählte Diversity&Inclusion-Management-Praktiken (Verantwortungs-, Nichtdiskriminierungs- und Ressourcenpraktiken) am Beispiel der School of Management & Law (SML) der ZHAW und aus der Sicht der Diversity-Beauftragten beschrieben. Es werden einerseits Praktiken (Bündel von Massnahmen) ausgewählt, die auf Mitarbeitende und die Führung fokussieren, andererseits Praktiken, welche Studierende und Weiterbildungsteilnehmende ins Zentrum stellen. Zudem werden Herausforderungen beschrieben und aufgezeigt, wie damit umgegangen wird.
Chancengleichheit, Diversity und Inklusion sind als strategisches Thema aus den Schweizer Hochschulen nicht mehr wegzudenken. In den letzten zwei Jahrzehnten hat sich der Fokus geändert. Anfänglich standen die nachhaltige Verankerung der Chancengleichheit durch institutionelle Strukturen und die Erhöhung des Frauenanteils in Leitungsgremien sowie Professor:innenstellen im Fokus. Heute sind die Themen vielfältiger geworden und der Fokus richtet sich auf die Vielfalt aller Mitarbeitenden und Studierenden. Vor allem Wirtschaftshochschulen (Business Schools) arbeiten mit dem Konzept des Diversity & Inclusion Managements (DIM). DIM vereint als strategisches Management-Konzept die betriebswirtschaftliche und sozialwissenschaftliche Sichtweise und richtet die Gestaltung von Vielfalt und Inklusion der Belegschaft einer Organisation an den strategischen Zielen der Organisation aus (Genkova & Ringeisen, 2017, S. 173). Mit diesem Konzept richten die Organisationen ihre Massnahmen nach innen und nach aussen, um ihre Attraktivität als Arbeitgeberin und als Hochschule zu verbessern sowie um ihren Pflichten als öffentlich-rechtliche Bildungsinstitutionen nachzukommen. Dieser Artikel behandelt die Implementierung unterschiedlicher Diversity-Praktiken an der ZHAW School of Management & Law (SML) aus der Sicht der Diversity-Beauftragten. Der Artikel beansprucht keine Vollständigkeit, sondern beschreibt ausgewählte Praktiken, um die Chancen und Herausforderungen während der Implementierung aufzuzeigen.
Diversity & Inclusion, Diversity Management und soziale Nachhaltigkeit
Diversity bedeutet Vielfalt hinsichtlich persönlicher, sozialer und struktureller Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Personen und Gruppen (Bräuhofer & Rieder, S. 63). Zu den Kerndimensionen von Diversity gehören Alter, Gender1, Behinderung, sexuelle Orientierung, religiöser und sozialer Hintergrund, Ethnizität2 und «race»3, Familienstand usw. (Helmold, 2022, S. 117). DIM wird eigentlich als Führungs- und Querschnittsaufgabe betrachtet. In der Praxis wird häufig eine erfahrene Fachperson mit HR- und Diversity-Kompetenzen damit beauftragt (Vedder, 2009, S. 114). Diversity Management zielt darauf ab, die Vorteile eines vielfältigen Arbeitsumfeldes zu nutzen, die Inklusion zu fördern und dadurch die Innovation und Leistung zu erhöhen. Zudem strebt DIM durch geeignete Massnahmen danach, unbewusste Vorurteile, Diskriminierung, Mobbing und sexuelle Belästigung zu mindern (Genkova & Ringeisen, 2017, S. 173). Diversity & Inclusion wird heutzutage den obligatorischen und freiwilligen Aktivitäten der sozialen Verantwortung von Organisationen zugeordnet (Rhanfeld, 2019, S. 21). Soziale Nachhaltigkeitsziele (vgl. Sustainable Development Goals der United Nations – SDG) wie z.B. Geschlechtergleichheit, Gesundheit und Wohlergehen, weniger Ungleichheiten, nachhaltige Bildung weisen thematische Überschneidungen mit den DIM-Praktiken an Hochschulen auf.
Diversity-Management-Praktiken
In diesem Artikel wird das Diversity-Praktiken-Modell von Leslie (2019) als Struktur genutzt zur Beschreibung der Diversity-Initiativen und -Praktiken, die an der SML umgesetzt werden. Leslie definiert eine Diversity-Initiative als die Umsetzung mehrerer Diversity-Praktiken mit dem Ziel, Erfahrungen und Leistung von benachteiligten Gruppen zu verbessern (Leslie, 2019, S. 540). Die Zielgruppen dieser Initiativen sind in strategisch relevanten Positionen unterrepräsentiert (z.B. Frauen in Führungspositionen), von alltäglichen Interaktionen (z.B. Menschen mit einer Behinderung) oder von Entscheidungsprozessen ausgeschlossen (Leslie, 2019, S. 541). Die Diversity-Initiativen verfolgen daher die stärkere Repräsentanz dieser Zielgruppen, die Chancengleichheit im beruflichen Erfolg zu erhöhen sowie stärkere Inklusion, sodass sich diese Zielgruppen akzeptiert und wertgeschätzt fühlen (Leslie, 2019, S. 541). Bei den Diversity-Praktiken unterscheidet Leslie (2019) drei Formen: die Praktiken (1) der Verantwortung, (2) der Nichtdiskriminierung und (3) der Ressourcen:
- Die Verantwortungspraktiken stellen strategisch sicher, dass D&I institutionalisiert wird, indem die Diversitätsziele für die Organisation formuliert, gemessen und erreicht werden sowie die Diversity-Rollen, -Fachstellen sowie zeitliche und finanzielle Ressourcen zur Umsetzung bestimmt werden (Leslie, 2019, S. 541).
- Die Nichtdiskriminierungspraktiken stellen sicher, dass Selektions-, Beförderungs- und Bewertungsentscheidungen objektiv ausfallen und so weniger auf unbewussten Vorurteilen basieren (Leslie, 2019, S. 541).
- Die Ressourcenpraktiken sind hingegen identitätsbewusste und chancenorientierte Praktiken, welche Opportunitäten für die bestimmten Zielgruppen ermöglichen (Leslie, 2019, S. 541). Dazu gehören z.B. Mentoring- und Personalentwicklungsprogramme, welche spezifisch auf Personen einer Zielgruppe ausgerichtet sind.
Verantwortungspraktiken an der SML
Die SML ist das Wirtschaftsdepartement der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW). Die SML richtet ihre Strategien einerseits nach den Zielen der Fachhochschule, andererseits verfolgt sie zusätzliche Ziele als anerkannte internationale Business School. Im Rahmen der Nachhaltigkeitsstrategie bekennt sie sich zu den Prinzipien für eine verantwortungsvolle Managementausbildung (engl. Principles for Responsible Management Education – PRME). Zudem gehört Diversität seit einigen Jahren zu den sieben Kernwerten der SML. Vor diesem Hintergrund entschied die SML im Jahr 2019, die Themen Diversity & Inclusion strategisch zu verankern und legte die zeitlichen und finanziellen Ressourcen fest. Mit der Ernennung der:des Diversity-Beauftragten erteilte die Direktion den Auftrag, ein Diversity Management aufzubauen, die Bewusstseinsbildung bei allen Mitarbeitenden und Führungspersonen zu D&I zu fördern und D&I in den vier Leistungsbereichen Lehre, Weiterbildung, angewandte Forschung und Dienstleistung mittelfristig zu verankern.
Bereits zu Beginn wurde ein evidenzbasiertes Diversity Management aufgebaut. Mit den zur Verfügung stehenden HR-Daten wurden erste Analysen zu Geschlecht und Nationalitäten durchgeführt. Aus Datenschutzgründen konnten keine weiteren soziodemographischen Analysen durchgeführt werden. Daher wurde eine Diversity-Befragung für alle Mitarbeitenden entwickelt. Die Teilnahme erfolgte freiwillig und anonym. Erfragt wurde die Wahrnehmung des inklusiven Klimas, der inklusiven Führung sowie Bedürfnisse hinsichtlich Sensibilisierungsmassnahmen in D&I-Themen. Dabei wurden soziodemographische Angaben erhoben (z.B. Geschlecht, Geschlechtsidentität, Alter, Funktion etc.). Die Befragung diente als Ausgangslage zur Analyse der Ausgangsbasis (Ist-Analyse) und um zukünftige Massnahmen (d.h. Praktiken) zu definieren. Die Befragung wurde nach einem Jahr wiederholt, um Wahrnehmungsveränderungen nach den ersten Interventionen zu messen. Die Resultate zeigten u.a. Wahrnehmungsunterschiede nach Geschlecht, Alter und Funktion auf. Beispielsweise nahmen zu Beginn die Frauen die inklusive Führung und das inklusive Klima kritischer wahr als die Männer, dies unabhängig von der Funktion (wissenschaftliches oder administratives Personal). Ein Jahr nach der Einführung der ersten Massnahmen (siehe unten: z.B. Gender-Equality-Management-Initiative) gabe es bereits eine signifikante Verbesserung: Alle Mitarbeitenden nahmen eine signifikant inklusivere Führung bei fachlichen Themen wahr. Trotz der generellen Verbesserung blieb der Geschlechterunterschied: Die Frauen waren weiterhin kritischer als die Männer.
Sensibilisierungsmassnahmen wurden insbesondere zur Vereinbarkeit und zur Geschlechtergleichstellung gefordert.
Um das Verantwortungsbewusstsein in der Organisation zu fördern, wurde zu Beginn die Führung in Diversity-Workshops mit externen Fachpersonen geschult. Es wurde bewusst mit externen renommierten Expert:innen zusammengearbeitet, um die Akzeptanz für das Thema zu fördern. Folgende Themen wurden vermittelt: strategischer Mehrwert von Diversity & Inclusion Management, Unconscious Bias in Prozessen, Systemen und Verhalten sowie inklusive Führungspraktiken. In den Führungsworkshops stellte sich heraus, dass das Thema generell positiven Anklang fand, allerdings wurde der betriebswirtschaftliche Nutzen teilweise hinterfragt. Zudem wurde in informellen Gesprächen ein unbewusster geschlechterbezogener Leistungsbias beobachtet (Neschen & Hügelschäfer, 2021). Dieser Bias beschreibt das Phänomen, wenn die Leistung von Frauen eher unterschätzt und die der Männer eher überschätzt wird. Dieser Bias ist in der Wissenschaft und in männlich geprägten Branchen besonders ausgeprägt (Llorens et al., 2021).
Es folgte die Entwicklung eines Gender-Equality-Management-Konzepts (GEM). Die GEM-Initiative umfasst verschiedene D&I-Praktiken, welche mit dem Leitungsgremium im Detail erarbeitet, diskutiert und entschieden wurden. In dieser Phase wurde das Leitungsgremium zum Diversity-Thema im Hochschulkontext eingeführt. Ziel war, Diversity nicht nur im Kontext von Gender zu vermitteln, sondern eine angemessene Breite zu verschiedenen Themen der Chancengerechtigkeit und der Diversity und Inklusion aufzuzeigen. Zu diesem Zeitpunkt wiesen die Zahlen einen niedrigen Frauenanteil in Führungs- und Professor:innen-Stellen auf. Es wurden daher Massnahmen in drei Handlungsfeldern der Rekrutierung und Selektion, Kompetenz- sowie Performance-Management erarbeitet. Sowohl bei der Besetzung von Professor:innen-Stellen als auch bei Führungspositionen wurden quantitative Zielvorgaben für drei Jahre definiert. Es wurden Empfehlungen zum chancengerechten Rekrutierungsprozess und zur Etablierung eines Mentoring-Programmes für Akademikerinnen festgelegt. Seit der GEM-Initiative ist der Frauenanteil bei den Führungs- und Professor:innen-Stellen an der SML jährlich um 2% angestiegen. Heute liegt der weibliche Führungsanteil bei 26,5% und der Professorinnenanteil bei 13%.
Für die Studierenden wurde als erste Verantwortungspraktik ein externer Webauftritt zu Diversity Management innerhalb der SML aufgeschaltet, als Ergänzung zum Auftritt der Fachhochschule bei der Stabstelle Diversity. Da sich die Studierenden die Informationen erfahrungsgemäss innerhalb der SML, und nicht auf Ebene ZHAW beschaffen, wurde das Leistungs- und Beratungsangebot auf der Webseite und im Intranet der SML erläutert. Gewisse Leistungen (z.B. persönliche Beratungen) werden allerdings von der Stabsstelle Diversity der Fachhochschule angeboten, während gewisse Leistungen nur innerhalb der SML angeboten werden. Die detaillierten Leistungen folgen in den Ressourcen-Praktiken.
Nichtdiskriminierungspraktiken an der SML
Die ZHAW setzt für dem Diskriminierungsschutz angemessene reaktive und präventive Massnahmen um wie beispielsweise Beratung, interne Beschwerdeführung oder Sensibilisierungsmassnahmen für Fragen der Diskriminierung und Benachteiligung (vgl. Diversity-Policy der ZHAW).
Nichtdiskriminierungspraktiken im Rekrutierungs- und Selektionsprozess
Am Anfang wurde der Fokus auf die Standardisierung der Rekrutierungs- und Beförderungspraktiken innerhalb der Organisation gelegt. Für eine inklusive Rekrutierung wurden Stellenausschreibungen analysiert und reformuliert. Im Rahmen einer Arbeitsgruppe arbeiteten verschiedene Fachpersonen aus dem HR, der Diversity-Kommission sowie der Linguistik zusammen, um das theoretische und praktische Wissen zur inklusiven Rekrutierung zu verbinden. Der Kompetenzaufbau dazu wurde sowohl beim Recruiting als auch bei der Führung unumgänglich. Parallel und ergänzend zum Thema wurden zwei Projekte durch den ZHAW Digital Futures Fund gefördert. Diese Forschungsprojekte hatten das Ziel, anonyme Bewertungsverfahren zu analysieren. Das erste Projekt analysierte die Rekrutierungs- und Selektionsprozesse hinsichtlich des Anonymisierungspotenzials (vgl. Menzi et al., 2022). Das zweite Projekt hatte zum Ziel, einen Pilot zu anonymen Bewerbungsverfahren einer real offenen Position an der ZHAW durchzuführen. Es wurde ein Quasi-Feldexperiment durchgeführt, in dem die Erfahrung mit standardisierten anonymisierten Lebensläufen mit nicht standardisierten und nicht anonymisierten Lebensläufen verglichen werden (vgl. Menzi, Frau & Heimann, 2023). Diese Projekte wurden von einer wissenschaftlichen Mitarbeiterin initiiert und geleitet, die einen Beitrag zur Chancengerechtigkeit leisten wollte. Es entstand eine intensive Zusammenarbeit mit der SML-Diversity-Beauftragten, um «Blind Hiring» voranzutreiben. Solche Bottom-up-Projekte zeigen auf, wie D&I-Themen durch die Initiative von intrinsisch motivierten Mitarbeitenden vorangetrieben werden können. Diese Projekte tragen dazu bei, die etablierten Rekrutierungsprozesse und Tools generell zu hinterfragen und chancengerechter zu gestalten.
Nichtdiskriminierungspraktiken in Findungskommissionen
Eine weitere Nichtdiskriminierungspraktik ist die Regelung zur Zusammensetzung von Findungskommissionen (FiKo), welche die Besetzung von offenen Führungspositionen und Professor:innen-Stellen verantworten. Gemäss GEM-Konzept wird empfohlen, in der Findungskommission Mitglieder zu nominieren, die einen Unconscious-Bias-Workshop besucht haben. Diese Vorgabe erhöht die Verantwortung der Findungskommission, die Diversity-Sicht zu übernehmen, ohne dass der/die Diversity-Beauftragte in allen Findungskommissionen teilnimmt. In der Praxis wurde dies meistens gut umgesetzt. Manchmal gestaltete sich dies als schwierig, wenn externe Expert:innen zur Teilnahme in Findungskommissionen angefragt wurden. Externe Expert:innen sind wichtig bei der Einschätzung der fachlichen Expertise. Allerdings erfüllen diese Personen nicht automatisch die Voraussetzung, dass sie sich in Diversity-Themen auskennen. Zudem wurde die Diversity-Rolle hinterfragt, vor allem dann, wenn primär eine Frau für die offene Position gewünscht war. Die Zielquote unterstützt es zwar, den Fokus auf Frauen zu legen. Dennoch besteht auch die Gefahr, dass negative Stereotypisierungen verstärkt werden, weil das Geschlecht im Vordergrund steht. Dadurch wird impliziert, dass die kompetente Frau nur aufgrund ihres Geschlechts die Position erhält. Das FiKo-Mitglied mit der Diversity-Rolle sollte dann Signale für negative Stereotypisierungen erkennen und diesen entgegenwirken und nicht bestätigen. In einem Fall wurde der Sinn von Zielquoten stark hinterfragt und über die ungerechte Behandlung von Männern in Rekrutierungsprozessen diskutiert. Wie Leslie betont, besteht bei den Diversity-Praktiken auch das Risiko von negativen Nebeneffekten (Leslie, 2019, S. 546). Beispielsweise berichteten einzelne Personen über ihre wahrgenommene Ungerechtigkeit gegenüber Männern bei der Rekrutierung. Vertrauensgespräche mit der Diversity-Beauftragten oder der Findungskommissionsleitung halfen teilweise, um die Bedürfnisse und Bedenken abzuholen und mit evidenzbasierten Argumentationen (z.B. «Die Zahlen zeigen allerdings, dass Frauen in Professor:innen-Stellen immer noch stark untervertreten sind, was Fördermassnahmen und eine Ungleichbehandlung legitimiert.») entgegenzuwirken. In anderen Fällen wurde z.B. eine erhöhte extrinsische Diversity-Motivation (Leslie, 2019, S. 546) beobachtet, d.h. wenn die Zielquote derart stark im Fokus steht, dass sich das Entscheidungsverhalten nur auf die Zielquote ausrichtet. Die intrinsische Motivation, sich für Gender Equality aus moralischen Gründen einzusetzen, wird dadurch verdrängt. Der Fokus auf die Zielquote wirkt sich auf die Chancengerechtigkeitsbestrebungen kontraproduktiv aus. In solchen Situationen ist es Aufgabe der FiKo-Leitung, die Entscheidung aller Mitglieder abzuholen und starke Bedenken zu berücksichtigen.
Nichtdiskriminierungspraktiken bei der Einschätzung der Kompetenzen
Eine dritte Nichtdiskriminierungspraktik wurde bei der Einschätzung der Kompetenzprofile sowie bei der Selektion und Beförderung von Kandidat:innen eingeführt. Entscheidungen sollen nach dem Prinzip des «achievement relative to opportunity» (Hill, Sacker & Davidson, 2014) getroffen werden. Die akademische Leistung der Personen sollte im Verhältnis zur Chance und Möglichkeit bewertet werden. Dies ist zum Beispiel relevant bei Personen mit familiären Verpflichtungen, die nichtlineare Lebensläufe aufweisen oder Teilzeit arbeiten. Dieses Prinzip führt allerdings häufig zu einem Dilemma bei der Besetzung von Professor:innen-Stellen, weil der Leistungsoutput (z.B. Anzahl und Qualität der Publikationen) sehr wichtig ist, dieser jedoch bei Teilzeit und nichtlinearen Lebensläufen schwerer zu erreichen ist. Führungspersonen berichteten darüber, sich in einem Dilemma zu befinden und sich zwischen Chancengerechtigkeit und hervorragenden Leistungen entscheiden zu müssen. Der Exzellenz-Anspruch ist in der Wissenschaft systemimmanent und läuft den Chancengerechtigkeitsbestrebungen zuwider, denn es bevorzugt den gesunden, vollzeittätigen, männlichen Wissenschaftstyp ohne familiäre Verpflichtungen.
Nichtdiskriminierungspraktiken für Studierende an der SML
Eine wichtige Nichtdiskriminierungspraktik für die Studierenden und Weiterbildungsteilnehmenden ist das Instrument des Nachteilsausgleichs (NTA) für Personen mit Behinderungen oder chronischen Krankheiten. Der NTA ermöglicht ein chancengerechteres Studium. Massnahmen des Nachteilsausgleichs sind beispielsweise verlängerte Prüfungszeiten und Abgabefristen, die Benutzung von Hilfsmitteln, das Ablegen von Prüfungen in ruhigen Räumen etc. Obwohl der NTA im Behinderungsgleichstellungsgesetz (BehiG) verankert ist und Studierende und Weiterbildungsteilnehmende einen rechtlichen Anspruch darauf haben, wird diese Möglichkeit nicht immer genutzt. Beim Thema Behinderung besteht noch hoher Sensibilisierungsbedarf. Häufig verstehen Studierende als Behinderung die gut erkennbaren Behinderungsformen wie z.B. körperliche, geistige oder Sinnesbehinderungen. Menschen z.B. mit einer Lese-Rechtschreib-Störung (Legasthenie), psychischen Erkrankungen oder Neurodivergenzen (z.B. ADHS) werden weniger als Behinderungsformen betrachtet. Zudem gibt es kulturelle Barrieren, sich zu einer Behinderung zu bekennen. Insbesondere Studierende in internationalen Studiengängen, welche nicht primär in einer westlichen Kultur sozialisiert wurden, zeigen Bedenken, ihre Behinderung zu thematisieren. In einzelnen Fällen haben sich Studierende erst nach nichtbestandener Prüfung oder Masterarbeit zu ihrer Krankheit oder Beeinträchtigung bekannt. Die Chancen sind gering, nachträglich einen NTA zu beantragen. Daher ist es zentral, dass Studierende und das Lehrpersonal bezüglich des NTA gut informiert werden.
Ressourcenpraktiken an der SML
Es gibt generelle Ressourcenpraktiken, welche sich an alle Studierenden, Weiterbildungsteilnehmenden und Mitarbeitenden richten. Diese bietet die SML in Kooperation mit der Stabsstelle Diversity an. Dazu gehören die persönliche und fachliche Beratung zu Diversity-sensitiven Themen. Es handelt sich dabei z.B. um Abklärungen für Personen, die sich einer Diversity-Community zugehörig fühlen oder die sich zu einem Diversity-Thema informieren möchten. Insbesondere gehört die persönliche Beratung bei Diskriminierung, Mobbing und sexueller Belästigung dazu. Bei diesen hochsensitiven Themen agiert die Diversity-Beauftragte als «first support», d.h. als erste vertrauliche Anlaufstelle. Dabei ist sie auf das Coaching der Stabsstelle Diversity angewiesen. In der Regel werden die Ratsuchenden an die Stabsstelle für eine weiterführende Unterstützung weitergeleitet.
Zu den organisationsspezifischen Ressourcenpraktiken an der SML zählen insbesondere Sensibilisierungs-, Mentoring- und Führungsentwicklungsprogramme, welche Opportunitäten für Zielgruppen der SML schaffen. Die erste Ressourcenpraktik der SML zielte darauf ab, die Diversity-Kompetenz aufzubauen, alle Mitarbeitenden zu sensibilisieren und einen Ort der psychologischen Sicherheit zu schaffen. Während der Covid-Pandemie wurde die SML-Diversity-Awareness-Veranstaltungsreihe online lanciert. Verschiedene fachliche D&I-Themen wurden zu verschiedenen Diversity-Dimensionen vorgestellt und diese mit den Teilnehmenden im «safe space» diskutiert. Bei der Themenauswahl wurde zudem darauf geachtet, dass sich die Vielfalt der Mitarbeitenden angesprochen fühlt. Nach einer Einführung zum Thema folgten Fachreferate zu den Themen: wirtschaftlicher Nutzen von D&I, unbewusste Vorurteile, Gender Equality und inklusive Rekrutierung, kulturelle Diversität, LGBTIQ+ und Pride, inklusive Sprache, Respekt-Kampagne, Vereinbarkeitsmodelle und Angebot, Männerverständnisse, Nachteilsausgleich, Topsharing, Mentoring-Programme etc. Gewisse Themen werden mit der Stabsstelle Diversity der ZHAW abgestimmt. Wenn wichtige Initiativen oder Kampagnen auf Fachhochschulebene von der Stabsstelle lanciert werden wie z.B. die Präventionskampagne Respekt oder die Einführung des inklusiven Sprachleitfadens, dann werden diese Kampagnen in der Veranstaltungsagenda integriert. Nach bald drei Jahren hat sich die SML-Diversity-Awareness-Reihe über die SML hinaus etabliert und zählt über 120 Mitglieder. In der Veranstaltungsreihe werden Informationen, Präsentationen und Videos geteilt. Daraus haben sich informelle kleine Diversity-Communities gebildet, welche gelernt haben, ihre Bedürfnisse zu thematisieren und an die Fachstelle oder an die Führung zu adressieren.
Eine weitere Ressourcenpraktik der SML ist das jährliche akademische Mentoring-Programm, das gezielt für Akademikerinnen nach der Promotion entwickelt wurde. Das Programm soll die Forscherinnen auf die Kandidatur für Assistenz-, Brücken-Professuren und Professuren vorbereiten und begleiten. Neben drei Workshops werden die Akademikerinnen von erfahrenen Mentor:innen (ZHAW-Professor:innen) persönlich begleitet.
Eine auszubauende Ressourcenpraktik zielt auf die Förderung von Topsharing (d.h. Co-Leitungen) als alternatives und inklusives Führungsmodell für Führungspersonen, welche Familie und Arbeit im vierfachen Leistungsauftrag4 besser vereinbaren möchten. Als Zielgruppen gelten Mitarbeitende mit Potenzial oder erfahrene Führungspersonen, welche ihr Arbeitspensum reduzieren und sich die Führungsarbeit teilen möchten. Die Diversity-Beauftragte durfte in ihrer Forschungsfunktion die Co-Leitungspraxis in einem anderen Departement der ZHAW evaluieren. Daraus ergab sich eine noch zu publizierende Evaluationsstudie (demnächst Frau & Wyss, 2024). Mit den Studienerkenntnissen, welche Potenziale und Herausforderungen im Fachhochschulkontext identifizieren, kann ein adaptiertes Führungsentwicklungsprogramm für Co-Leitungen entwickelt werden. Die ersten Erkenntnisse wurden präsentiert und diskutiert. Weitere Massnahmen werden in naher Zukunft definiert.
Für Studierende hat die Diversity-Beauftragte in Zusammenarbeit mit einer weiteren Dozentin Wahlpflichtmodule in der Lehre angeboten. Das Modul «Strategic Diversity Management» (StDM) wird zum dritten Jahr in Bachelor-Programmen angeboten. Speziell an diesem Modul ist, dass Studierende nach einer theoretischen Einführung zum strategischen Diversity Management, Diversity-HR und Diversity Marketing an realen D&I-Fragestellungen von Unternehmen arbeiten. Sie leiten ein Diversity-Projekt, führen Interviews oder Umfragen durch, schreiben eine Projektarbeit und halten eine Schlusspräsentation. Während des gesamten Moduls werden die Studierenden von den Dozent:innen und Unternehmensvertreter:innen gecoacht. Dadurch lernen sie, das Thema direkt in der Praxis anzuwenden und lernen die unternehmerische Perspektive kennen. In der Weiterbildung wird D&I und DIM noch vereinzelt in ausgewählten CAS vermittelt. Es gibt allerdings Bestrebungen, einen eigenen CAS zu Diversity Management anzubieten. Der CAS soll sich auf die Bedürfnisse der Diversity- und Nachhaltigkeits-Beauftragten sowie Spezialist:innen in HR, Marketing, Kommunikation sowie Compliance ausrichten.
Herausforderungen in der Rolle als Diversity-Beauftragte
Als Diversity-Beauftragte beschreibe ich drei Herausforderungen, welche die Umsetzung eines umfassenden Diversity & Inclusion Management erschweren:
Fokus auf ein Diversity-Thema: Diversity & Inclusion setzt sich idealerweise für die Chancengerechtigkeit aller Personen auseinander, die sich zu einer Diversity-Community zugehörig fühlen oder einer bestimmten Diversity-Dimension zugeschrieben werden. In der aktuellen Diversity-Praxis fehlen oft die zeitlichen und finanziellen Ressourcen, allen Gruppen dieselbe Aufmerksamkeit zu schenken. An der SML liegt aktuell der Fokus auf Gender Equality, weil das Geschlechterverhältnis bei den Führungspositionen und Professor:innen-Stellen verbessert werden muss. Dies hat Auswirkungen wie das Diversity Management in der Organisation wahrgenommen wird. Es verstärkt den Eindruck, dass Diversity nur als Frauenförderungsinitiative verstanden wird. Dies steht aber im Widerspruch zum Diversity-Verständnis generell. Um dem etwas entgegenzuwirken, führte ich in der Diversity-Awareness-Reihe bewusst verschiedene D&I-Themen ein. Dabei wurden Mitarbeitende und Studierende gezielt für Arbeitsgruppen und den Aufbau von verschiedenen Diversity-Communities motiviert, um freiwillige Massnahmen zu Themen der Vereinbarkeit, Behinderung, LGBTIQ+, Race/Ethnizität, sozialem Hintegrund, Religion etc. voranzutreiben.
Persönliche Distanz: Es gibt Situationen, in denen es schwierig wird, die persönliche Distanz als Diversity-Beauftragte zu wahren. In meiner zweiten Rolle als Dozentin kenne ich mich mit den Herausforderungen des vierfachen Leistungsauftrages an Fachhochschulen aus. Es braucht Zeit, um den Kompetenz- und Publikationsnachweis für eine Professur zu erlangen. Wenn daher kompetente männliche Arbeitskollegen wegen der weiblichen Zielquote auf den nächsten Karriereschritt warten müssen, verstehe ich, weshalb sie sich ungerecht behandelt fühlen. Die vertraulichen Gespräche helfen den Personen nur teilweise. Dabei entsteht ein ethisches Dilemma: Auf individueller Ebene nehme ich das Ungerechtigkeitsempfinden der männlichen Arbeitskollegen ernst, auf organisationaler Ebene steht dennoch weiterhin die Erreichung von weiblichen Zielquoten im Vordergrund. Dieses ethische Dilemma kann ich nicht lösen und muss es persönlich aushalten. Dabei hilft der vertrauliche Austausch mit anderen Diversity-Beauftragten.
Medialer Aufruhr: Die mediale und gesellschaftspolitische Diskussion zur Berechtigung von Diversity-Massnahmen an Hochschulen wurde immer wieder in Einzelgesprächen hinterfragt. Zum Beispiel führte der letztjährige mediale und politische Aufruf zur Gendersprache dazu, dass das Diversity Management generell von einzelnen Führungspersonen und Mitarbeitenden hinterfragt wurde. Das fehlende Verständnis für Diversity-Anliegen und der ansteigende Widerstand führen manchmal zur persönlichen Ermüdung. Nicht immer kann ich die Motivation hoch halten und manchmal braucht es Phasen des Rückzugs. Diversity Management ist in der Hochschulpraxis ein langwieriges Unterfangen. Es bedeutet zwei Schritte vorwärts und einen Schritt zurück. Es gehört dazu, kontinuierlich mit Widerständen und unterschiedlichen Anliegen der verschiedenen Zielgruppen umzugehen.
Fazit
Die beschriebenen DIM-Praktiken wurden in den letzten drei Jahren implementiert. Insbesondere die Gender-Equality-Massnahmen zeigen langsam ihre Wirkung, nicht nur in den Zielquoten, sondern im genderinklusiven Klima. Mitarbeitende sprechen offener darüber, was als positiv zu bewerten ist. Die SML-Diversity-Awareness-Reihe hat zudem dazu beigetragen, dass die Faculty, d.h. das wissenschaftliche Lehrpersonal, die Diversity-Themen in ihren Fachbereichen in der Lehre, Weiterbildung und Forschung aufgreift. Diversity, Equity & Inclusion ist als wissenschaftliches Thema angekommen.
Wie dieser Erfahrungsbericht zeigt, braucht es unterschiedliche Praktiken, welche sich einerseits auf Mitarbeitende, Führung, Studierende und Weiterbildungsteilnehmende fokussieren, andererseits die Prozesse, Systeme und organisationskulturellen Normen in Frage stellen und reflektieren. Die DIM-Praktiken zeigen erst mit der Zeit ihre nachhaltige Wirkung, wenn sie nicht nur top-down, sondern auch bottom-up implementiert werden, in Zusammenarbeit und mit Hilfe der Diversity-Stabsstelle und -Kommission, mit HR-Spezialist:innen, Führungspersonen und wissenschaftlichem Personal. Zudem tragen externe Kooperationen mit Unternehmen und NGOs dazu bei, die praxisorientierte Sichtweise besser zu vermitteln. Mit den unterschiedlichen Vernetzungen wird der Wissens- und der Kompetenzaufbau zu Diversity & Inclusion in allen vier Leistungsbereichen erst möglich. Die persönlichen Kontakte helfen, die genannten Herausforderungen bei der Umsetzung anzugehen. Als Diversity-Beauftragte braucht es Ausdauer, Frustrationstoleranz und Resilienz, um mit Rückschlägen umzugehen.
- «Gender» wird hier als Fachbegriff für das soziale, veränderbare Geschlecht verwendet und unterscheidet sich vom biologischen Geschlecht «sex» (vgl. Müller & Sander, 2011, S. 17).
- Nach Max Weber wird Ethnizität als Konzept einer Gruppe von Personen verstanden, die sich anhand gemeinsamer kultureller Kriterien wie Sprache, Religion, Kleidung, Bräuche usw. identifizieren. Ethnizität unterscheidet sich vom Begriff «race» (Bös, 2008, S. 59).
- Da der Begriff «Rasse» als Rassismus begründendes Konstrukt verstanden wird, wird der angelsächsische Begriff «race» kursiv verwendet (vgl. ZHAW 2022: Leitfaden für einen inklusiven Sprachgebrauch)
- Die Fachhochschulen haben einen vierfachen Leistungsauftrag: die Lehre mit Bachelor/konsekutiven Master-Programmen, die Weiterbildung, angewandte F&E und Dienstleistung für die Praxis.
Literatur
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Bräuhofer, M., & Rieder, P. (2021): Diversity Management in Unternehmen. CSR und Inklusion: Bessere Unternehmensperformance durch gelebte Teilhabe und Wirksamkeit, S. 63–77.
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Helmold, M. (2022): Leadership und Change Management. In Leadership: Agile, virtuelle und globale Führungskonzepte in Zeiten von neuen Megatrends (pp. 175–192). Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden.
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Menzi, Chantal; Fischer, Damaris; Frau, Daniela; Cuadra, Noemi, (2022): Digital und divers: das Bewerbungsverfahren der ZHAW neu denken. Winterthur: ZHAW Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften.
Menzi, Chantal; Frau, Daniela; Heimann, Michael (2023): Applied Blind Hiring @ ZHAW. Winterthur: ZHAW Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften.
Müller, C., & Sander, G. (2011): Innovativ führen mit Diversity-Kompetenz. Vielfalt als Chance, 2. Auflage. Haupt Verlag. Bern.
Neschen, A., & Hügelschäfer, S. (2021): Gender bias in performance evaluations: The impact of gender quotas. Journal of Economic Psychology, 85, 102383.
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Zitierte Webseiten (abgerufen 29.01.2024)
ZHAW SML Diversity & Inclusion Management (o.J): https://www.zhaw.ch/de/sml/ueber-uns/diversity-inclusion-management
ZHAW Stabsstelle Diversity (o.J): https://www.zhaw.ch/de/ueber-uns/organisation/rektorat/stabsstelle-diversity/
ZHAW Rektorat (2022): Z-MB-Sprachleitfaden ZHAW. Leitfaden für einen inklusiven Sprachgebrauch. https://gpmpublic.zhaw.ch/GPMDocProdDPublic/Vorgabedokumente_ZHAW/Z_MB_Sprachleitfaden_ZHAW.pdf
United Nations: Sustainable Development Goals – SDG. The seventeen goals. https://sdgs.un.org/#goal_section