Technologien zur Unterstützung von personalisierter Aus-, Fort- und Weiterbildung
Bildungsanbieter agieren unter schwierigen Voraussetzungen: Bildungsziele verändern sich dynamisch, Teilnehmendengruppen sind zunehmend heterogen und in der Gesellschaft zeigt sich eine hohe Wertschätzung für personalisierte Produkte und Dienstleistungen. Vor diesem Hintergrund erscheint eine stärkere Personalisierung von Aus-, Fort- und Weiterbildung als vielversprechender Weg. Eine solche Personalisierung kann durch verschiedene Typen von Technologien unterstützt werden: (1) Skills-Tech-Lösungen; (2) Learning-Experience-Plattformen (LXP); (3) intelligente tutorielle Systeme (ITS); und auch (4) ChatGPT1. Allerdings braucht es für den Erfolg mehr als nur technische Lösungen. Ergänzend braucht es die Unterstützung und Befähigung der an Lernprozessen beteiligten Personengruppen.
Personalisierung als Antwort auf Herausforderungen für Aus-/Fort- und Weiterbildung
Bildungsinstitutionen (z.B. der beruflichen Bildung) und Bildungsorganisationen (z.B. Einheiten der betrieblichen Weiterbildung) agieren unter herausfordernden Rahmenbedingungen. Die Bildungsziele (z.B. Berufs-/Kompetenzprofile) verändern sich dynamisch. Die Ziel- und Teilnehmendengruppen sind zunehmend heterogen (z.B. Berufsbiografien mit häufigeren Wechseln zwischen Berufsfeldern). Hinzu kommen übergreifende gesellschaftliche Entwicklungen wie die hohe Wertschätzung für Selbstorganisation und Eigenverantwortung (Ehlers 2020) und eine hohe Wertschätzung für Produkte und Dienstleistungen, die spezifisch auf uns als Konsument:innen zugeschnitten sind. Letzteres gilt zunehmend auch für Bildungsdienstleistungen. Diese sollen, so die verbreitete Forderung, möglichst gut an «meinem jetzigen Stand» anknüpfen und «für mich passend» sein.
Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, inwiefern eine stärkere Personalisierung von Produkten und Dienstleistungen der Aus-, Fort- und Weiterbildung ein Erfolg versprechender Weg für Bildungsverantwortliche und Bildungsorganisationen sein kann. Eine solche Personalisierung eröffnet Potenziale im Hinblick auf:
- das Abholen von Teilnehmenden an unterschiedlichen Ausgangspunkten und das Hinführen zu unterschiedlichen Entwicklungszielen,
- den punktgenauen und effektiven Einsatz von knappen Bildungsressourcen,
- Lernumgebungen, die von den Beteiligten als relevant (und damit als motivierend – vgl. Keller 1987) erlebt werden,
- einen verbesserten Erfolg von Lehr-Lern-Prozessen (vgl. Bloom 1984).
Lehr-Lern-Technologien wird seit vielen Jahren ein grosses Potenzial zur Unterstützung von Lehr-Lern-Prozessen und insbesondere auch der Möglichkeiten für personalisiertes Lernen zugeschrieben (Xie et al. 2019). Im Zuge der fortgeschrittenen Digitalisierung (u.a. Big Data & Analytics, KI-Technologien) sind neue Typen von Plattformen und Lösungen entstanden, die personalisiertes Lernen unterstützen können. Im Folgenden werden vier Typen solcher Lösungen betrachtet:
- Skills-Management-Lösungen (Skills-Tech),
- Learning-Experience-Plattformen (LXP),
- intelligente tutorielle Systeme (ITS), und
- dialogorientierte Lösungen wie ChatGPT.
Differenzierung, Individualisierung, Personalisierung
«Personalisierung» im Kontext von Aus-, Fort- und Weiterbildung ist nichts grundsätzlich Neues. In der Diskussion um differenzierenden bzw. individualisierenden Unterricht im deutschen Sprachraum stehen tendenziell die Rolle und die Gestaltungskraft von Lehrpersonen im Vordergrund. Im angloamerikanischen Raum ist eher von personalisiertem Lernen die Rede und tendenziell steht die Beteiligung und Selbstbestimmung der Lernenden stärker im Vordergrund (Holmes et al. 2018, S. 21).
Euler (2018) hat diese Unterscheidung aufgegriffen und er stellt dem (differenzierenden bzw. individualisierenden) LEHREN verschiedene Ausprägungen von selbstreguliertem LERNEN gegenüber (Abb. 1):
- Bei flexibilisiertem Lernen können die Lernenden zu Aspekten der Lernorganisation wie etwa Raum/Ort und Zeit (mit-)entscheiden.
- Bei selbstorganisiertem Lernen können die Lernenden zusätzlich auch zu Aspekten der methodischen Umsetzung des Lernprozesses (mit-)entscheiden.
- Beim selbstbestimmten oder personalisierten Lernen schliesslich können die Lernenden auch zu den Zielen, die sie im Rahmen ihres Lernprozesses erreichen wollen, (mit-)entscheiden.
Abbildung 1: Lehr-Lern-Prozesse – von standardisiert bis personalisiert (eigene Darstellung in Anlehnung an Euler 2018)
Im Unterschied zu einer solchen Sicht, die unterschiedliche Ausprägungsgrade von selbstreguliertem Lernen betont, plädieren Holmes et al. dafür, verschiedene Dimensionen von personalisiertem Lernen auseinander zu halten, die jeweils als Kontinuum ausgeprägt sein können (2018, S. 22–24).
Abbildung 2: Verschiedene Dimensionen der Personalisierung von Lernen (eigene Darstellung in Anlehnung an Holmes et al. 2018)
Lernende treten nicht als unbeschriebene Blätter in Lehr-Lern-Situationen ein, sondern sie bringen immer schon Gepäck mit: in Form von Vorwissen und Vorerfahrungen; in Form von emotionalen und motivationalen Voraussetzungen; und in Form von Zugehörigkeiten zu beispielsweise Beschäftigtengruppen oder organisatorischen Einheiten. Personalisierte Aus-, Fort- und Weiterbildung zielt darauf ab, diese unterschiedlichen Voraussetzungen zu berücksichtigen und das Herstellen von Passung im Hinblick auf Ziele, Inhalte, Lernpfade, Lerntempi, Sozialformen und Orte des Lernens zu ermöglichen. Wie im Folgenden ausgeführt wird, können Lehr-Lern-Technologien dabei unterstützend eingesetzt werden.
Skills-Tech: Persönliche Profile und Entwicklungspfade
Aktuelle Studien zeigen, dass sich die am Arbeitsmarkt nachgefragten Kompetenzen und Skills dynamisch verändern (Sigelman et al. 2022). Dies und die laufenden Veränderungen in vielen Unternehmen und Organisationen haben zu einem neuerlichen Interesse an systematischem Kompetenz- und Skills-Management geführt. Technische Entwicklungen im Bereich der KI nähren die Hoffnung, dass eine fokussierte, personalisierte und zugleich ressourceneffiziente Umsetzung von Kompetenz- und Personalentwicklung auf der Grundlage von neuen Lösungen für das Skills-Management möglich ist (Bersin 2021).
Diese als Skills-Tech (Bersin) bezeichneten Lösungen integrieren verschiedene Funktionsbereiche. In der Regel sind dies:
- eine Skills-Taxonomie, d.h. ein strukturiertes Inventar von Kompetenzen bzw. Skills,
- die Abbildung von individuellen Skills-Profilen,
- der Abgleich von individuellen Skills-Profilen mit Anforderungsprofilen, beispielsweise Stellen- oder Berufsprofilen (Skills-Gap-Analysen),
- das Aufzeigen von Entwicklungsoptionen bzw. Entwicklungspfaden auf der Grundlage der individuellen Skills-Profile und Skills-Gaps,
- Zugriff bzw. Verlinkung auf relevante Lernressourcen.
Die genannten Funktionalitäten ermöglichen es, Weiterbildungsaktivitäten auf der Grundlage von individuellen Skills-Profilen und individuellen Skills-Gap-Analysen zu fokussieren und zu personalisieren. Die dafür erforderlichen Elemente – (1) Skills-Taxonomien, (2) individuelle Skills-Gap-Analysen sowie (3) Verknüpfungen von Skills und Lernressourcen – können durch Verfahren maschinellen Lernens und maschineller Sprachverarbeitung (KI) teilweise automatisiert erstellt bzw. aktualisiert werden.2 Ein Beispiel für die Umsetzung von Skills-basierter, personalisierter Bildung bietet die Western Governors University (WGU) in den USA. Diese private, Not-for-profit-Online-Hochschule stellt Flexibilität, Kompetenzorientierung, Personalisierung und Arbeitsmarktnähe in den Mittelpunkt.3
Im Rahmen eines Förderprojekts wurde an der WGU ab 2020 eine Architektur für Kompetenz- bzw. Skills-basierte, personalisierte (Berufs-)Bildung entwickelt. Diese Architektur umfasst die folgenden Elemente (vgl. Thorne/Hobbs 2021):
- eine offene Skills-Taxonomie, die über sogenannte Rich Skill Descriptors eine gemeinsame Beschreibungssprache für Kompetenzen bzw. Skills zur Verfügung stellt,
- ein offenes Beschreibungssystem für erworbene Kompetenzen («Achievements»),
- ein offenes System für Leistungsnachweise («Records»), die den Studierenden gehören (und nicht der Hochschule), und
- ein offenes System zur Abbildung von Entwicklungspfaden («Pathways»).
Die Indiana Achievement Wallet als technische Plattform integriert diese Komponenten. Sie ermöglicht Studierenden (ebenso wie Berufstätigen und Studieninteressierten) ihr aktuelles Skills- bzw. Kompetenzprofil übersichtlich darzustellen, Skills und Skills-Nachweise zu verwalten und mögliche Karrierepfade auf der Grundlage des jeweils eigenen Skills-Profils einzusehen bzw. zu verfolgen.
LXP: Gefilterte Sicht auf relevante Lernmaterialien
Im Zuge der Digitalisierung ist die Menge an verfügbaren digitalen Lernmaterialien so stark angewachsen, dass eine Übersicht ohne technische Hilfsmittel oft nicht mehr möglich ist. So umfasst beispielsweise die Bibliothek von LinkedIn Learning mehr als 18’000 Kurse.
Learning-Experience-Plattformen (LXP, Bersin 2019) sind bereits an vielen Orten etabliert.4 Diese Plattformen zeichnen sich durch drei Leistungsmerkmale aus: Zum einen ermöglichen sie den Zugriff auf Lernressourcen aus verschiedensten Quellen an einer zentralen Stelle. Zweitens ermöglichen sie eine individuelle Filterung dieser umfangreichen Ressourcen, die auf dem jeweils eigenen Benutzerprofil mit Angaben beispielsweise zu Organisationseinheit, Interessen, Lernhistorie, präferierter Sprache usw. basiert. Die für die Filterung bzw. für die Empfehlungen genutzten Algorithmen basieren auf maschineller Sprachverarbeitung und maschinellem Lernen (genauer dazu Spirgi/Tronsberg 2022, S. 232f.). Und drittens verfügen sie über eine Benutzeroberfläche, die die gefilterten Inhalte in einer Weise verfügbar macht, wie wir sie von aktuellen Medienplattformen wie etwa Netflix kennen.
Auch der von LinkedIn lancierte LinkedIn Learning Hub gehört in die hier behandelte Kategorie der LXP-Plattformen. Infineon Technologies, ein deutscher Hersteller von Halbleiterlösungen, nutzt LinkedIn Learning bereits seit einigen Jahren. Nach einer Pilotierung im Jahr 2018 ist diese Plattform seit Sommer 2019 global für alle Beschäftigten mit PC-Arbeitsplatz verfügbar. Und seit 2022 auch für Mitarbeitende in der Produktion und ohne eigenen PC – beispielsweise über spezielle Lernstationen (Spirgi/Tronsberg 2022, S. 238, 242).
Die Erfahrungen bei Infineon Technologies zeigen, dass die Einführung einer LXP kein Selbstläufer ist und nicht automatisch zu einer veränderten Lernkultur mit mehr praktizierter Eigenverantwortung führt. Eine grosse Herausforderung für die Bildungsverantwortlichen besteht darin, in der Breite der Belegschaft eine routinemässige Nutzung der Plattform zu erreichen. Erfolgsfaktoren dafür sind u.a. das frühe Einbinden von wichtigen Promotoren wie dem Betriebsrat, das Kuratieren von Inhalte-Sammlungen zu relevanten Themen durch Fachverantwortliche und die systematische Integration der Plattform in HR-Prozesse, Onboarding- und Führungskräfte-Programme (Spirgi/Tronsberg 2022, S. 243).
ITS: Individuelle Pfade durch Lernmaterialien
Intelligente tutorielle Systeme (ITS) ermöglichen ebenfalls personalisiertes Lernen.5 Aber hier geht es weniger um personalisierte Karriere- oder Entwicklungspfade oder um individualisierte Zusammenstellungen von Lerninhalten. Vielmehr geht es um das Führen und Unterstützen der Lernenden im Prozess der Bearbeitung von Lerninhalten.
ITS verarbeiten kontinuierlich Prozessdaten dazu, über welche Wissensbestände ein:e Nutzer:in bereits verfügt. Davon ausgehend werden den Nutzer:innen jeweils sehr kleinschrittig nächste Aufgaben bzw. nächste Wissenseinheiten zur Bearbeitung zugewiesen. Möglich wird dies, weil ITS aus drei zentralen Bausteinen bestehen, die eine Anpassung an einzelne Lernende ermöglichen (Sottilare 2015; Bagheri 2015):
- Das Domänen-Modell beinhaltet u.a. Informationen zu fachlichen Inhalten, zu Lernobjekten (Beispiele, Grafiken, Übungsaufgaben etc.) und zu deren Abhängigkeiten voneinander.
- Das Lernenden-Modell beinhaltet u.a. Informationen dazu, welche Elemente des Domänen-Modells der bzw. die jeweilige Lernende bereits bearbeitet hat und beherrscht.
- Das tutorielle Modell beinhaltet u.a. Informationen zu möglichen Lernpfaden oder wann und in welcher Form den Lernenden Feedback gegeben wird.
Adaptive Lernumgebungen unterscheiden sich insbesondere darin, wie kleinschrittig die Anpassung an die Lernenden erfolgt. Im einfachsten Fall wird nur geprüft, ob Lernende eine Lernaufgabe (repräsentiert durch ein einzelnes Objekt, beispielsweise eine Aufgabe bzw. ein Test-Item) bewältigen können oder nicht. Andere ITS dagegen verfolgen einzelne Schritte im Verlauf der Bearbeitung einer Aufgabe und geben entsprechende Hinweise zur Aufgabenbearbeitung (VanLehn 2011).
Zu beachten ist, dass die Lernerfahrung mit einem intelligenten tutoriellen System für die Nutzer:innen deutlich anders ist als mit etablierten digitalen Lernmedien wie z.B. WBT. Die Nutzer:innen erleben dies zum Teil als irritierend («kein roter Faden») oder auch als Gängelung durch die Lernumgebung. Sie müssen darauf vorbereitet werden, dass sie kontinuierlich über kurze Frage-Antwort-Sequenzen durch die Lerninhalte geleitet werden. Und sie müssen darauf vertrauen, dass die Lernumgebung den für sie schnellsten Weg zum vollständigen Beherrschen der Inhalte ermittelt (Meier 2020).
Intelligente tutorielle Systeme (ITS) finden insbesondere im Gesundheitswesen bereits Anwendung. Ein Beispiel ist das Ostschweizer Schulungs- und Trainingszentrum (OSTZ) als Teilorganisation des Kantonsspitals St. Gallen. Das OSTZ bietet fachärztliche Fortbildungen an und hat den Auftrag, für ca. 250 Assistenzärzt:innen bzw. angehende Fachärzt:innen eine modernisierte fachärztliche Fortbildung in Bereichen wie Chirurgie, Orthopädie, Neurochirurgie oder Gynäkologie umzusetzen. Auf der Grundlage der ITS-Plattform area9Rhapsode wurden eine Reihe von adaptiven Lerneinheiten realisiert, in denen die Lernenden jeweils auf dem für sie schnellsten Weg zum Nachweis von erforderlichem Wissen bzw. von erforderlichen Kompetenzen geführt werden. Eine begleitende Wirksamkeitsforschung ist geplant, Ergebnisse dazu liegen aber noch nicht vor.
Die Benutzeroberfläche der bei OSTZ eingesetzten Plattform area9Rhapsode ist wie folgt aufgebaut. Im Zentrum befinden sich die kurzen Frage- und Wissenselemente, über die der Lernprozess angetrieben wird (Meier 2020). Daneben gibt es einen Bereich, über den man sich und sein Vorwissen für das Thema der Lerneinheit einschätzen kann. Dies ist ein Parameter für die Algorithmen, die jeweils benutzerspezifisch die nächsten Wissenselemente vorschlagen. Ebenfalls angezeigt wird die bisherige Progression in der Lerneinheit und die vom System prognostizierte Dauer bis zu deren Abschluss. Zudem können die Lernenden Informationen zum Stand der Bearbeitung der Lerneinheit anzeigen lassen, zu ihrer Beharrlichkeit bei der Bearbeitung und dazu, wie gut sie ihren eigenen Wissensstand einschätzen können.
ChatGPT: Dialoge zu persönlich relevanten Wissensgebieten
Seit der Veröffentlichung von ChatGPT Ende November 2022 gibt es viel Aufmerksamkeit für diesen vortrainierten Transformations-Algorithmus. Dies gilt insbesondere auch im Bereich der Bildung. Schliesslich kann diese KI-Anwendung unter anderem Texte in bisher nicht gekannter Qualität erzeugen sowie Computer-Code und Bilder generieren. Experimente haben gezeigt, dass diese KI-Anwendung auch Prüfungen an Hochschulen erfolgreich bewältigen kann (u.a. Basiouny 2023).
In welcher Weise KI-Anwendungen wie ChatGPT die Bildungslandschaft verändern werden, ist noch nicht absehbar. Vieles ist noch unklar – angefangen von Lizenzmodellen bis hin zu Urheberrechten an den erzeugten Texten und Bildern. Aber die Exploration und Diskussion dazu sind in vollem Gang (vgl. u.a. Mohr et al. 2023). Denkbar ist beispielsweise, dass Lernende fokussierende Frage-Antwort-Dialoge zu für sie interessanten Themen mit der KI-Anwendung durchspielen. Allerdings muss sich noch zeigen, wann man sich auf die Ausgaben von ChatGPT verlassen kann und wann nicht.6
Technische Lösungen allein genügen nicht
Personalisiertes Lernen, so der Ausgangspunkt für diesen Beitrag, zielt darauf ab, die unterschiedlichen Voraussetzungen von Lernenden zu berücksichtigen und eine individuelle Passung im Hinblick auf Ziele, Inhalte, Lernpfade, Lerntempi, Sozialformen und Orte des Lernens zu ermöglichen. Neuere technische Lösungen können personalisiertes Lernen auf unterschiedlichen Ebenen und in unterschiedlicher Weise unterstützen:
- Lösungen für das Kompetenz- bzw. Skills-Management (Skills-Tech) können individuelle Kompetenz- bzw. Skills-Profile sichtbar machen, relevante Entwicklungspfade aufzeigen sowie auf dafür relevante Kurse oder Lernressourcen verweisen.
- Learning-Experience-Plattformen (LXP) ermöglichen eine gefilterte Sicht auf persönlich relevante Lerninhalte und Lernressourcen.
- Intelligente tutorielle Systeme (ITS) ermöglichen einen personalisierten Pfad durch die Inhalte einer adaptiven Lerneinheit und damit den individuell schnellsten Weg zum Lernziel bzw. zum Nachweis von gefordertem Wissen.
- Dialogorientierte Anwendungen wie ChatGPT können eine dialogisch geführte Exploration von persönlich interessierenden Wissensgebieten unterstützen.
Eine wichtige Rolle beim personalisierten Lernen spielt die Selbstregulation – auch wenn das personalisierte Lernen durch technische Lösungen unterstützt wird. Erfolgreiche Selbstregulation in Lernprozessen ist anspruchsvoll und erfordert motivationale Voraussetzungen (Motivation für Lernen), emotionale Voraussetzungen (Zuversicht in den Erfolg bei entsprechender Anstrengung), kognitive Voraussetzungen (z.B. Vorwissen) und metakognitive Voraussetzungen (z.B. die Fähigkeit, sinnvolle Ziele zu setzen und den eigenen Lernprozess zu beobachten und zu steuern) (vgl. u.a. Metzger 2010; Schunk/Usher 2013).
Was bedeutet dies für Bildungsverantwortliche bzw. für Institutionen der Aus-, Fort- und Weiterbildung? Wenn eigenverantwortliches und personalisiertes Lernen als Säule der Lernarchitektur verankert bzw. (weiter-)entwickelt werden soll und wenn die damit verbundenen Nutzenpotenziale gehoben werden sollen, dann braucht es ein wirksames Zusammenspiel verschiedener Elemente. Es braucht auf der einen Seite einen überlegten Einsatz von geeigneten Technologien bzw. Plattformen. Und es braucht auf der anderen Seite die Befähigung derjenigen, die an diesen Lernprozessen beteiligt sind:
- Lernende müssen in ihrer Fähigkeit zur Selbstregulation in Lernprozessen gestärkt werden. Beispielsweise durch das Trainieren von relevanten Techniken und Methoden (Reinmann/Eppler 2008),
- Bildungsverantwortliche (Lehrpersonen etc.) müssen dabei unterstützt werden, ihre eigene Rolle in Richtung von Lernbegleitung, Lernberatung und Lerncoaching systematisch weiterzuentwickeln (Perkhofer-Czapek/Potzmann 2016);
- und schliesslich müssen Vorgesetzte und Führungskräfte im betrieblichen Kontext in die Lage versetzt werden, lern- bzw. entwicklungsförderlich zu führen (Seufert et al. 2016).
- In diesem Beitrag werden an verschiedenen Stellen Beispiele für konkrete technische Lösungen verschiedener Anbieter genannt. Dies beinhaltet keine Aussage zur Qualität oder Eignung der genannten Lösungen.
- Beispiele für Lösungen zur systematischen Unterstützung von Skills-basierter Personalentwicklung sind unter anderem Cobrainer, Edcast by Cornerstone, HR-Forecast, MuchSkills, People-Analytix oder SkyHive (Meier 2023).
- Vgl. https://www.wgu.edu/about/story/cbe.html.
- Bekannte Produkte dieses Typs sind beispielsweise die Plattformen von Degreed, Edcast (inzwischen Teil von Cornerstone), LearningPool oder Valamis.
- Beispiele für ITS, die insbesondere an US-amerikanischen Hochschulen bereits einige Verbreitung gefunden haben, sind etwa Knewton oder ALEKS. Im europäischen bzw. deutschsprachigen Raum sind beispielsweise area9 oder bettermarks bekannt.
- Beispielsweise «halluzinierte» die KI-Anwendung in einem vom Autor iniziierten Dialog eine wissenschaftliche Quelle, die es gar nicht gibt.
Literatur
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