Kooperation und Konkurrenz im Horizont digitaler Plattformen
Digitale Plattformen nehmen eine zunehmend grössere Rolle für Weiterbildungsorganisationen ein, indem sie ihnen zusätzliche Möglichkeiten zur Gestaltung des organisationalen Handelns bieten. Dies gilt auch für Kooperations- und Konkurrenzbeziehungen. Im vorliegenden Beitrag wird aus einer techniksoziologischen Perspektive diskutiert, welche Rolle digitale Plattformen bei der Gestaltung von Kooperations- und Konkurrenzkonstellationen von Weiterbildungsorganisationen spielen und welche Limitierungen aufgrund der Konstruktionsweise von digitalen Plattformen bestehen. Es wird gezeigt, dass Weiterbildungsorganisationen vor allem dann von diesen digitalen Architekturen profitieren können, wenn sie sich an ihrer (Weiter-)Entwicklung beteiligen.
Digitale Plattformen in der Weiterbildung
Weiterbildungsorganisationen unterliegen einem permanenten Wandel, der bspw. von veränderten gesetzlichen Rahmenbedingungen, wechselnden Bedarfen von Zielgruppen oder gesellschaftlichen Entwicklungen angestossen werden kann. Die Bedeutungszunahme von digitalen Plattformen in der Weiterbildung (Alke, 2022a) lässt sich mit der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung der sogenannten Plattformisierung in Zusammenhang bringen. Dieser Begriff umschreibt die Tendenz, dass immer mehr lebensweltliche Handlungen wie etwa Konsumverhalten (bspw. Online-Handel), sozialer Austausch (bspw. soziale Medien) oder auch Bildung und Lernen (bspw. Lernmanagementsysteme) über digitale Architekturen realisiert werden, die explizit als Basis für den Austausch von Informationen, Dienstleistungen und/oder Produkten zwischen Akteuren designt wurden (Eisenegger, 2021). Die Verfügbarkeit dieser digitalen Architekturen eröffnet den Akteuren aus Perspektive der digitalen Transformation (Schrape, 2021) zusätzliche Möglichkeitsräume für organisationales Handeln. So können bspw. Weiterbildungsangebote über geografische Räume und ggf. Zeitzonen hinweg beworben, Rahmenbedingungen für die Einführung von mobilem Arbeiten bzw. Homeoffice geschaffen oder auf Führungsebene zusätzliche Optionen zum Informationsaustausch mit anderen Führungskräften jenseits der leiblichen Anwesenheit genutzt werden.
Ausgehend von den Möglichkeitsräumen, die mit der Verfügbarkeit von digitalen Plattformen im Mehrebenensystem der Weiterbildung (Schrader, 2019) verbunden sind, wird im vorliegenden Beitrag die sektorale Eingriffstiefe von digitalen Plattformen – verstanden als ihr Potenzial für weitreichende Veränderungen – zur Gestaltung von Kooperations- und Konkurrenzkonstellationen in der Weiterbildung ausgelotet. Dabei wird die Organisationsebene der Weiterbildung in den Blick genommen, da in den auf dieser Ebene agierenden Weiterbildungsorganisationen rechtliche Rahmenbedingungen, Umweltkontexte des organisationalen Feldes, organisationskulturelle Praktiken und Artefakte sowie professionelles Handeln und die damit verbundenen makro- und mikrodidaktischen Interaktionen zusammenkommen.
Im Beitrag wird zunächst eine techniksoziologische Perspektive auf digitale Plattformen als Phänomene der digitalen Transformation eröffnet. Im Fokus steht dabei die Unterscheidung zwischen der von aussen sichtbaren Plattform als sozialer Handlungsraum und den sie strukturierenden Plattformorganisatoren. Daran anknüpfend werden die Implikationen dieser Konstellation für die Nutzung digitaler Plattformen zur Gestaltung von Kooperations- und Konkurrenzkonstellationen aufgezeigt. Dabei erfolgt eine zweifache Betrachtung von digitalen Plattformen als Instrument einerseits und als Gegenstand von Kooperations- und Konkurrenzkonstellationen andererseits. Den Abschluss des Beitrags bildet ein Ausblick, in dem die Grenzen der Möglichkeitsräume, die mit digitalen Plattformen verbunden sind, diskutiert werden.
Digitale Plattformen als Phänomene der digitalen Transformation
Die digitale Transformation aus techniksoziologischer Perspektive
Veränderungen, die mit der Verfügbarkeit von digitalen Plattformen in der Weiterbildung und ihren Organisationen einhergehen, lassen sich aus einer techniksoziologischen Perspektive als Phänomene der digitalen Transformation beschreiben (Schrape, 2021). Im Fokus stehen sämtliche Veränderungen «unter dem Eindruck grundlegend neuer technologischer Möglichkeiten» (Dolata, 2021, S. 202) und die Frage nach der Reichweite dieser Veränderungen. Entgegen den vielfach in unternehmerischen Kontexten und der entsprechenden Ratgeberliteratur vorfindbaren Vorstellungen von disruptiven Auswirkungen digitaler Technologien geht der hier vorgestellte Ansatz von einem graduellen Transformationsverlauf aus. Die Dynamik bzw. das Ausmass des sektoralen Wandels wird als Verhältnis von sektoraler Eingriffstiefe der neuen Technologie(n) und der Adaptionsfähigkeit des Sektors und seiner Akteure betrachtet. Auf die Weiterbildung übertragen wird damit in den Blick genommen, welches Potenzial die Technologien für weitreichende Veränderungen bspw. von Angebotsstrukturen, Kommunikationswegen oder Geschäftsmodellen besitzen (sektorale Eingriffstiefe), wie offen die Strukturen bzw. Akteure der Weiterbildung (von internationalen Konzernen über landesweit agierende Verbände bis hin zu lokalen Weiterbildungsanbietern) sind und inwiefern sie dieses Potenzial aufgreifen können (sektorale Adaptionsfähigkeit). Aus dem Zusammenspiel des sektoralen Veränderungsdrucks, der aus der sektoralen Eingriffstiefe resultiert, und der Aufnahmebereitschaft und Verarbeitungskapazität, die aus der sektoralen Adaptionsfähigkeit resultiert, ergibt sich ein mehr oder weniger lang andauernder Umbruch, der als graduelle Transformation bezeichnet wird. Diese ist nicht nur durch eine ungewisse Dauer, sondern auch durch eine Vielfalt an Varianten des sukzessiven organisationalen, strukturellen und institutionellen Wandels gekennzeichnet. Die neuen technologischen Möglichkeiten können
- «das technologische Profil des Sektors verändern, vorhandene Wissensgrundlagen und Kompetenzen erweitern beziehungsweise zerstören;
- die bestehenden Forschungs- und Entwicklungs-, Produktions-, Distributions- und Marktstrukturen beeinflussen;
- die etablierten Akteure unter Veränderungsdruck setzen, das Entstehen neuer Akteure begünstigen und die sektoralen Akteurfigurationen insgesamt in Frage stellen;
- neue Formen kooperativer Interaktion und Konkurrenz ermöglichen beziehungsweise erzwingen sowie
- institutionelle Neujustierungen (zum Beispiel in Gestalt rechtlich-regulativer Rahmensetzungen oder in Form von veränderten sektoralen Leitorientierungen) notwendig machen» (Dolata, 2021, S. 208).
Für die Weiterbildung impliziert diese techniksoziologische Perspektive, dass die Verfügbarkeit von digitalen Plattformen nicht zu plötzlichen und/oder grundlegenden Änderungen von organisationalen Abläufen, Kommunikationskanälen oder Geschäftsmodellen führen muss, sondern sich stattdessen in den Weiterbildungsorganisationen vielfältige Such- und Selektionsbewegungen im Umgang mit dieser neuen Technologie zeigen können. Somit ermöglicht diese Perspektive eine Betrachtung des Wandels als facettenreichen Prozess, in dem sich den Weiterbildungsorganisationen vielfältige Adaptionsmöglichkeiten der Potenziale dieser digitalen Architekturen bieten.
Digitale Plattformen als Hybrid aus Plattformorganisator und sozialem Handlungsraum
Digitale Plattformen können im Anschluss an van Dick und Poell (2018) als von Menschen programmierbare digitale Architekturen, die zur Organisation von Interaktion zwischen Nutzenden (bspw. Einzelpersonen, Unternehmen oder öffentliche Einrichtungen) designt wurden, verstanden werden. Als Interaktion gelten dabei verschiedene Formen des Austauschs; so können über Plattformen «Daten ausgetauscht, private wie öffentliche Kommunikation strukturiert, Arbeit und Märkte organisiert, ein sich fortlaufend ausdifferenzierendes Spektrum an Dienstleistungen angeboten und digitale wie nichtdigitale Produkte vertrieben werden» (Eisenegger, 2021, S. 20). Wie diese Aufzählung erahnen lässt, finden diese digitalen Architekturen in vielen Bereichen der menschlichen Lebenswelt Anwendung. Vergleichsweise weit verbreitet sind gegenwärtig Plattformen wie Airbnb (Unterkunftsvermittlung), Amazon (Online-Handel), Instagram (interpersonaler Austausch), Netflix (Videostreaming), Spotify (Audiostreaming) oder Uber (Vermittlung von Fahrdienstleistungen). Auch im Bereich der Weiterbildung finden sich Plattformen wie Digicomp, iMoox, Udacity, vhs.cloud, WBS oder weiterbildung.swiss, die Funktionalitäten von der Bewerbung von Weiterbildungsangeboten bis hin zu ihrer Bereitstellung oder auch zur Vernetzung von Lehrenden abdecken.
Für die Einschätzung der sektoralen Eingriffstiefe von digitalen Plattformen bzw. ihres Potenzials für Weiterbildungsorganisationen ist der hybride Charakter dieser digitalen Architekturen wichtig. Dieser ist insofern hybrid, als die nach aussen sichtbare Plattform nicht ausschliesslich aus dem sozialen Handlungsraum besteht, den die Nutzenden zur Interaktion nutzen können. Vielmehr sind in diese digitalen Architekturen auch alle Entscheidungen eingeschrieben, die die Personen und/oder Organisationen getroffen haben, denen die digitale Plattform gehört. Aus techniksoziologischer Perspektive bilden diese Personen und/oder Organisationen den organisierenden Kern, in dem auf Basis von strategischen Entscheidungsfindungs- und Managementprozessen die Verfasstheit der Plattform bestimmt wird. In diesem Zusammenhang fungieren diese Personen und/oder Organisationen als Plattformorganisatoren (Kirchner, 2022), die «(Weiter-)Entwicklung, Strukturierung, Regulierung und Kontrolle der Plattformen» (Dolata & Schrape, 2022, S. 21) betreiben. Demgegenüber kann die eigentliche Plattform als sozialer Handlungsraum für Dritte begriffen werden, der zu spezifischen Formen des Austauschs genutzt werden kann. Dabei ist zu beachten, dass der jeweilige Austausch nicht in jeder beliebigen Art und Weise ablaufen kann, sondern vordefiniert ist. Diese Strukturierung erfolgt durch den Plattformorganisator über die Festsetzung sozialer Regeln und Normen (oft in Form von Geschäftsbedingungen oder Community-Standards) und deren Einschreibung in die technologischen Infrastrukturen der jeweiligen Plattform (Dolata & Schrape, 2022).
Digitale Plattformen als Instrument in und Gegenstand von Kooperations- und Konkurrenzkonstellationen
Die sektorale Eingriffstiefe digitaler Plattformen in der Weiterbildung lässt sich anhand verschiedener Phänomene dokumentieren. Dazu gehört bspw. die Präsenz neuer Akteure, deren Geschäftsmodell primär auf der Nutzung solcher digitalen Architekturen beruht (Grotlüschen, 2018, Schenkel, 2019). Aber auch traditionellen Akteuren des Sektors bieten sich durch digitale Plattformen neue Möglichkeitsräume des organisationalen Handelns.
Dabei lässt sich zunächst feststellen, dass digitale Plattformen das organisationale Medienrepertoire ergänzen und damit das technologische Profil der Weiterbildung erweitern. Exemplarisch zeigt die wbmonitor‑Umfrage 2021 für Deutschland auf, dass 2021 bereits 67% der befragten Weiterbildungsanbieter (n = 628) solche digitalen Architekturen nutzten, um bspw. Bildungsmedien bereitzustellen bzw. auszutauschen, diese (un)mittelbar in die Lehr-Lern-Interaktion einzubauen oder Lehrenden und Lernenden zusätzliche Kommunikationskanäle bereitzustellen (Koscheck et al., 2022).
Darüber hinaus liegen zum aktuellen Zeitpunkt kaum belastbare Kennzahlen zur Nutzung von digitalen Plattformen in anderen Bereichen organisationalen Handelns wie etwa dem Management, Bildungsmarketing oder der Gestaltung von Kooperationsbeziehungen vor. In verschiedenen digitalen Plattformen wie der vhs.cloud dokumentiert sich jedoch das Potenzial, sowohl organisationsinterne Handlungen bspw. im Bereich der Verwaltung zu strukturieren als auch Kooperationsmöglichkeiten mit anderen zivilgesellschaftlichen Akteuren zu öffnen (Deutscher Volkshochschul-Verband, 2019).
Um die sektorale Eingriffstiefe von digitalen Plattformen im Kontext von Kooperations- und Konkurrenzkonstellationen einzuschätzen, gilt es zunächst das Verhältnis von Kooperation und Konkurrenz zu umreissen: Kooperation kann als zielgerichtetes organisationales Handeln mit anderen Akteuren zum Erreichen spezifischer Zielsetzungen verstanden werden. Dieses Handeln unterliegt einem multidimensionalen Horizont von «bildungspolitischen Steuerungsansprüchen, organisationalen Eigenlogiken und den Motiven und Interessen ihrer beteiligten Akteure» (Alke, 2022b, S. 257), wobei die letztgenannten Partikularinteressen auf das Potenzial für Konkurrenzkonstellationen, also das kompetitive Handeln mehrerer Akteure im Kontext von Knappheit und/oder konfligierender Zielsetzungen verweisen. Vor diesem Hintergrund sind Kooperation und Konkurrenz in einem relationalen Verhältnis zu betrachten. Dies hat zur Folge, dass sich die Verfügbarkeit digitaler Plattformen für Weiterbildungsorganisationen auf beide Phänomenbereiche auswirken und ggf. neue Formen von Kooperation und Konkurrenz erzeugen kann (Dolata, 2021).
Innerhalb von relationalen Kooperations- und Konkurrenzkonstellationen können digitale Plattformen idealtypisch in zweifacher Weise eine Rolle spielen. Einerseits bilden sie ein Instrument im Kontext von Kooperations- und Konkurrenzkonstellationen, andererseits stellen sie ihren Gegenstand dar.
Digitale Plattformen als Instrument in Kooperations- und Konkurrenzkonstellationen
Digitale Plattformen können genutzt werden, um den Austausch zwischen den Beteiligten der Kooperationen über Entfernungen und Zeitzonen hinweg zu gestalten. Dabei unterstützen sie auf Basis der von Plattformorganisatoren festgelegten sozialen Regeln und Normen sowie technischen Standards den Austausch von Dateien und Möglichkeiten der synchronen und asynchronen Kommunikation zwischen den Beteiligten. Ein Beispiel dafür bildet die Bearbeitung der Anforderungen, die mit der digitalen Transformation für Weiterbildungsorganisationen einhergehen. In diesem Kontext nutzen Leitungskräfte von Volkshochschulen die verbandseigene Plattform nicht nur zum Austausch von relevanten Dokumenten, sondern auch, um regelmässige Treffen auf regionaler Leitungsebene zu realisieren (Wahl & Herbrechter, 2023). In diesen wie in anderen Konstellationen eröffnen digitale Plattformen analog zu grundlegenden Funktionen von Lernplattformen (Kerres, 2018) folgende Möglichkeitsräume für Kooperationen:
- Bereitstellung und Aktualisierung von Informationen: Der Zugang zu einer geteilten Plattform erlaubt den Beteiligten der Kooperation, alle relevanten Informationen, Materialien und Dokumente an einem Ort (ggf. datenschutzkonform) aufzubewahren und nach festgelegten Kriterien allen beteiligten Personen zur Verfügung zu stellen. Auf diese Weise lassen sich zeitnah Informationen zu kritischen Veränderungen allen wichtigen Personen zugänglich machen.
- Schaffung von synchronen digitalen Austauschumgebungen: Über die Integration von Chat- bzw. Videokonferenz-Funktionalitäten stehen den Beteiligten der Kooperation zusätzliche Kommunikationskanäle zur Verfügung. Diese können bspw. genutzt werden, um spontane Entscheidungsfindungsprozesse in beliebig grossen Gruppen durchzuführen.
- Ermöglichung kollaborativen Arbeitens: Durch die Integration entsprechender Funktionalitäten können die Beteiligten der Kooperation simultan an Teilaufgaben arbeiten und diese gemeinsam dokumentieren. Dies trifft bspw. auf die Erstellung bzw. Überarbeitung gemeinsamer Arbeits- und Zeitpläne zu.
- Strukturierung von sozialen Rollen: Über die Zuweisung von Zugriffs- und Bearbeitungsrechten können die Rollen von Beteiligten innerhalb der jeweiligen Kooperationsbeziehung in ihrer hierarchischen Staffelung reproduziert oder im Sinn einer gleichberechtigten Beteiligung angepasst werden. So können bspw. besonders sensible Informationen nur mit bestimmten Personen oder im Sinn eines partizipativen Ansatzes mit allen Personen geteilt werden.
- Zeitliche Strukturierung von Aktivitäten: Über eine entsprechende Strukturierung der Inhalte auf der digitalen Plattform eröffnen sich Möglichkeiten dafür, den zeitlichen Ablauf der Kooperation zu strukturieren. So können bspw. bestimmte Informationen oder Materialien zu vorher definierten oder im Laufe der Zusammenarbeit ausgehandelten Zeitpunkten freigegeben werden, um den Fokus der Beteiligten der Kooperation auf bestimmte Facetten der Zusammenarbeit zu richten.
Darüber hinaus kann sich die instrumentelle Nutzung digitaler Plattformen auf den Wettbewerb zwischen Weiterbildungsorganisationen auswirken. So öffnet ihr Einsatz zwar Möglichkeitsräume, um die eigenen Weiterbildungsangebote über digitale Plattformen zu bewerben und ortsungebunden zu realisieren. Gleichzeitig werden in diesem Phänomen der Delokalisierung (Kirchner, 2022) auch Auswirkungen auf Konkurrenzkonstellationen deutlich. So führt die Loslösung von Weiterbildungsangeboten aus einem klar umrissenen geografischen Bereich «einerseits zu neuen Geschäftsmöglichkeiten für Anbieter, andererseits aber auch zu verschärfter Konkurrenz zwischen den Weiterbildungsinstitutionen auf regionaler, nationaler und internationaler Ebene» (Sgier et al., 2022, S. 126). Diese Konstellation verstärkt sich noch durch die Präsenz neuer Akteure, deren Geschäftsmodell primär auf plattformbasierten Weiterbildungsangeboten aufbaut (Sgier et al., 2022; Sgier & Schenkel, 2020).
Digitale Plattformen als Gegenstand von Kooperations- und Konkurrenzkonstellationen
Neben der instrumentellen Nutzung digitaler Plattformen in Kooperations- und Konkurrenzkonstellationen können digitale Plattformen auch den Gegenstand solcher Konstellationen bilden. So fungiert die Erschliessung von neuen Zielgruppen als wichtiger Kooperationsanlass zwischen Weiterbildungsorganisationen, um gemeinsam eine passende digitale Architektur aufzubauen (Gollob, 2022). Diese Beteiligung an der Technikentwicklung bietet den Weiterbildungsorganisationen zudem die Chance, selbst als Plattformorganisator aktiv zu werden und eine digitale Plattform aufzubauen, die den eigenen Bedarfen entspricht. Jenseits dieses starken Engagements in der Technikentwicklung besteht die Möglichkeit, an bestehenden digitalen Plattformen bspw. mit eigenen Angeboten anzuschliessen und als Plattformkomplementeur (Nieborg & Poell, 2018) von ihrer Reichweite zu profitieren. Auch dies kann eine wesentliche Motivation für die Etablierung kooperativer Strukturen sein (Eisenegger, 2021).
Die Veränderung der sektoralen Akteurfigurationen durch das Entstehen neuer Akteure mit einem Geschäftsmodell, das primär auf dem Einsatz digitaler Plattformen beruht, bildet einen weiteren Möglichkeitsraum für Kooperationen. Das Existieren von Dienstleistern, die im Auftrag von Weiterbildungsorganisationen digitales Bildungsmarketing betreiben oder digitale Kurskonzepte erstellen (Alke, 2022a), eröffnet das Potenzial, kooperativ neue Apps oder Funktionalitäten für bestehende digitale Plattformen zu erstellen, wodurch der Wissenstransfer zwischen den Akteuren begünstigt werden kann.
Zudem bildet die zunehmende Existenz von digitalen Plattformen in der Weiterbildung deutliches Potenzial für Konkurrenzkonstellationen. So ist mit der Expansion plattformbasierter Weiterbildungsangebote und der für ihre Distribution notwendigen Infrastrukturen mit einer weiter zunehmenden Vielfalt an digitalen Plattformen unterschiedlichster Anbieter mit vielfältigen thematischen Schwerpunkten auf regionaler, nationaler und internationaler Ebene zu rechnen. Dies kann zwar einerseits dazu führen, dass spezifische Angebote durch die einschlägige Bezeichnung solcher digitaler Architekturen schneller auffindbar sein werden; allerdings erhöht sich damit andererseits das Risiko, dass die Plattformorganisatoren in Konkurrenz um die zu vermittelnden Weiterbildungsangebote geraten. Gleichzeitig kann die Existenz mehrerer digitaler Plattformen mit vergleichbaren Funktionalitäten auf Dauer im Bereich der Weiterbildung zu einer Konsolidierungsphase führen, in der manche digitale Plattformen vom Markt verschwinden.
Diskussion
In der Gesamtschau zeigt sich, dass die sektorale Eingriffstiefe digitaler Plattformen in der Weiterbildung zum aktuellen Zeitpunkt noch nicht eingestuft werden kann. Während sich der Einfluss auf das technologische Profil der Weiterbildung und die sektorale Akteurfiguration bereits deutlich abzeichnet, ist dies in Bereichen organisationalen Handelns wie etwa dem Management oder Bildungsmarketing noch nicht der Fall.
Hinsichtlich Kooperations- und Konkurrenzkonstellationen zeichnen sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt erste Konturen der Eingriffstiefe ab. Bereits jetzt ist erkennbar, dass die instrumentelle Nutzung von digitalen Plattformen den Austausch von kooperativ Agierenden mitstrukturieren, zudem aber auch durch das Phänomen der Delokalisierung Konkurrenzkonstellationen erzeugen bzw. verschärfen kann. Werden Plattformen als Gegenstand von Kooperationen betrachtet, so eröffnen sich den beteiligten Akteuren zusätzliche Möglichkeiten, neue Zielgruppen zu erschliessen oder sich über die Zusammenarbeit Wissen im Bereich der Gestaltung und des Betriebs solcher digitalen Architekturen anzueignen. Zugleich kann die Tendenz einer zunehmenden Dichte an digitalen Plattformen in der Weiterbildung ebenfalls zu mehr Konkurrenz unter den entsprechenden Weiterbildungsorganisationen führen, was ab einem gewissen Zeitpunkt zu Konsolidierungseffekten führen kann.
Insgesamt wird deutlich, dass digitale Plattformen den Handlungsspielraum von Weiterbildungsorganisationen bspw. durch die Delokalisierung des Weiterbildungsmarketings im Sinn einer stärker ortsungebundenen Ansprache von Zielgruppen erweitern können. Vor dem Hintergrund der hybriden Konstellation von Plattform und Plattformorganisator wird jedoch auch klar, dass diese Erweiterung durch die Vorgaben der Plattformorganisatoren beschränkt bleibt und davon auszugehen ist, dass nicht alle für die Weiterbildungsorganisation vorteilhaften Zwecke verfolgt werden können. Das volle Potenzial von digitalen Plattformen kann sich daher erst dann entfalten, wenn sich Weiterbildungsorganisationen aktiv an der (Weiter-)Entwicklung solcher digitalen Architekturen beteiligen. Diese strategische Entscheidung ist zwar mit einem signifikanten Einsatz von Ressourcen verbunden, ermöglicht es aber, darüber mitzuentscheiden, wie gut die eigenen Weiterbildungsangebote für die Zielgruppen auffindbar sind, ob in der Plattform auch Funktionalitäten integriert sind, die bspw. für die organisationale Verwaltung genutzt werden können, oder welche Nutzungsdaten für Weiterbildungsmarketing erhoben werden können.
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Dr. Johannes Bonnes (geb. Wahl), wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrgebiet Mediendidaktik am Institut für Bildungswissenschaft und Medienforschung der FernUniversität in Hagen, johannes.bonnes@fernuni-hagen.de