22.11.2022
N°2 2022

Zur Geschichte der Erwachsenenbildung

Erste Ansätze einer organisierten Erwachsenenbildung in der Schweiz finden sich bereits im 17. und 18. Jahrhundert, wobei zunächst neben praktischen Fragen primär die moralische Erziehung im Vordergrund stand. Im 19. Jahrhundert entstanden zahlreiche Organisationen, die ihren Hauptzweck in der allgemeinen Weiterbildung Erwachsener sahen – von Arbeiter-Selbsthilfegruppen über Vereine bis zu berufsorientierten Fachschulen. Ab Mitte des 20. Jahrhunderts schliesslich erlebte die Weiterbildung in der Schweiz im Zuge der Bildungsexpansion einen starken Ausbau. Hier wirkte insbesondere der steigende Fachkräftebedarf vonseiten der Unternehmen als treibende Kraft. Seit Einführung des Weiterbildungsgesetzes 2017 wird nun auch vermehrt von einem Weiterbildungssystem gesprochen. 

Diese Meilensteine machen deutlich, dass Erwachsenenbildung immer schon ein heterogenes Feld war, das in vielfältige Kontexte eingebunden und damit stark von gesellschaftlichen Entwicklungen geprägt war. Entsprechend vielfältig sind seit jeher ihre Ziele und Organisationsformen. Eine Publikation, die die Geschichte der Erwachsenenbildung in der Schweiz überblickt und analysiert, gibt es bislang jedoch nicht. Auch in der Forschung werden historische Fragen zur Weiterbildung nur sporadisch und punktuell aufgenommen.

Historisches Wissen kann aber gerade in Zeiten grosser Veränderungen, wie wir sie derzeit erleben, hilfreich sein, um Entwicklungen verstehen und in einen grösseren Kontext einordnen zu können. Dazu möchte die vorliegende Ausgabe der EP beitragen. 

Dabei sind Beiträge zusammengekommen, die prägende Entwicklungsphasen der Erwachsenenbildung analysieren. Die Anfänge organisierter Erwachsenenbildung veranschaulichen Beiträge zur Entstehung der Volkshochschulen (Knüsel) und der Gelehrten Gesellschaften (Schenkel). Zu den Entwicklungen im zwanzigsten Jahrhundert gehörte die Bildungsexpansion der 1960er Jahre (Criblez); im selben Zeitraum begann der Auf- und Ausbau von Bildungsangeboten für Arbeitsmigrantinnen und -migranten (Eigenmann). In diesen Jahrzehnten wirtschaftlichen Aufschwungs mit der dezidierten Ausrichtung der Bildungspolitik auf den Arbeitsmarkt geriet die kulturelle Bildung unter Druck und zuweilen in eine Sinnkrise (Knüsel). 

Von dieser Entwicklung wurden die Weiterbildungsinstitutionen stark geprägt, und die Institutionen haben ihrerseits versucht, ihren Platz darin zu finden und ihre Interessen zu vertreten. Diesen Prozess spiegelt die Geschichte der Schweizerischen Vereinigung für Erwachsenenbildung, wie der Dachverband SVEB bei seiner Gründung 1951 hiess (Rohrer). Dabei zeigt sich, dass in den Institutionen, die diese Geschichte prägten, neben den bekannten Protagonisten auch mehr Visionärinnen am Werk waren, als bisher wahrgenommen wurde (Zimmerli).

Zu den prägenden Entwicklungen seit den 1990er Jahren gehört die zunehmende Professionalisierung der Weiterbildung. Zehn Expertinnen und Experten, die diesen Prozess zum Aufbau andragogischer Berufe mitgestaltet haben, reflektieren Erfolge und Versäumnisse dieser letzten 30 Jahre (Sgier).

Viele der in diesem Band versammelten Beiträge nehmen Bezug auf gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Kontexte. Dies ist kein Zufall, denn tatsächlich hat die Erwachsenenbildung immer schon gesellschaftliche Aufgaben übernommen und besonders in Zeiten grosser Umwälzungen dazu beigetragen, anstehende Herausforderungen zu bewältigen (Kraus). Immer wieder unternehmen die Weiterbildungsakteure auch den Versuch, nicht nur in ihrem eigenen Kontext, sondern auch bei globalen Herausforderungen einen Lösungsbeitrag zu leisten (Nuissl).

Wie immer enthält die EP neben den Beiträgen zum Heftthema eine Carte blanche, die zum Nachdenken über das Heftthema hinaus anregen will. In dieser Ausgabe geht es dabei um die lange Reise des Wissensbegriffs durch die Kulturgeschichte (Omlin).

Ausgangspunkt dieser EP waren aktuelle Problemstellungen . Ziel der Ausgabe ist es, mit der historischen Reflexion Ansatzpunkte dafür zu bieten, die Gegenwart und Zukunft der Weiterbildung besser verstehen und gestalten zu können.

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