28.05.2024
N°1 2024

Kompetenzanforderungen an das Bildungspersonal für einen inklusionsorientierten Umgang mit Diversität in der Weiterbildung

Der Beitrag skizziert die Ergebnisse einer Studie zu Kompetenzanforderungen von Lehrenden für einen stärker an Inklusion orientierten Umgang mit diversen Zielgruppen und transferiert diese auf das Bildungspersonal in Organisationen der Weiterbildung. Hintergrund des skizzierten Kompetenzprofils, systematisiert in Einstellungen, Fertigkeiten und Wissen, ist eine durchgeführte kritische Analyse vorhandener Kompetenzmodelle für die Qualifizierung des Bildungspersonals in den DACH-Ländern (Deutschland, Österreich und der Schweiz). Daraus abgeleitete Implikationen für die Personal- und Organisationsentwicklung in Einrichtungen der Weiterbildung runden den Beitrag ab.

1. Was meint ein inklusionsorientierter Umgang mit Diversität in der Weiterbildung?

Fragen und Konzepte des Umgangs mit Diversität spielen seit langem eine massgebliche Rolle in der Bildungsforschung über alle Bildungsstufen hinweg und sind lebensphasenübergreifend bis in die Berufsbildung in den DACH-Ländern breit verankert (vgl. Kimmelmann et al., 2022). Aufgrund des aktuellen Fachkräftemangels in den deutschsprachigen Ländern und politisch-rechtlichen Erneuerungen mit Blick insbesondere auf zugewanderte Fachkräfte aus dem Ausland1 sowie die Inklusion von Menschen mit Behinderung bzw. Beeinträchtigungen in den Arbeitsmarkt wird das Thema Diversität und Inklusion auch für die Weiterbildung zentral, ist dieser doch ein wichtiger Baustein der Kompetenzentwicklung für eine eigenständige Lebensführung und Berufstätigkeit sowie die soziale Einbindung in Gesellschaft und Arbeitswelt.2

Nach einer über Jahrzehnte erfolgten Weiterentwicklung von organisationspädagogischen Konzepten im Umgang mit Diversität betonen die aktuellen Ansätze in der Berufsbildung eine verschränkte Betrachtungsweise verschiedener Diversitätsmerkmale der jeweiligen Zielgruppe. Modulare und individuelle Formate innerhalb der Regelsysteme sollen passgenaue Bildungsangebote und damit Chancengerechtigkeit für alle Menschen im Sinne eines lebenslangen Lernens garantieren (Miesera et al., 2022). Der Diversitätsaspekt «Behinderung» hat hier bis heute entgegen dieser normativen Vorgaben eine strittige Sonderposition in Diversitätskonzepten und wird häufig separiert unter dem Begriff der Inklusion adressiert (Behrisch, 2016). Inklusion wird hier dann i.d.R. in ihrem engen Verständnis interpretiert, d.h. nur auf Menschen mit einer Behinderung im Sinne der Sonderpädagogik bezogen (Lindmeier & Lütje-Klose, 2015, S. 7). 

Vor dem Hintergrund des von der UNESCO formulierten weiten Inklusionsverständnisses, das für alle Menschen die gleichen Möglichkeiten einfordert, «um an qualitativ hochwertiger Bildung teilzuhaben und ihre Potenziale zu entwickeln, unabhängig von besonderen Lernbedürfnissen, Geschlecht, sozialen und ökonomischen Voraussetzungen» (Römer & Malina, 2014, S. 9), erscheint eine Zusammenführung der diversitätsbezogenen Konzepte mit dem Ansatz der weiten Inklusion notwendig. So fordert die von allen drei DACH-Ländern unterzeichnete UN-BRK auch für den Bereich Bildung und Beschäftigung, Diversität aus einer intersektionellen Perspektive zu betrachten und sich langfristig von allen «Etikettierungen und Segmentierungen» (Sicking, 2012, S. 5) entlang von Lernenden mit unterschiedlichen Lebens- und Lernvoraussetzungen zu verabschieden.

Ein inklusiver Umgang mit Diversität steht damit Standardisierungstendenzen konträr gegenüber und fordert stattdessen eine stärkere Partizipation auch von Menschen (z.B. mit einer Behinderung), die bislang nicht dem klassischen Bild von Lernenden entsprechen (Thielen, 2016). Kurzum: Nicht immer mehr Ausdifferenzierungen von Bildungsmassnahmen entlang von Diversitätsmerkmalen oder für spezifische Zielgruppen sind anvisiert, sondern die Schaffung von Zutrittswegen zu wirklich inklusiven Bildungsangeboten innerhalb der bestehenden Regelbildungssysteme (Kimmelmann & Pool Maag, 2024). So können neue Lern- und Sozialräume entstehen, die keine Personengruppen mehr ausschliessen, sondern rein potenzial- und ressourcenorientiert qualifizieren (z.B. First place, then train) (Pool Maag, 2021).

Die inklusive Perspektive auf Diversität verknüpft damit die bisherigen Konzepte stärker mit einer kritischen Reflexion möglicher Exklusionsmechanismen aufgrund von personenbezogenen, situativen, strukturellen oder normativ-machtbezogenen Bedingungen insbesondere bereits beim Zugang zu Bildungsmassnahmen (Kimmelmann & Pool Maag, 2024). Nicht individuumsbezogene Merkmale und deren Anpassung stehen hierbei im Mittelpunkt, sondern Veränderungen der Bildungsorganisationen an sich (Granato, 2016). Inklusionsorientierte Zugänge heben zugleich in der Umsetzung von Bildungsmassnahmen die Bedeutung struktureller Widersprüchlichkeiten hervor, die institutionell und professionell sowie über didaktische Zugangsweisen zu bewältigen sind. Die Bewältigung dieser Dilemmata und daraus resultierender Anpassungen von Lernsettings und Bildungseinrichtungen erfordert auch eine entsprechende Personalentwicklung des (Weiter-)Bildungspersonals. Hier gilt es, zukünftig Expertise zum Umgang mit verschiedenen Diversitätsmerkmalen im Sinne eines grundlegend inklusiven Umgangs mit Diversität zu bündeln, um Chancengerechtigkeit in und durch (Weiter-)Bildung erreichen zu können.

2. Was wissen wir bereits zur Professionalisierung des Bildungspersonals für einen inklusionsorientierten Umgang mit Diversität?

In der Bildungsforschung existieren mit Blick auf die notwendigen Kompetenzen zum Umgang mit Diversität und Inklusion zahlreiche Vorarbeiten, die auch zu Professionalisierungsangeboten geführt haben. Der Kontext der Weiterbildung und die dort tätigen Bildungsakteure sind davon bislang meist ausgeklammert. Stattdessen hat neben den Unternehmen insbesondere die Aus- und Weiterbildung von Lehrkräften an Schulen die Themen Diversität und Inklusion erkannt sowie curricular verortet (Miesera et al., 2022).

Zugleich setzt sich die Trennung von Diversität und Behinderung auch hier fort, indem Angebote für das Bildungspersonal entweder das Eine oder das Andere fokussieren (wobei Diversität dann meist Behinderung vernachlässigt und stattdessen andere Diversitätsmerkmale betrachtet). Verschiedene Studien verweisen dabei auf die Dringlichkeit der institutionellen Verankerung einer an Inklusion und Diversität gleichermassen orientierten Lehrkräftebildung (Bach, Schmidt & Schaub, 2016; Zoyke 2016). Welche Kompetenzanforderungen sich Lehrkräften aus dieser verschränkten Betrachtung stellen, bedarf jedoch weiterer Profilierung (Buchmann, 2020, S. 12). Daran hat sich bis heute nichts geändert.

An diesen Defiziten bzw. Lücken setzt die hier skizzierte Studie an, in der eine kritische Analyse bestehender Konzepte der Professionalisierung des Bildungspersonals zum Umgang mit Diversität und Inklusion durchgeführt wurde und die darin formulierten Kompetenzanforderungen systematisch zusammengeführt wurden.

Die folgenden Kompetenzmodelle wurden hierfür untersucht:

Die einbezogenen Modelle haben sowohl die verschiedenen Inklusionskonzepte als auch pädagogische Konzepte zum Umgang mit Diversität/Heterogenität im vorne skizzierten aktuellen Verständnis als Bezugspunkte. Aus Inklusionsperspektive sind dazu Modelle eingebunden, die sich explizit auf den Umgang mit Lernenden mit Behinderung bzw. sonderpädagogischem Förderbedarf beziehen (enges Inklusionsverständnis), als auch solche, die mehrere Diversitätsmerkmale im Sinne der weiten Inklusion umfassen.

Konzepte zum Umgang mit Diversität/Heterogenität fokussieren vor dem Hintergrund einer verschränkten Betrachtung verschiedener Diversitätsmerkmale entweder auf Diversität/Heterogenität insgesamt oder spezifische Kombinationen von Merkmalen. Dabei wurden grundlegende, d.h. den Umgang mit Diversität insgesamt betreffende Kompetenzmodelle, aber auch Modelle im Umgang mit spezifischen Diversitätsmerkmalen in ihrer Verschränkung erfasst. Dementsprechend sind Kompetenzanforderungen an Lehrkräfte sowohl für den Umgang mit Diversität in ihrer Breite als auch für ausgewiesene Merkmale oder sonderpädagogische Förderbedarfe enthalten. Die Modelle adressieren Kompetenzen von Lehrenden in unterschiedlichen Bildungsstufen (Allgemein- und Berufsbildung). Mit Ausnahme von Kimmelmann (2010), die Bezüge zur beruflichen Weiterbildung herstellt, wird der Weiterbildungsbereich jedoch nicht explizit adressiert.

Die Auswahl der Kompetenzmodelle erfolgte nach Aktualität der Publikationen (seit 2000), Konsistenz der Studien sowie nach nationaler und länderübergreifender Relevanz der Modelle (für die DACH-Länder). Die gewonnenen Daten wurden tabellarisch zusammengefasst und induktiv inhaltsanalytisch kategorisiert (Mayring, 2010). Die Qualität der Quellen, der Analyseprozess sowie Ergebnisse sind im Forschungsteam zusammen mit den Kolleginnen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz einer kritischen Überprüfung und Validierung unterzogen worden (Miesera et al., 2022).

3. Welche Kompetenzen zeigen sich für das Bildungspersonal als besonders relevant?

Um die relevanten Kompetenzen systematisch darlegen zu können, muss zunächst der zugrunde gelegte Kompetenzbegriff verdeutlicht werden. Im deutschsprachigen Raum werden seit den 2000er Jahren Kompetenzmodelle entwickelt, die die Fähigkeiten und Fertigkeiten von (angehenden) Lehrpersonen in unterschiedlichen Kompetenzfacetten (z.B. pädagogisches Wissen, fachdidaktisches Wissen, Überzeugungen, motivationale Orientierungen) strukturieren. Insbesondere Weinerts (2001) Kompetenzdefinition erlangte dabei für die Curriculaentwicklung in den letzten zwei Jahrzehnten grosse Bedeutung. Er postuliert ein Verständnis von professioneller Handlungskompetenz entlang von kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten zur Problemlösung durch motivationale, volitionale und soziale Bereitschaften. Diese Definition geht also über reines Wissen weit hinaus und beschreibt stattdessen eine Trias von Wissen, Einstellungen und Fertigkeiten. Die folgenden Abschnitte präsentieren die extrahierten Kompetenzanforderungen entlang dieser drei Kompetenzfacetten (vgl. Moser et al., 2023) und nehmen zugleich den Transfer auf den Weiterbildungskontext vor.

3.1  Einstellungen

Die Modelle betonen einheitlich die herausragende Rolle einer Persönlichkeit des Bildungspersonals, welche folgende Einstellungen bzw. Merkmale umfasst: 

  • eine inklusionsoffene Haltung, die Vielfalt als Normalität pädagogischen Handelns betrachtet,
  • eine verinnerlichte Überzeugung bzw. Werteorientierung, die Wertschätzung gegenüber Diversität sowie den damit verbundenen Potenzialen umfasst,
  • Handlungsbereitschaft, diese Werteorientierung auch im eigenen pädagogischen Umfeld umzusetzen,
  • die Überzeugung, entsprechende inklusive Strategien erfolgreich einsetzen und Verunsicherungen konstruktiv bewältigen zu können (Selbstwirksamkeit),
  • sowie die Fähigkeit zur Selbstregulation, was u.a. eine kritische Selbstreflexion, hypothesengeleitetes Problemlösen und die Bereitschaft umfasst, getroffene Entscheidungen ggfs. zu revidieren.

Die Modelle verweisen nicht auf spezifische Zusammenhänge der Persönlichkeitsfaktoren. Aus der internationalen Forschungslage wissen wir jedoch, dass Haltung und Werte/Überzeugungen die Basismotivation beeinflussen, während Handlungsbereitschaft, Selbstwirksamkeit und Selbstregulation für die konkrete und langfristige Umsetzung entsprechender inklusiver Strategien im eigenen pädagogischen Handeln entscheidend sind (vgl. Miesera, Sokal & Kimmelmann, 2021).

3.2 Wissen

Relevante Wissenskategorien müssen in Abhängigkeit vom jeweiligen konkreten Einsatzort und der ausgeübten Tätigkeit des Weiterbildungspersonals interpretiert werden. Je nach Rahmenbedingungen (z.B. klassisches Gruppenlernen versus coaching- oder beratungsorientierte Formate), relevanten Diversitätsmerkmalen in der eigenen Zielgruppe von Weiterbildung sowie der individuellen Rolle, die das Weiterbildungspersonal innehat (z.B. nur Lehren oder auch Diagnose, Beratung, Prüfen) sind bestimmte Wissenskomponenten Bestandteil des eigenen Kompetenzprofils. Daneben gibt es ein «Basiswissen», das für alle Weiterbildenden gleichermassen wichtig erscheint, um mit der diversen Zielgruppe grundlegend inklusiv umgehen zu können. Diese Kategorien werden in Abbildung 1 durch eine Pyramidenform ausgedrückt, deren Basis stellvertretend für obligatorische Komponenten gesehen werden kann, die einen inklusionsorientierten Umgang mit Diversität im eigenen Lehr-Lern-Setting erst ermöglichen.

Die Relevanz weiterführender Wissensbereiche in Richtung der Spitze der Pyramide ist hingegen u.a. abhängig von der Umsetzung einer an Inklusion und Diversität orientierten Organisationsentwicklung in der jeweiligen Bildungseinrichtung. Sonderpädagogisches Wissen an der Spitze der Pyramide zeigt die – im Vergleich zu grundlegenden Wissenskategorien geringere – Relevanz spezifischer Expertise über verschiedene Diversitätsmerkmale, Förderbedarfe und geeignete Massnahmen im Umgang mit Lernenden, die diese Merkmale aufweisen. Es ist jedoch wichtig, dass zumindest einzelne Lehrende in einer Bildungseinrichtung darüber verfügen, um entsprechendes Wissen bei der Planung von Lernsettings einbringen zu können.

Dazu muss angemerkt werden, dass die Kompetenzmodelle i.d.R. keine Gewichtung der Kompetenzen und selten Niveaustufen aufweisen, so dass die Profilierung von Kompetenzprofilen für unterschiedliche Tätigkeitsprofile oder Berufserfahrungen (vom Novizen zum Experten) erst durch empirische Überprüfung möglich sein wird. Auch die Einteilung in Basis- und Spezialwissen musste unter Berücksichtigung der Häufigkeit der Nennung oder ergänzenden Hinweisen in den Modellen interpretiert werden.

3.3 Fertigkeiten

Notwendige Fähigkeiten bzw. Fertigkeiten des Bildungspersonals orientieren sich an einer inklusiven Organisationsentwicklung. Im schulischen Kontext hat sich hier beispielsweise das Modell nach Heimlich (2003) etabliert, welches fünf Ebenen einer inklusiven Schulentwicklung umfasst: inklusives Schulkonzept/Schulleben, multiprofessionelles Team, externe Unterstützungssysteme, inklusionsorientierter Unterricht und individuelle Bedürfnisse der Lernenden.

Die Fertigkeiten des Bildungspersonals können hieran anknüpfend systematisiert werden (vgl. Abbildung 2). Sie unterstützen im Idealfall:

  1. Die diversitätsorientierte Organisationsentwicklung und Verankerung von Strukturen,
  2. die Zusammenarbeit mit internen und externen Partnern im Sinne eines inklusionsorientierten Umgangs mit Diversität und
  3. eine diversitätsorientierte Unterrichtsgestaltung durch den Einsatz einer entsprechenden Methodik und Didaktik.

Übertragen auf den Weiterbildungsbereich bedeutet das Folgendes:

Für eine aktive Beteiligung an der Organisationsentwicklung der eigenen Bildungseinrichtung benötigt das Weiterbildungspersonal eine bewusste Wahrnehmung der Diversität in der betreuten Zielgruppe sowie das kritische Überprüfen der grundlegenden Prozesse und Entscheidungen in der Einrichtung, ob diese allen Bedürfnissen der diversen Zielgruppe gleichermassen gerecht werden (z.B. Zugang zur Weiterbildung, räumliche und zeitliche Gestaltung der Weiterbildungsangebote, Gestaltung der Prüfungsleistungen).

Diese organisationalen Veränderungen erfordern dann ein abgestimmtes, kooperatives Zusammenwirken der Lehrenden untereinander sowie mit anderen an der Weiterbildung beteiligten Akteuren (z.B. Unternehmen, Beratungs- und Unterstützungseinrichtungen), um das Weiterbildungsangebot gezielt an den diversen Bedarfen der Lernenden auszurichten. Dies erfordert Fertigkeiten zur Kontaktaufnahme, Kommunikation und multiprofessionellen Zusammenarbeit (z.B. mit sonderpädagogischen ExpertInnen, PsychologInnen oder BeraterInnen für einzelne Förderbereiche), um hier die eigene Expertise im Sinne einer inklusiven gemeinsamen Weiterbildungsplanung einbringen zu können.

Eine inklusive methodisch-didaktische Gestaltung von Weiterbildung zielt einerseits auf stark individualisierte Lernformate, darf aber andererseits auch gemeinsame Lernmomente, das inklusive Lernklima oder die gegenseitige Unterstützung der Lernenden nicht vernachlässigen. Dies erfordert vom Weiterbildungspersonal ein breites Repertoire an Strategien und Methoden für didaktische Reduktion, Selbstregulation, Binnendifferenzierung und kooperatives Lernen gleichsam. Hinzu kommen Fähigkeiten zur Anbahnung oder eigenständigen Umsetzung inklusiver Hilfestellungen für die Lernenden (z.B. technische oder personelle Assistenz, weiterführende Lern-Apps). Aber auch vor- oder nachgelagerte Förderaktivitäten (z.B. Diagnose der Lernvoraussetzungen, Dokumentation von Entwicklungsprozessen, Prüfungsvorbereitung) erfordern die Mitarbeit der Lehrenden und damit auch entsprechende Kompetenzen, um beispielsweise Diagnoseergebnisse mit pädagogischen Ableitungen für die Gestaltung des eigenen Lehr-Lern-Settings zu verknüpfen. Viele der in den Modellen ausgewiesenen Teilfertigkeiten betreffen dabei «Lehren» in ihrer grundlegenden Natur als ein bedürfnis- oder zielgruppenspezifisches Unterstützen der Lernenden beim Aufbau ihrer beruflichen Handlungskompetenz, d.h. richten sich nicht ausschliesslich an einzelnen, spezifischen Diversitätsmerkmalen oder Lernenden aus.

4. Welche Implikationen lassen sich daraus für die Personal- und Organisationsentwicklung in der Weiterbildung ableiten?

4.1 Implikationen für die Personalentwicklung

Verankerung von Diversität und Inklusion in der Personalentwicklung als Querschnittsdimension

Der Beitrag skizziert die Relevanz eines inklusionsorientierten Umgangs mit Diversität. Davon ausgehend sollte eine Qualifizierung des Weiterbildungspersonals erfolgen, die Kompetenzen sowohl für diverse Zielgruppen im Allgemeinen als auch spezifische relevante Diversitätsmerkmale, bis hin zu einzelnen Förderbedarfen, zum Ziel hat. Die Analyse verdeutlichte, dass grundlegende Kompetenzanforderungen inklusiver Bildung für alle an Bildung Beteiligten gleichermassen notwendig sind. Deshalb sollten Inklusion und Diversität als Querschnittsthemen in die Curricula der Aus- und Weiterbildung von Weiterbildenden aufgenommen werden.

Entwicklung einer Diversity-Persönlichkeit

Einstellungen werden in allen Modellen als zentraler Ansatzpunkt einer Professionalisierung gesehen. Kimmelmann (2010) bezeichnet die Summe der dazugehörigen Haltungen, Wertorientierungen, Überzeugungen, Selbstreflexions- und -organisationsfähigkeiten als Diversity-Persönlichkeit. Wie lässt sich eine derartige Persönlichkeit «trainieren»?

Um hierfür positive Impulse zu setzen, können Professionalisierungsmassnahmen für das Weiterbildungspersonal z.B. bereits im Rahmen erster Kennenlernrunden die eigene Diversität der Teilnehmenden (z.B. mit Blick auf unterschiedliche Berufs- und Bildungsbiographien, didaktisch-methodische Kompetenzen, Einsatzgebiete, Formate und Inhalte der betreuten Weiterbildungsformate, …) thematisieren, um darüber eine erste Sensibilität für Differenzen und Gemeinsamkeiten in der jeweils betreuten Zielgruppe zu unterstützen.

Ferner sollten didaktische Settings geschaffen werden, die Raum und Impulse bieten, um die eigenen Einstellungen und Haltungen mit Blick auf Diversität und Inklusion allgemein sowie spezifische Diversitätsmerkmale im Besonderen zu reflektieren. Dies kann beispielsweise über die Analyse von Szenarien/Videos oder erfahrungsbasierte Übungen erfolgen, in denen die Teilnehmenden die eigenen Vorurteile «erleben» können.

Berücksichtigung von Kompetenzniveaus

Die untersuchten Modelle gehen nicht auf die kontext- und niveauspezifische Gestaltung von Massnahmen zur Aneignung der Kompetenzen ein. Planende von Professionalisierungsangeboten für Weiterbildende müssen deshalb die Kompetenzbereiche weiter ausdifferenzieren. Dies erfordert eine Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Rahmenbedingungen von Weiterbildung und den diversen Rollen, die Weiterbildende darin ausüben können.

4.2 Implikationen für die Organisationsentwicklung

Die skizzierten Anforderungen an das Bildungspersonal, höchst diverse Erwachsene inklusiv auf eine von Krisen betroffene Arbeitswelt und selbstständige Lebensgestaltung vorzubereiten, erfordern auch von den Weiterbildungsorganisationen Anpassungen.

Schaffung von Rahmenbedingungen für die Unterrichtsentwicklung

Um bildungsrelevante Dimensionen von Diversität, ihr Zusammenspiel und den Einfluss auf die bisherige Bildungslaufbahn als Kontextfaktor von Weiterbildung konsequent zu berücksichtigen, können bildungsbiographische Erfahrungen mithilfe von (Lern)Biographie-Arbeit (Rützel, 2014) erfasst und als Bildungsressource nutzbar werden. Hierfür sind jedoch entsprechende Rahmenbedingungen in der Planung und Durchführung von Weiterbildungsmassnahmen zu gestalten.

Frühzeitiger Aufbau von unterstützenden Kooperationen

Gefährdungslagen von Weiterbildungsteilnehmenden sollten frühzeitig erkannt werden, um Exklusionstendenzen abzubauen. Hierfür kann es notwendig sein, spezifische Spezialkenntnisse in Form von Fachpersonen/Einrichtungen fallbezogen zu mobilisieren, bevor Prozesse der Diskriminierung oder Marginalisierung einsetzen. Hier ist eine starke Unterstützung der Leitungsebene in Weiterbildungseinrichtungen notwendig, um geeignete Netzwerke zu eruieren bzw. sich als Einrichtung dort aktiv einzubringen.

Schaffung von begleitenden Unterstützungsangeboten für die Weiterbildenden

Der Umgang mit Widersprüchlichkeiten, die ein inklusionsorientierter Umgang mit Diversität in weiterhin stark selektiven und qualifikationsgetriebenen Bildungssystemen auslösen kann, führt nicht selten zu einem Zieldilemma der Lehrenden (vgl. Paseka & Hinzke, 2014). Viele Krisen werden sich auch erst in der konkreten Umsetzung von inklusionsorientierter Weiterbildung zeigen. Hierfür müssen neben dem Angebot einer externen Supervision Team-Strukturen und Formate der kollegialen Fallberatung geschaffen werden, damit sich Weiterbildende nicht nur im Sinne der Planung und Durchführung von Weiterbildung gegenseitig unterstützen, sondern auch mit Blick auf Stressmanagement und Bewältigungsstrategien.

Weiterbildungsorganisationen sollten dabei mit Blick auf einen inklusionsorientierten Umgang mit Diversität selbst zu Forschungsakteuren werden. Dies meint die kritisch-reflexive Betrachtung der eigenen Weiterbildungseinrichtung und -praxis mit Blick auf das Zusammenwirken von relevanten Diversitätsmerkmalen und damit möglicherweise verbundenen mehrfachen Diskriminierungslinien.

  1. Siehe zu neuen rechtlichen Regularien z.B. das neue Fachkräfteintegrationsgesetz sowie die Reform des Bundesteilhabegesetzes für Menschen mit Behinderungen in Deutschland.
  2. Der Beitrag baut auf einer gemeinsamen Studie auf, die mit Kolleginnen aus der Schweiz, Deutschland und Österreich mit Blick auf die Kompetenzanforderungen von Lehrkräften in der beruflichen Bildung durchgeführt wurde (vgl. Moser et al., 2023). Die hier skizzierten Impulse für den Bereich Weiterbildung sind eigenständige Transferleistungen der Beitragsautorin.

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