Bei der Auseinandersetzung mit (Nicht-)Beteiligung wird oft vergessen, dass Weiterbildungsentscheidungen auch davon abhängen, ob die vermittelten Inhalte für den Lebensalltag der Teilnehmenden relevant sind.

Bei der Auseinandersetzung mit (Nicht-)Beteiligung wird oft vergessen, dass Weiterbildungsentscheidungen auch davon abhängen, ob die vermittelten Inhalte für den Lebensalltag der Teilnehmenden relevant sind.

07.05.2021
N°1 2021

Weiterbildungsentscheidungen in Klein- und Mikrounternehmen – Entscheidungskriterien und -strategien

Der vorliegende Beitrag widmet sich den Weiterbildungsentscheidungen von Geschäftsführerinnen und Geschäftsführern in Klein- und Mikrounternehmen. Ausgehend von der wirtschaftlichen und quantitativen Bedeutung dieser Beschäftigungsgrössenklasse für die schweizerische Unternehmenslandschaft wird der Zwischenstand einer qualitativen Interviewstudie präsentiert, die das Ziel verfolgt, über die Entscheidungen zur betrieblichen Weiterbildung aus der Perspektive der Unternehmensleitungen zu informieren. Zuletzt werden Implikationen für die Förderung der Weiterbildungsteilnahme aus Anbietersicht formuliert.

Einleitung

Weiterbildungsteilnahme wird nicht nur aus verschiedenen empirischen Perspektiven befundet, sondern es werden auch unterschiedlichste Akteure (Teilnehmende, Anbieter, Betriebe, Intermediäre, Politik auf nationaler und internationaler Ebene etc.) betrachtet. Aber auch diverse theoretische Ansätze aus unterschiedlichen Disziplinen, insbesondere der Sozialwissenschaften (Erziehungswissenschaft, (Organisations-)Soziologie, Wirtschaftswissenschaften etc.) werden fruchtbar gemacht (vgl. Beitrag von Kulmus in diesem Heft). Im Feld der betrieblichen Weiterbildung insgesamt herrscht eine Dominanz der grossbetrieblichen Weiterbildungsforschung. Hierauf reagierten Dobischat und Düsseldorf mit der Forderung, die betriebliche Weiterbildung in kleinen und mittleren Unternehmen zu analysieren und «[…] die Ursachen der Weiterbildungszurückhaltung in ihrer Verbindung zu betrieblichen Entscheidungsprozessen gegen Weiterbildung […]» (Dobischat und Düsseldorf 2013, S. 253) zu reflektieren. Im Rahmen der Erörterung verschiedener theoretischer Zugänge zur betrieblichen Weiterbildung konstatierte Käpplinger ferner einen Bedarf u. a. an der «[…] Weiterentwicklung von theoriegestützten und insbesondere erwachsenenpädagogischen Arbeiten in einem interdisziplinären Forschungsfeld» (Käpplinger 2018, S. 679).

Im Folgenden greife ich beide Desiderate auf und widme mich den Perspektiven von Geschäftsführerinnen und Geschäftsführern in Klein- und Mikrounternehmen mit dem Ziel, betriebliche Weiterbildungsentscheidungen nachzuvollziehen sowie eine Typologie betrieblicher Weiterbildungsentscheidungen zu entwickeln, die nicht zuletzt auch für die Anbieter von Weiterbildung anschlussfähig ist und nutzbar gemacht werden kann. Hierfür verweist der vorliegende Beitrag zunächst auf die besondere Rolle von Klein- und Mikrounternehmen in der schweizerischen Unternehmenslandschaft und damit auf ihre wirtschaftliche Bedeutung einerseits, aber auch auf ihr Engagement im Rahmen der betrieblichen Weiterbildung andererseits. Darauffolgend wird ein entscheidungstheoretischer Rahmen skizziert, bevor empirische Befunde einer qualitativen Befragung der genannten Zielgruppe in verschiedenen Wirtschaftszweigen vorgestellt werden. Es ist somit das Ziel des Beitrags, über die Praxis betrieblicher Weiterbildungsentscheidungen in Klein- und Mikrounternehmen empirisch gestützt zu informieren.

Klein- und Mikrounternehmen und die betriebliche Weiterbildung

Die wirtschaftliche Bedeutung der Klein- und Mikrounternehmen lässt sich auf Basis ihres quantitativen Anteils beschreiben, aber auch entlang ihres Einflusses auf das Beschäftigungssystem, ihrer Anteile an der Bruttowertschöpfung oder sogar ihrer regionalen Verteilung in den Kantonen, ihrer Anteile in verschiedenen Wirtschaftszweigen u. v. m. Unabhängig davon, welche Kennzahl herangezogen wird, liesse sich in keinem Fall ihre verhältnismässig geringe Repräsentanz in der Forschungslandschaft der betrieblichen Weiterbildung rechtfertigen. Als das «Rückgrat der Schweizer Wirtschaft» (Bundesamt für Statistik 2020, S. 1) liegt der Anteil der kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) an allen 600 000 Schweizer Unternehmen im Referenzjahr 2018 bei 99,7%, die zusammen Verantwortung für mehr als 67% aller Beschäftigten tragen. Der Anteil der für den vorliegenden Beitrag relevanten Beschäftigungsgrössenklasse, d. h. der Klein- und Mikrounternehmen an allen KMU beträgt 89,7% (Mikrounternehmen, 1–9 Beschäftigte) bzw. 8,5% (Kleinunternehmen, d. h. 10–49 Beschäftigte) (Bundesamt für Statistik 2020, S. 3 f.).

Einen wichtigen Überblick über die betriebliche Weiterbildung und damit über das Engagement der Klein- und Mikrounternehmen in der Schweiz liefern Stutz und von Erlach auf der Grundlage der Erhebungen zur beruflichen Aus- und Weiterbildung sowie der Daten des Mikrozensus des Bundesamts für Statistik mit den Referenzjahren 2015 bzw. 2016 (Stutz und Erlach 2018). Eingeschlossen in die Untersuchung sind alle Aktivitäten, deren primäres Ziel auf der Weiterbildung der Beschäftigten liegt und deren Kosten mindestens anteilig vom Betrieb übernommen werden. Ausgeschlossen ist somit inzidentelles (informelles) Lernen (Stutz und Erlach 2018, S. 6). Trotz ihrer unübersehbaren Relevanz bleiben Mikrounternehmen (<10 Beschäftigte) unberücksichtigt, da sie in der o. g. Erhebung zur beruflichen Aus- und Weiterbildung des Bundesamts für Statistik nicht zur Grundgesamtheit und Erhebungseinheit gehören (Liechti 2017, S. 23). Zumindest mit Blick auf die Kleinunternehmen (<50 Beschäftigte) lassen sich dennoch wichtige Befunde zusammenzufassen:

Von allen Kleinunternehmen sind im Referenzjahr 2015 87% weiterbildungsaktiv, was einem bemerkenswerten Anstieg von 7% im Vergleich zur vorangegangenen Erhebung aus dem Jahr 2011 entspricht. Mit grossen Schritten nähern sich Kleinunternehmen somit den mittleren sowie Grossunternehmen an, die auf eine Aktivitätsquote von 98 bzw. 100% verweisen können (Stutz und Erlach 2018, S. 7). Interne und externe Kurse sind der Goldstandard unter allen Weiterbildungsformaten, allerdings bei Grossunternehmen mit fast 100% deutlich häufiger als bei Kleinunternehmen. Hier fördern nur 70% externe und sogar nur 51% interne Kurse (Stutz und Erlach 2018, S. 8). Diese Unterschiede sind nicht allein mit der insgesamt etwas geringeren Weiterbildungsaktivität der Kleinunternehmen zu erklären. Vielmehr ist es wahrscheinlich, dass Kleinunternehmen aus Kosten- und Organisationsgründen häufiger auf weniger stark formalisierte Formate und Aktivitäten zurückgreifen, wie bspw. Messebesuche, Job-Rotation, Konferenzen etc. Dafür spricht auch der Befund, dass, obwohl Kleinunternehmen ähnlich häufig Beitragszahlungen in Weiterbildungsfonds leisten wie Grossunternehmen (zu 25 bzw. 27%), letztere im Referenzjahr 2015 jedoch dreimal so oft Auszahlungen aus diesen Fonds bzw. andere Subventionen erhielten wie Kleinunternehmen (Stutz und Erlach 2018, S. 12).

Berichtssysteme wie die des Bundesamts für Statistik können in der Regel keine oder nur wenige Auskünfte über explizite Weiterbildungsstrategien oder gar Motive von Weiterbildungsverantwortlichen geben. Diesen widmeten sich Weil, Gonon, Schläfli und Hotz im Rahmen einer Befragung Deutschschweizer KMU in den Jahren 2005–2006 (Weil et al. 2007). Die Datengrundlage bildeten die Sekundäranalyse einer vorausgegangenen quantitativen Befragung (N=1251) sowie eine qualitative Interviewstudie von Weiterbildungsverantwortlichen (N=20) (Weil et al. 2007, S. 5). Im Sample sind sowohl Mikro- als auch kleine und mittlere Unternehmen enthalten. Unter besonderer Berücksichtigung von KMU mit hoher Weiterbildungsaktivität beschreiben die Autoren «gute Praxis» entlang von vier Betriebstypen – organisationsorientiert (1); defizit-ausgleichend und mitarbeiterorientiert (2); problemlösend-bedarfsorientiert (3) sowie aufgaben- und kundenorientiert (4) –, indem sie diese mit Blick auf ihre Weiterbildungsstrategien, Lernformen und -orte, Weiterbildungskooperationen und Zukunftsperspektiven weiter ausdifferenzieren (Weil et al. 2007, S. 29 ff.). Hierbei gelingt es den Autoren, den starken Einfluss unternehmenskultureller Aspekte ebenso wie die Rolle von Vertrauen oder die Kooperation von und Identifikation mit Intermediären (bspw. Verbänden) herauszuarbeiten. Eine Folgestudie liegt leider nicht vor, sie wäre für die weitere Diskussion, Vertiefung und Aktualisierung der Befunde wünschenswert.

Deskriptiver Ansatz zur Analyse von Weiterbildungsentscheidungen

Der im Folgenden vorzustellende Zwischenstand einer qualitativen Studie fokussiert Weiterbildungsentscheidungen in Klein- und Mikrounternehmen aus der Perspektive der Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer, allesamt Weiterbildungsverantwortliche in Personalunion. Ziel der Studie ist es, die Verläufe von Weiterbildungsentscheidungen zu identifizieren sowie über Einflusskriterien und Strategien zu informieren. Hierzu wird in einem ersten Schritt der theoretische Zugang skizziert, bevor im Anschluss auf das empirische Design und zuletzt auf erste Ergebnisse und Implikationen für die Förderung der Weiterbildungsteilnahme eingegangen wird.

Unter einer entscheidungstheoretischen Perspektive wird ein deskriptiver Ansatz verfolgt, der versucht, Entscheidungshandlungen als Teilmenge menschlichen Verhaltens zu verstehen, bei der «[…] die Person p in der gegebenen Situation und zu dem gegebenen Zeitpunkt t0 (1) mindestens zwei alternative Handlungsmöglichkeiten wahrnimmt und (2) sich auf Grund angebbarer Kriterien für eine dieser Handlungsmöglichkeiten entscheidet» (Langenheder 1975, S. 37). Anders als es normative Entscheidungstheorien adressieren würden, geht es nicht darum, die optimale, günstigste, effektivste etc. Entscheidung zu finden, sondern tatsächliche Entscheidungen zu beschreiben. In Anlehnung an die Arbeiten von Cohen und March (Cohen et al. 1972; March 1990) werden Entscheidungen in Organisationen als «garbage can» und Organisationen als Ansammlungen von Auswahlmöglichkeiten verstanden (Cohen et al. 1990, S. 330 f.). Der «garbage can» (dt. Mülleimer) dient als Metapher für das eher zufällige Aufeinandertreffen von Auswahlalternativen, Problemen, Lösungen und Teilnehmenden, aus dem heraus Entscheidungen folgen können, aber nicht müssen. Nicht zuletzt ist dieses Modell eine Absage an die Idee linearer Entscheidungsprozesse, wonach Entscheidungen auf der Grundlage rationaler und wohlkalkulierter Überlegungen getroffen werden, und stellt grundlegende Annahmen wie die Präexistenz von Zwecken, die Konsistenz von Entscheidungshandlungen, das Primat der Rationalität oder die Statik von Präferenzen in Organisationen infrage (March 1990, S. 282 f.). Für Organisationen identifizieren Cohen et al. drei Entscheidungsstile: Lösung, Übersehen und Flucht. Der zu erwartende Stil, wonach eine Entscheidung durch Lösung des Problems erfolgt, ist dabei der mit Abstand seltenste Fall (Cohen et al. 1990, S. 344 f.).

Studiendesign

Die Datengrundlage der vorliegenden Studie umfasst 17 leitfadengestützte Interviews mit Geschäftsführerinnen und Geschäftsführern von Klein- und Mikrounternehmen in Deutschland. Gesampelt wurde entlang der Unternehmensgrössen sowie entlang der deutschen Klassifikation der Wirtschaftszweige mit dem Ziel, eine grösstmögliche Heterogenität der untersuchten Betriebe zu sichern. Im Sample vertreten sind Betriebe von 16 verschiedenen Wirtschaftszweigen. Da sowohl die schweizerische wie auch die deutsche Klassifikation der statistischen Systematik der Wirtschaftszweige in der Europäischen Gemeinschaft (NACE) entsprechen, sind beide Klassifikationen identisch und insofern gelten die in der Studie repräsentierten und in Deutschland erhobenen Wirtschaftszweige ebenso für die Schweiz. Obwohl eine Übertragbarkeit der Ergebnisse damit keineswegs gesichert ist, so kann zumindest konstatiert werden, dass sich die Situation der Klein- und Mikrounternehmen in Deutschland vor dem Hintergrund der o. g. Kriterien wie quantitativer Anteil, Einfluss auf das Beschäftigungssystem etc. sehr ähnlich darstellt.

Das Interviewmaterial beläuft sich auf insgesamt mehr als 16 Stunden und über 400 Transkriptseiten. Für den vorliegenden Beitrag und die Darstellung erster und vorläufiger Ergebnisse konnten insgesamt 9 Interviews und damit etwas mehr als die Hälfte des Samples berücksichtigt werden. Die berücksichtigten Wirtschaftszweige sind verarbeitendes Gewerbe (eine Spezialdruckerei), Erbringung sonstiger wirtschaftlicher Dienstleistungen (ein Callcenter sowie ein Reisebüro), Gesundheits- und Sozialwesen (ein überbetriebliches arbeitsmedizinisches Zentrum), Bergbau (ein Bergbau-Unternehmen), Baugewerbe (ein Unternehmen der Seilzugangs- und Positionierungstechnik), Land- und Forstwirtschaft (eine Agrargenossenschaft), Handel und Reparatur von Kraftfahrzeugen (ein Kfz-Reparaturservice) sowie Erbringung von freiberuflichen, wissenschaftlichen und technischen Dienstleistungen (eine Marketing- und Werbeagentur). Die befragten Personen sind 35 bis 60 Jahre alt. Es handelt sich sowohl um Mikro- als auch um Kleinunternehmen. Befragt wurden die Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer u. a. nach ihrer Werthaltung gegenüber sowie den Erfahrungen mit Weiterbildung, den Gründen der Teilnahme und Nicht-Teilnahme, ihren Entscheidungen zu verschiedenen Aspekten betrieblicher Weiterbildung (Finanzierung, Formalisierung, Formate, Teilnehmerinnen und Teilnehmer, Anbieter, Bedarfsermittlung, Planung, Durchführung etc.), aber auch nach Aushandlungsprozessen und Konflikten. Die Auswertung der Interviews erfolgt induktiv und ist an der Forschungspraxis der Grounded Theory nach Strauss und Corbin (1996) orientiert. Dementsprechend erfolgt im Anschluss an die offene Kodierung des gesamten Materials eine Zusammenfassung inhaltlich ähnlicher Codes zu Kategorien. Jene repräsentieren die inhaltlichen Schwerpunkte für jedes einzelne Interview. Anschliessend wurden die Kategorien im Rahmen des axialen Kodierens und unter Verwendung eines Kodierparadigmas (Strauss und Corbin 1996, S. 78 ff.) strukturiert, indem sie nach Ursachen und Konsequenzen sowie nach Handlungsstrategien und intervenierenden Bedingungen sortiert wurden. Mithilfe von Vergleichen der einzelnen Interviews untereinander konnten vier Kernkategorien abstrahiert werden. Kernkategorien sind dementsprechend die gemeinsamen Referenzpunkte aller Interviews, d. h. Themen, Strategien, Aspekte usw., auf die sich alle Interviews beziehen und die für alle Befragten relevant sind. Entlang dieser Kernkategorien wurde letztlich selektiv codiert. Jene vier Kernkategorien werden im Folgenden als Typisierungsdimensionen bezeichnet, da die unterschiedlichen Bezugnahmen auf sie zur Ableitung von insgesamt fünf Typen führten.

Resultate: Dimensionen von Weiterbildungsentscheidungen und Betriebstypen

Die vier Dimensionen von Weiterbildungsentscheidungen umfassen:

  • die Bildungsbiografie und die damit verbundenen Werthaltungen der Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer gegenüber betrieblicher Weiterbildung,
  • die Bedürfnisse und Qualifikationen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und den Umgang mit dem Wandel zum Arbeitnehmermarkt,
  • die Einzelentscheidungen zu konkreten Weiterbildungsmassnahmen im engeren Sinne sowie
  • den Formalisierungsgrad von Weiterbildungsentscheidungen.

Die erste Dimension «Bildungsbiografie und Werthaltungen gegenüber betrieblicher Weiterbildung» ist zugleich der stärkste Prädiktor für die Begründungen der verschiedensten Weiterbildungsentscheidungen. Sowohl besonders positive wie auch besonders negative Erfahrungen der eigenen Aus- und Weiterbildung dienen als Legitimierung weiterbildungsbezogener Entscheidungen von der Forcierung von Weiterbildung bis zur kategorischen Ablehnung insbesondere formaler Weiterbildungsformate. Es ist insgesamt wenig überraschend, dass die persönliche Werthaltung gegenüber Weiterbildung stärkeren Einfluss auf die Entscheidung hat, ob überhaupt und in welchem Umfang Weiterbildung angeboten wird, als es bspw. umfassende Tätigkeits- oder Bedarfsanalysen haben, die ohnehin nur sehr selten eine Rolle spielen.

Die zweite Dimension, auf die betriebliche Weiterbildungsentscheidungen abheben, sind die den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern unterstellten Bedürfnisse sowie deren Qualifikationsanforderungen im Unternehmen. Entscheidungen über Weiterbildung differenzieren in Abhängigkeit der Komplexität der auszuführenden Tätigkeiten, aber auch in Abhängigkeit der Diversität der vorhandenen und benötigten Qualifikationsprofile. Eindeutig ist zwar, dass mit einem Anstieg der beschäftigten Qualifikationsniveaus sowie der Diversität beschäftigter Qualifikationsprofile die grundsätzliche Bereitschaft, Weiterbildung anzubieten, in allen Fällen steigt. Dennoch ist das Qualifikationsniveau der Beschäftigten allein keine Vorhersagevariable für bestimmte Entscheidungspraktiken. Zur gleichen Kategorie zählen weiterhin Weiterbildungsentscheidungen als Reaktion auf den Arbeitnehmermarkt. Insbesondere die Ambivalenz der Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer, einerseits auf Qualifikationsbedarfe mithilfe von Weiterbildung unbedingt reagieren zu müssen, andererseits aber befürchten zu müssen, gut ausgebildete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter anschliessend zu verlieren und somit hohe Investitionsverluste kompensieren zu müssen, prägen diese Kategorie. Aber auch dann, wenn die Qualifikationsniveaus innerhalb des Betriebs eher gering ausgeprägt sind, wird entscheidungsrelevant, inwieweit es mit «zu gut» ausgebildeten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu Rollenkonflikten kommen könnte.

Die dritte Dimension fasst Aussagen zu konkreten Weiterbildungsmassnahmen zusammen und schliesst insbesondere Entscheidungen zu Inhalt, Format, Anbieter und Kosten einzelner Massnahmen ein. Für die vorliegende Studie wurde ein Weiterbildungsbegriff genutzt, der sich nicht nur auf Massnahmen beschränkt, die mindestens teilweise vom Betrieb finanziert werden und teilweise oder ganz im Rahmen der Arbeitszeit stattfinden. Dieser Weiterbildungsbegriff schliesst alle Arten organisationaler Arrangements ein, die Lernen und die Aneignung neuen Wissens ermöglichen und fördern sollen und als solche von den Interviewpartnerinnen und -partnern deklariert werden. Insoweit solche Arrangements zum organisatorischen Inventar gehören (bspw. Pflege und Nutzung von Wikis, Auslage von Fachzeitschriften etc.), werden sie der betrieblichen Weiterbildung zugeordnet. Wenngleich es sich hierbei um Weiterbildungsentscheidungen im engeren Sinne handelt, verbleiben die Aussagen insbesondere zur Auswahl von Inhalten, Formaten und Anbietern – auch auf Nachfrage im Interview – auf einem überraschend abstrakten Niveau. Üblicherweise wird dem Inhalt attestiert, für die Weiterbildungsentscheidung von herausragender Bedeutung zu sein, und es wird auf ein angemessenes Kosten-Nutzen-Verhältnis abgestellt. Während zumindest die Maximalkosten in der Regel genau beziffert werden können, spiegelt sich das Primat des Inhalts, aber auch die Auswahl von Formaten und Anbietern nur selten in gründlichen Abwägungen und Reflexionen wider.

Die vierte Dimension bezieht sich auf den Formalisierungsgrad von Weiterbildung im Betrieb einschliesslich der Organisation obligatorischer Weiterbildungen, die durch den Gesetzgeber oder Berufsverbände vorgegeben werden. Zwar wurde Weiterbildung in keinem einzigen Fall budgetiert, und nur in Ausnahmefällen liegt eine dezidierte Weiterbildungsstrategie vor, aber eine Vielzahl formaler wie auch informeller Regeln und Strategien konnte in allen Fällen beschrieben werden. Diese reichen von verschiedenen arbeitsvertraglich geregelten Verpflichtungen bis hin zu diversen impliziten Routinen, Regeln und Praktiken, qualitativen und quantitativen Festlegungen etc.

Betriebstypen

Wie beschrieben werden entlang dieser vier Typisierungsdimensionen fünf Betriebstypen unterschieden, wobei zwar jeder Betriebstyp auf die genannten Dimensionen Bezug nimmt, jedoch in je spezifischer und voneinander unterscheidbarer Art und Weise. Unterschieden werden konnten die Typen:

(1) Betriebe mit strategisch-kalkulierten Weiterbildungsentscheidungen

(2) Betriebe mit defensiv-risikoaversen Weiterbildungsentscheidungen

(3) Betriebe mit intuitiv-kreativen Weiterbildungsentscheidungen

(4) Betriebe mit progressiv-risikoaffinen Weiterbildungsentscheidungen

(5) Betriebe mit routiniert-automatisierten Weiterbildungsentscheidungen

Betriebe mit strategisch-kalkulierten Weiterbildungsentscheidungen betonen in den einzelnen Dimensionen ein an Kriterien ausgerichtetes und besonders «rationales» Entscheidungsverhalten. Weiterbildungsentscheidungen werden insofern strategisch getroffen, als ein strategisches Ziel verfolgt wird (bspw. «ich mache aus allen Mitarbeitern Experten» (IP6)). Weiterbildungsentscheidungen werden entlang dieses strategischen Ziels ausgerichtet, das zugleich die Entscheidungspräferenz in allen Dimensionen ist. Im Interview wird dementsprechend nicht nur die eigene Bildungsbiografie als grosses strategisches Projekt dargestellt, sondern auch Ein- und Ausschluss einzelner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Weiterbildung, Formalisierungen u. v. m. erscheinen als Resultat nüchterner und strategischer Auswahlen.

Betriebe mit defensiv-risikoaversen Weiterbildungsentscheidungen treffen Weiterbildungsentscheidungen besonders zögerlich und betonen die mit Weiterbildung verbundenen Risiken und Widerstände von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Formalisierung dient vornehmlich der Absicherung, und die hohe Belastung des Personals sorgt für besondere Schwierigkeiten bei der Organisation von Weiterbildung. In der Folge kommen nur solche Weiterbildungen überhaupt infrage, von denen sicher ist, dass sie den Bedürfnissen des Personals entsprechen und kein Risiko besteht, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter könnten enttäuscht werden.

Betriebe mit intuitiv-kreativen Weiterbildungsentscheidungen verweisen in der vorliegenden Studie auf eher schlechte Erfahrungen insbesondere mit Weiterbildungen in Kurs- und Seminarstruktur. Zentral für diesen Typ ist, dass eine Geschäftsführerin bzw. ein Geschäftsführer wisse, was für das Personal das Beste sei und es wichtig ist, sich auf Intuition und Bauchgefühl anstelle von Standards, umfassenden Bedarfsanalysen o. ä. zu verlassen. Insbesondere wenn das im Betrieb benötigte Qualifikationsniveau relativ niedrig ist, wird in Abrede gestellt, dass sich Investitionen in Weiterbildungsangebote lohnen können. Stattdessen wird auf «kreativere» Methoden verwiesen, wie das Coaching des Personals im Arbeitsprozess durch die Geschäftsführerin oder den Geschäftsführer selbst oder sogar «Tricks», die angeblich mehr Wirkung entfalten als Weiterbildungsangebote in Kurs- und Seminarstruktur.

Betriebe, in denen progressiv-risikoaffine Weiterbildungsentscheidungen dominieren, räumen Weiterbildung einen hohen Stellenwert ein und zeichnen sich durch besondere Offenheit gegenüber neuen Inhalten, Formaten und Anbietern aus. Die Geschäftsführer und Geschäftsführerinnen verweisen auf umfangreiche positive Erfahrungen mit Weiterbildung in der eigenen Bildungsbiografie und begründen damit eine verhältnismässig breite und auch fachunspezifische Offenheit für die Weiterbildung des Personals. Die Risiken werden artikuliert, jedoch in Kauf genommen, und es werden Ressourcen mobilisiert, um ein fortschrittliches Weiterbildungskonzept im Betrieb zu etablieren.

Betriebe mit routiniert-automatisierten Weiterbildungsentscheidungen verweisen auf ein hohes Mass an institutionalisierten Weiterbildungspraktiken. Auffällig ist, dass Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer dieser Betriebe in allen Fällen über einen Studienabschluss verfügen und Weiterbildung als Pflicht oder Selbstverständnis beschreiben. Alle Betriebe dieses Typs verfügen über Tätigkeitsprofile mit hohen Qualifikationsanforderungen und zugleich über eine starke Diversität an Qualifikationsprofilen. Es ist anzunehmen, dass die verhältnismässig vielen Routinen Reaktionen auf die Komplexität der zu treffenden Weiterbildungsentscheidungen sind. Das routinierte Entscheidungsverhalten äussert sich in einer starken Prozessorientierung, d. h. es existieren starke Formalisierungen wie arbeitsvertragliche Festlegungen und Weiterbildungspläne, die dem Abarbeiten verschiedener Inhalte in einem bestimmten Turnus (meist ein Jahr) dienen. Zugleich findet sich bei diesem Typ wenig Spielraum für Veränderungen und Erneuerungen.

Implikationen für Weiterbildungsanbieter

Auch wenn es der vorliegenden Studie primär darum geht, über die Entscheidungspraktiken aus der Perspektive von Geschäftsführerinnen und Geschäftsführern zu informieren, können erste und vorsichtige Implikationen identifiziert werden, die für Weiterbildungsanbieter von Interesse sein könnten. Diese Implikationen adressieren insbesondere Fragen der Weiterbildungsberatung sowie die Bewerbung der Angebote. Es ist wahrscheinlich, dass eine Sensibilisierung für die Entscheidungswege der Unternehmensleitungen das Vertrauen derselben in die Angebote der Anbieter erhöht und damit letztlich die Teilnahme- und Teilhabechancen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verbessert. Zugleich stehen Anbieter vor der Schwierigkeit, dass die oben genannten Typen nicht ohne Weiteres sichtbar sind, weil auf Grundlage der bisherigen Ergebnisse ein Zusammenhang mit bspw. der Branche oder anderen direkt beobachtbaren Indikatoren unsicher oder sogar unwahrscheinlich ist. Die Studienergebnisse können Anbietern aber eine erste Hilfestellung sein, Entscheidungspfade in Klein- und Mikrounternehmen besser nachzuvollziehen und so die Wirkung ihrer Angebote auf die Betriebe besser zu reflektieren.

Davon abgesehen können die Studienergebnisse aber noch in anderer Form nutzbar gemacht werden: Wie beschrieben ist es für Betriebe dieser Beschäftigtengrössenklassen üblich, dass Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer Weiterbildungsentscheidungen für den gesamten Betrieb selbst treffen. Dementsprechend können für Erst- und Beratungsgespräche entlang der dargestellten Typisierungsdimensionen Fragen formuliert werden, mithilfe deren eine Typenanalyse und damit eine stärkere Kundenorientierung möglich wären. Ein praktikables Fragen-Inventar sollte nicht zu offen angelegt sein und sich an den vorgestellten Typen orientieren. Ein Beispiel für eine passende Frage und mögliche Antwortoptionen (hier entlang der vierten Dimension Formalisierungsgrad) wäre:

Welcher Aussage würden Sie in Bezug auf die Organisation von Weiterbildung in Ihrem Betrieb am ehesten zustimmen?

  • Weiterbildung erfolgt nach Plan und wird an den Unternehmenszielen exakt ausgerichtet (als Indiz für Typ I: strategisch-kalkuliert)
  • Ich wäge Weiterbildung länger ab in der Hoffnung, den Bedarf durch die gewählte Weiterbildung genau zu decken (als Indiz für Typ II: defensiv-risikoavers)
  • Weiterbildung ist nicht planbar und muss aus dem Bauch heraus entschieden werden (als Indiz für Typ III: intuitiv-kreativ)
  • Weiterbildungsplanung muss Raum geben, um Neues auszuprobieren (als Indiz für Typ IV: progressiv-risikoaffin)
  • Unsere Weiterbildungen erfolgen regelmässig und Turnus-artig (als Indiz für Typ V: routiniert-automatisiert).

Somit kann das Wissen über betriebliche Weiterbildungsentscheidungen in Klein- und Mikrounternehmen die Weiterbildungsanbieter dabei unterstützen, ihre Angebote noch erfolgreicher zu adressieren, die Teilnahmebereitschaft der Betriebe zu erhöhen und schliesslich mehr Menschen die Teilnahme an Weiterbildung zu ermöglichen.

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Christian Müller, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur für Erwachsenenbildung, Schwerpunkte berufliche Weiterbildung und komparative Bildungsforschung der TU Dresden. Kontakt: christian.mueller13@tu-dresden.de