Internationaler Diskurs zur Erwachsenenbildung
In diesem Beitrag geht es darum, einige Schlaglichter darauf zu werfen – überwiegend rückblickend und reflektierend –, wie Diskurse sich inhaltlich entwickelt haben, und um in Umrissen zu erkennen, wie, von wem und aus welchen Gründen sie geführt werden. Akteure und Formen der Diskurse werden angesprochen, aber vor allem die aus Sicht des Autors fünf Hauptthemen der jüngsten Vergangenheit: Erwachsenenbildung im Kontext des lebenslangen Lernens, die Teilnahme von Erwachsenen an Bildung, die Kompetenzen Erwachsener, Qualität und Personal der Erwachsenenbildung sowie deren Finanzierung. Zu den Wirkungen des internationalen Diskurses werden nur vereinzelt vorsichtige Vermutungen geäussert, da es an belastbaren entsprechenden Analysen mangelt.
Im Juni 2022 versammelten sich über 1000 Erwachsenenbildnerinnen und Erwachsenenbildner aus 142 Staaten in Marrakesch (Marokko), um die dreitägige CONFINTEA VII mit Leben zu erfüllen, zu diskutieren und Papiere und Dokumente zu erzeugen. Der Name bedeutet: Es war die siebte internationale Konferenz zur Erwachsenenbildung seit 1949, die im Turnus von zwölf Jahren wiederkehrt. Die sechste hatte in Belem (Brasilien) stattgefunden. Ein wichtiger Input dabei war GRALE 5, die fünfte Fassung des vom UNESCO-Instituts für Erwachsenenbildung in Hamburg (UIL) erstellten «Globalen Reports zur Erwachsenenbildung» mit Daten und Informationen zu den Regionen der Welt.
Es wird also, dies ist damit vorangestellt, international zur Erwachsenenbildung diskutiert, und zwar in durchaus bemerkenswertem Rahmen – an der CONFINTEA nehmen Politiker und Ministeriale, Experten aus Wissenschaft und Praxis teil, ein breites Spektrum engagierter Personen aus allen gesellschaftlichen Bereichen. In diesem Beitrag frage ich nach den Akteuren und Themen dieser Diskussion, auch nach den Wirkungen, wobei die Antwort dazu sich hauptsächlich auf persönliche Einschätzungen stützt – die Datenlage ist zu gering. Der Fokus liegt dabei auf Europa, zum einen, weil uns dies am nächsten ist, zum anderen, weil über das Gebilde der Europäischen Union eine höhere Verbindlichkeit besteht, auch wenn die «soft and open coordination» (Nuissl u.a. 2010) der Weiterbildung sich nur auf Meinungs- und Konsensbildung stützt.
Akteure, Daten und «Gefässe»
Die CONFINTEA ist nur eines der Gefässe, in dem international ein Diskurs zur Erwachsenenbildung abläuft – wenn auch ein öffentlichkeitswirksames Spektakel. Neben vielen anderen, kleiner zugeschnittenen Konferenzen, Tagungen und Aktionen (besonders diejenigen initiiert von der Europäischen Kommission) beschäftigen sich Organisationen wie die OECD und UNESCO (vor allem über das Hamburger UIL) mit dem Thema. Vereinigungen auf unterschiedlichen regionalen Ebenen sind aktiv, so etwa in Europa der Praktikerdachverband EAEA und der Wissenschaftsverband ESREA, im asiatischen Raum die ASPBAE (Asian South Pacific Association for Basic and Adult Education), für die Zusammenarbeit von Europa und Asien der ASEM-Hub (AsianEuropeanMeeting) und global der ICAE (International Council for Adult Education), gewissermassen ein weltweites Überdach der nationalen und regionalen Dachverbände. Auch in Fachzeitschriften vor allem englischsprachiger Konvenienz, etwa RELA (Online-Zeitschrift von ESREA), und in Projekten (besonders in der Europäischen Union) werden Diskurse ausgetragen.
Schliesslich sind die Datenbestände bedeutsam, die international erzeugt und bereitgestellt werden. Im Europa der Europäischen Union sind das vor allem die Statistiken von EUROSTAT (Luxemburg) sowie die Ergebnisse der regelmässigen Erhebungen im AES (Adult Education Survey) in den EU-Mitgliedsstaaten, international besonders die vor etwa 25 Jahren begonnenen «Large-Scale-Analysen» zu den Kompetenzen Lernender, am bekanntesten PISA (Schüler und Schülerinnen) und zur Erwachsenenbildung PIAAC. Nicht zu vergessen sind die regelmässigen Daten von «Education at a Glance» (OECD) und vom eingangs erwähnten GRALE. Sie führen stets zu nationalen, aber auch internationalen Reflexionen über Perspektiven und Probleme in Reichweite, Leistungen und Finanzierungen von (Weiter-)Bildung.
Themen, Ziele und Folgen
Solche Übersichten über die Orte und Formate des Diskurses sind oft ermüdend, da sie eher ein heterogenes Durcheinander abbilden als Realitäten erhellen. Aufschlussreicher ist, welche Themen international debattiert, welche Ziele verfolgt werden und welche Folgen diese Diskurse zeitigen. Dabei sind strukturelle Unterschiede zu beachten. Es gibt internationale Anstösse etwa durch Vergleiche und Statistiken, die zu nationalen Kontroversen und Aktivitäten führen – PISA ist da ein herausragendes Beispiel. Es gibt – etwa in der Europäischen Union – international politische Ziele, die zu nationalen Politiken führen oder führen sollen, z.B. Beteiligungsquoten an Weiterbildung auf der Basis des AES. Es gibt nationale Bedarfe und Interessen, die sich international in Lobby-Arbeit und Politiken ausdrücken. Es gibt Transferdebatten, etwa den Übertrag von Finanzierungsmodellen zwischen unterschiedlichen Ländern oder die Anwendbarkeit von Anerkennungsverfahren informellen Lernens. Und es gibt inhaltliche Schwerpunkte, die permanent international bestehen (etwa Basisbildung und Illiteracy) oder sich entwickelt haben, in den letzten Jahren vor allem die «Learning Cities/Regions», angetrieben durch das UIL in Hamburg.
Ganz allgemein kann man sagen, dass in den letzten Dekaden die internationale Diskussion zur Erwachsenenbildung zugenommen hat, in etwa analog zu der Entwicklung in Deutschland oder der Schweiz. Die Bedeutung von (Erwachsenen-)Bildung für die Wirtschaft, für das soziale Miteinander und für das individuelle Wohlbefinden prägt nationenübergreifend die Argumente für diesen Bildungsbereich. Das Interesse an inhaltlichen Diskursen ist in aller Regel gespeist durch nationale Interessen, seien sie praktischer («Best Practice»), politischer (Beteiligungsquoten, Finanzierung) oder wissenschaftlicher (Lerninteressen, Didaktik online) Provenienz. Und, erwartbar, alle Ideen, Vorschläge, Modelle und Beschlüsse zur beruflichen Bildung haben bedeutsamere Folgen als solche im Bereich der allgemeinen Bildung. Dabei sind es im Grossen und Ganzen fünf Felder, welche insbesondere die Europäische Diskussion dominieren: die Rolle der Erwachsenenbildung im Konzept des lebenslangen Lernens, die Teilhabe von Erwachsenen am Lernen, die Kompetenzen von Erwachsenen, die Qualität und das Personal in der Weiterbildung sowie – wiederum erwartbar – die Finanzierung.
Erwachsenenbildung im Konzept des lebenslangen Lernens
In der Europäischen Union sind, was Bildungsfragen angeht, die Maastrichter Verträge von 1992 von zentraler Bedeutung. Sie erhoben neben der beruflichen auch die allgemeine Erwachsenenbildung in den Status eines europäischen Politikfeldes – mit allen Konsequenzen: Konzepte, Administrationen, Programme, Verfahren. So wurden in den Mitgliedsstaaten Agenturen eingerichtet, welche die Förderung der EU national administrierten. Ein erstes Programm der allgemeinen Erwachsenenbildung wurde aufgelegt, das später (ab 2001) in das Grundvig-Programm überging (Nuissl 1999). Es wurde das Jahr des lebensbegleitenden Lernens ausgerufen (1996), es wurden vielfältige Dokumente erstellt. Es herrschte eine regelrechte Aufbruchsstimmung. Sie fand ihren ersten und bedeutsamsten Ausdruck in der Europäischen Erwachsenenbildungskonferenz, die Griechenland im Juni 1994 für mehrere Tage in Athen ausrichtete. Ein wunderbares Ambiente bei Sonnenschein, mit Bootsausflügen und Besichtigungen. Es trafen Menschen aufeinander, die sich mit dem gleichen Thema befassten, aber noch kaum voneinander wussten und sich nicht kannten.
Dies galt auch national: Aus Deutschland waren gleichberechtigt Vertreter und Vertreterinnen der allgemeinen und der beruflichen Bildung anwesend, die im Land selbst kaum miteinander kommunizierten. Grund war der unterschiedliche Zuschnitt, den Erwachsenenbildung in den Ländern hatte und hat. Darüber wurde diskutiert, aber auch grundsätzlich darüber, was Erwachsenenbildung eigentlich ist und welche Ziele sie hat. Hier zeigten sich bereits allein im Europäischen Rahmen grosse Differenzen. Die Ergebnisse und Wirkungen dieser Konferenz lagen in dem Tableau einer zukünftigen gemeinsamen Politik, der Planung von stärker fokussierten Nachfolgekonferenzen (ein halbes Jahr später schon traf man sich in Dresden) und in einem meist nicht ausreichend gewürdigten Umstand: Es konstituierte sich informell eine Gruppe, die als Netzwerk die europäische Weiterbildungspolitik der folgenden zwei Dekaden mitprägen sollte, zu ihr gehörten etwa Alan Tuckett (UK, Direktor NIACE), Paolo Federighi (Italien, Präsident EAEA), Ekkehard Nuissl (Deutschland, Direktor DIE), André Schläfli (Schweiz, Direktor SVEB), Henning Olesen (Dänemark, Präsident ESREA) und Arne Carlsen (Dänemark, Direktor NFA und später UIL). Ein wichtiger Aspekt der Arbeit waren europäische Politik und Programme, aber auch das Verstehen (z. B. in der Terminologie) untereinander (s. Federighi 2000). Diese internationalen Netzwerke bestehen fort, der Generationenwechsel ist hier durchaus gelungen, getragen auch von vielen Frauen sowie Expertinnen und Experten vermehrt aus Ost- und Südosteuropa.
Die europäische Diskussion um die Rolle der Erwachsenenbildung lässt sich auch darstellen am Memorandum für Lebenslanges Lernen der Europäischen Union im Jahr 2000 mit vielen darauf aufbauenden weiteren Stellungnahmen, Dokumenten, Analysen. Das Memorandum wurde angestossen mit einem Entwurf der Europäischen Kommission, der in allen Mitglieds- und Beitrittsstaaten intensiv von allen Stakeholdern beraten wurde. Es ging um sechs Botschaften, etwa die Qualität von Weiterbildung, ihre Nähe zu den Lernenden, ihren Nutzen und den Zugang für Erwachsene. Man kann sagen, dass die nationalen Diskussionen zu einer breiten Verständigung und einem erweiterten Engagement geführt haben, auch zu einer europaweiten Vereinheitlichung von Konzepten und Begriffen wie der Trias des formalen, nonformalen und informellen Lernens. Auch in den östlicheren Ländern Europas gewann Weiterbildung durch diese Diskussion Kontur. Das letztlich auf der Basis der Beratungen verabschiedete Memorandum war deutlich weniger wirksam als die intensiven Beratungen in den einzelnen Ländern für deren nationale Weiterbildung (Nuissl 2007).
Teilhabe von Erwachsenen an der Weiterbildung
Das Thema «Teilhabe von Erwachsenen an der Weiterbildung» ist ein «Dauerbrenner» der internationalen Diskussion, heute auch durch viele verfügbare Daten unterfüttert. Es geht darum, dass (immer) mehr Erwachsene sich fort- und weiterbilden (sollen), die Teilnahmequoten sich erhöhen sollen. In der Erwachsenenbildung, die Teilnahmepflicht nur ausnahmsweise (etwa für Migranten in Deutschland) kennt, ist es ein moralisches Postulat, in Betrieben allerdings wird sie oft auch forciert. Die Europäische Union hat sich hier durchgängig Zielzahlen gegeben, sie aber bislang nicht erreicht. Immerhin: Die Quoten sind gestiegen, von 31,2% im Jahr 2007 auf 42% im Jahr 2016 (DIE 2021, S. 233). Die Schwierigkeit der europäischen Diskussion ist, dass gravierende Unterschiede zwischen den Mitgliedsstaaten bestehen – die Niederlande verzeichnen über 60%, in Rumänien als Schlusslicht ist die Quote zuletzt sogar von 7% auf 6% zurückgegangen. Massnahmen zur Erhöhung der Quoten, etwa Informations- und Beratungssysteme, Angebote vor Ort, Netzwerke und Kooperationen werden kontinuierlich international diskutiert. Auch motivierende und werbende Massnahmen wie die ursprünglich aus England stammende «Learners Week», in der Schweiz das Lernfestival, fallen in diese Kategorie – nicht überall, aber weltweit gibt es sie in unterschiedlichen Varianten. Die Probleme liegen allerdings tiefer, in der kulturellen Verankerung von Bildung generell in der Bevölkerung und dem unterschiedlichen Nutzen, den Menschen in verschiedenen Gesellschaften aus ihrer Bildung ziehen können. Die – durchaus bestehende – Adaptation einzelner Massnahmen kann hier nur bedingt Abhilfe schaffen.
Bei der Frage nach der Teilnahmequote geht es aber auch darum, soziale Lücken und Passungsprobleme von Angebot und Nachfrage zu schliessen. Dabei sind in den letzten Dekaden leichte positive Veränderungen festzustellen: die Unterschiede nach Geschlecht sind geringer geworden, die Teilnahme älterer Gruppen nimmt zu, das Stadt-Land-Gefälle wird flacher. Aber nach wie vor sind die Teilnahmequoten stark abhängig vom Bildungsniveau, vom Berufsstand und vom Migrationshintergrund. Dies lässt sich in Europa durchweg beobachten, international treten solche Unterschiede verschärft auf. Auf inhaltsbezogene Diskrepanzen im Bereich der berufsbezogenen Weiterbildung macht regelmässig das Europäische Zentrum für Berufsbildung (CEDEFOP) in Thessaloniki aufmerksam, mit entsprechenden Debatten um notwendige Massnahmen.
Einen qualitativen Sprung in der Teilnahmedebatte hat die Anerkennung informellen Lernens erzeugt. Nicht nur, dass es in die Statistiken (auf der Basis des AES) aufgenommen wurde (das trug auch zur Erhöhung der Quoten bei), sondern dass es als gleichberechtigter Teil der Bildung Erwachsener integriert werden sollte. Die Europäische Union hat hier vor 15 Jahren den Stein ins Rollen gebracht, die Mitgliedsstaaten anhand eines entsprechenden Entwurfes aufgefordert, kohärente nationale Systeme der Anerkennung informellen Lernens zu entwickeln. Das sollte bis 2018 geschehen, diese Geschwindigkeit hat zahlreiche Länder überfordert – sie sind noch nicht so weit. Die Frage des Verfahrens (Wie erfassen? Wie bewerten? Wie dokumentieren?) bereitete – und bereitet – Schwierigkeiten. Einheitliche Anerkennungssysteme zu schaffen, wird auch durch den Markt erschwert, der «Modelle» verkauft. Schliesslich sind die Konsequenzen, etwa die (gleichwertige) Anerkennung formaler Bildungsgänge gegenüber universitären Abschlüssen, unklar, was sich blockierend auswirkt. Rechtlich, organisatorisch, kulturell und politisch sind die Situationen in den europäischen Ländern hier völlig verschieden, eine Annäherung vergleichbar mit dem Bologna-Prozess noch schwer vorstellbar. Entsprechend enden internationale Debatten hier häufig mit dem Statement: Sehr sinnvoll, aber bei uns geht das nicht.
Kompetenzen Erwachsener
Eng verbunden mit der Diskussion um die Anerkennung informell erworbener Lernergebnisse ist die Frage nach den Kompetenzen Erwachsener. Es gibt sie in dieser Form erst seit etwa zwanzig Jahren, aufgesprungen auf den Siegeszug des Kompetenzbegriffs und in Analogie zu der vergleichenden Kompetenzstudie im Schulbereich (PIAAC/PISA). Interessen und Hintergrund sind deutlich: In den sich immer rascher ändernden Arbeits- und Lebenssituationen in allen Ländern dieser Welt kommt es weniger auf die Zeugnisse an, die erworben wurden, sondern auf das Können, Wissen und die sozialen sowie fachlichen Fähigkeiten der Menschen. Die Ubiquität des Problems führt logischerweise zu einer intensiven internationalen Debatte, die mit ähnlichen Argumenten und Zielen geführt wird.
Im Europa der Union ist – auch hier auf Anstoss und Entwurf der Brüsseler Kommission hin – in den letzten zwölf Jahren ein System nationaler «Qualifikationsrahmen» entstanden, die zentral mehr oder weniger harmonisiert werden. Die EU praktiziert damit, was sich immer in offenen Märkten bei unterschiedlichsten Bildungssystemen aufdrängt: ein Vergleichssystem der Kompetenzen. Schon im Commonwealth vor über hundert Jahren wurde Ähnliches umgesetzt. Naheliegenderweise kann in solchen Systemen nicht die Investition in Bildung verglichen werden, sondern sinnvollerweise nur deren Ergebnis: die Fähigkeiten und Kompetenzen der Menschen. Dieser Grundgedanke bedeutete für viele Bildungssysteme einen Paradigmenwechsel, Curricula waren von Input- in Outputkategorien (erzielte Lernergebnisse) zu übertragen. Entsprechende Transformationen laufen auch jetzt noch an verschiedenen Stellen, eine übergreifende internationale Auswertung und Debatte steht noch aus.
Weit über Europa hinaus haben sich Grundbildung (Basic Education, in der Schweiz: Grundkompetenzen) und Alphabetisierung (Illiteracy) zu einem festen Bestandteil internationaler Kompetenzdiskurse entwickelt. Genau genommen hat das Thema Europa zuletzt erreicht: Noch vor vierzig Jahren als Problem von Entwicklungsländern abgetan, haben heute auch entwickelte Industrieländer die Notwendigkeit erkannt, Massnahmen zu ergreifen. Deutschland etwa hat ein zehnjähriges Alphabetisierungs-Programm aufgelegt, nachdem zu Beginn in einer grossangelegten Untersuchung festgestellt wurde, dass mehr als zehn Prozent der Bevölkerung (immerhin acht Millionen Menschen) hier Defizite aufweisen. In globalen Konferenzen wie der anfangs genannten CONFINTEA werden hier Parallelen aufgezeigt und gemeinsam Lösungen gesucht, meist auf der Basis erfolgreicher Projekte wie dem Kaskadenmodell in Indien oder dem Nutzen von Smartphones in Australien.
Qualität und Personal in der Erwachsenenbildung
Je mehr Erwachsene sich weiterbildeten, je bedeutsamer Erwachsenen- und Weiterbildung für die «Workforce» in den einzelnen Staaten und in der EU insgesamt wurden, desto dringlicher wurde die Frage nach deren Qualität. Dennoch war es die Wirtschaft, welche den Qualitätsdruck auf die Weiterbildung zuerst intensivierte. In den späten 1980er Jahren unterwarfen sich aus Wettbewerbsgründen immer mehr Betriebe den gewachsenen Qualitätsanforderungen und zertifizierten sich, damals fast durchweg nach dem ISO-9000-Programm der EU. Ein solches Zertifikat verlangte auch von den Zulieferern eine entsprechende Zertifizierung; und Einrichtungen der beruflichen Bildung für Beschäftigte der Betriebe galten als Zulieferer. Volkshochschulen etwa, die in nennenswertem Umfang auf Mittel der beruflichen Bildung angewiesen waren, sahen sich zu einem solchen Zertifizierungsprojekt gezwungen.
In der Folge war in den 1990er Jahren die internationale EB-Diskussion voll mit Erörterungen unterschiedlicher Modelle der Qualität, der Qualitätsentwicklung, des Qualitätsmanagements, der Qualitätskontrolle, auch hier befördert durch die privatwirtschaftlichen Interessen von Qualitätsagenturen. Bis in das EU-Memorandum von 2000 hinein zog sich diese Qualitätsdebatte, danach flachte sie ab. Qualität war zu einer Selbstverständlichkeit geworden – in der internationalen Diskussion, national und in der Praxis nicht durchgängig.
Es ist interessant festzustellen, dass nahezu parallel dazu die Forderungen nach Qualifikation und Professionalität des Personals in der Weiterbildung fast verstummten, obwohl es doch das Personal ist, das für Qualität Sorge tragen muss. Grund war eine aus den Vereinigten Staaten nach Europa importierte neue Sicht auf Weiterbildung, das «Selbstlernen», unterfüttert durch die Adaptation konstruktivistischen Gedankenguts in bildungstheoretischen Kontexten. Politisch sorgte das für Erleichterung: Nicht mehr der Staat oder die öffentliche Hand hatten die rasch wachsende Menge von lernenden Erwachsenen zu fördern und zu finanzieren, sondern diese erledigte das selbst. Das Personal in der Weiterbildung wurde für eine ganze Dekade zu einer Randnotiz der Weiterbildungspolitik, auf nationaler, vor allem aber auf internationaler Ebene.
Dieser Denkfehler, das Ausblenden der zweitwichtigsten Akteursgruppe der Weiterbildung, wurde politisch erst ab Mitte der 2000er Jahre bewusst. Die EU begann, Projekte zur Qualifizierung des Personals zu fördern, auch in internationalen Organisationen gewann das Thema an Bedeutung, etwa bei ASEM mit mehreren Veranstaltungen und Publikationen. Schliesslich lieferte ein doppelter Rundumschlag Vorstellungen zur erforderlichen Kompetenz von Erwachsenenbildner*innen zwei Projektberichte (gefördert von der EU) des niederländischen Instituts «Research voor Beleid» (2008, 2010). Mittlerweile sind bemerkenswerte Programme zur Qualifizierung des Personals entwickelt und erprobt, etwa «eduqua» in der Schweiz, die «wba» in Österreich und das im DIE angesiedelte Programm «GRETA» in Deutschland. Hier besteht ein enger Arbeitskontakt, der eine Grundregel bestätigt: je näher sich Arbeitsbedingungen und Strukturen international sind, desto enger ist auch die entsprechende Kooperation.
Finanzierung der Erwachsenenbildung
Die Finanzierung der Erwachsenenbildung schliesslich ist aus der internationalen Diskussion nicht wegzudenken. Eigentlich betrifft dies die Finanzierung von Bildung generell. Appelle, Erwachsenenbildung besser zu fördern und zu finanzieren, gibt es in den vergangenen fünf Dekaden zuhauf. Immer wieder werden Erfolge vermeldet in einzelnen Ländern, die mehr in (Erwachsenen-)Bildung investieren, konterkariert durch andere Länder, die ihre Beiträge wieder reduzieren. Ganz generell ist immer wieder ein Mangel an angemessener öffentlicher Förderung festzustellen.
Dies gilt insbesondere für die Erwachsenenbildung. Als jüngster politisch anerkannter Bildungsbereich hatte und hat sie es erwartungsgemäss schwer, anteilig an der staatlichen Bildungsfinanzierung berücksichtigt zu werden – obwohl Erwachsenenbildung in vielen Ländern derjenige Bereich ist, der die meisten Lernenden verzeichnet. Es gibt jedoch auch andere Gründe als das «Alter» dieses Bildungsbereichs. So wird immer wieder darauf hingewiesen, dass Erwachsene in der Regel über ein Einkommen verfügen, das ihnen die Finanzierung ihrer Weiterbildung ermöglicht. Und dass Weiterbildung von einer Vielzahl von Organisationen getragen wird (Betriebe, Kirchen, Verbände, Gewerkschaften etc.), die ihrerseits zur Finanzierung beitragen. Im Endeffekt führt diese international weit verbreitete und geteilte Position dazu, dass fast allerorten Mischmodelle der Finanzierung von Weiterbildung existieren, die sich etwa als Angebots- und Nachfragemodell oder Budget- und Ansparmodell unterscheiden. In der Regel legen einzelne Staaten gezielte Programme auf, um einzelnen Personengruppen trotz finanzieller Engpässe die Teilnahme an Weiterbildung zu ermöglichen. Diese Modelle werden in internationalen Fachkreisen immer wieder diskutiert, transferiert und adaptiert. Die globale Entwicklung ist schwer einzuschätzen. Man hat den Eindruck, dass Finanzierungsmodelle, welche die Lernenden stärker beteiligen, zunehmen, aber nicht in ärmeren Ländern.
Resümee
Der internationale Diskurs besteht, nomen est omen, im Wesentlichen im «Talk», weitgehend zunächst unabhängig von der «Action». Zumindest, was den bildungspolitischen, weniger den wissenschaftlichen Teil angeht. In politikwissenschaftlichen Analysen wird immer wieder der Versuch unternommen, den Diskurs anhand verfügbarer Unterlagen (Akten, Dokumente, Interviews) nachzuvollziehen und zu erhellen. Ein Beispiel dafür ist die Untersuchung von K. Mülheims (2020) zur Entstehung des Europäischen Jahres des lebensbegleitenden Lernens. Eine einfache Aufgabe ist dies angesichts höchst komplexer internationaler Akteurskonstellationen nicht. Letztlich beschränken sich solche Analysen dann auch auf die mehr oder weniger zugänglichen Dokumente. Davon gibt es viele, was die Erwachsenenbildung, zumal die in Europa, angeht. Die – vergleichende – Lektüre und Analyse von Politpapieren (Empfehlungen, Konzepte, «Strategien») stellt hohe Anforderungen; es sind meist Kompromisstexte, in denen unterschiedlichste Einflüsse glättend zusammengefügt und harmonisiert werden (was übrigens auch für nationale Politpapiere wie die «Neue Weiterbildungsstrategie» NWS in Deutschland gilt). Vielfach erkennt man dennoch die zugrundeliegenden begrifflichen Konzepte, die gelegentlich in ihrer (meist englischen) Übersetzung eigentümlich verdreht sind (s. EU – Dokumente). Dies gilt auch für die jüngeren Texte wie etwa «Education 2030» oder «Education for All» der UNESCO, evaluiert im Weltbildungsbericht 2015.
Versucht man, die internationale Diskussion zur Erwachsenenbildung unter dem «Action»-Blick zu beurteilen, steht man vor dem Problem mangelnder Wirkungsanalysen; eine solch gründliche Evaluation wie die der UNESCO von 2015 ist eher die Ausnahme, und sie zeigt auch die Grenzen der Realisierung von Empfehlungen und Selbstverpflichtungen:
«Nur ein Drittel der Weltgemeinschaft hat die sechs Bildungsziele (Ausbau der frühkindlichen Bildung, Grundschulbildung für alle Kinder, Absicherung der Lernbedürfnisse Jugendlicher, die Reduzierung der Analphabetenrate unter Erwachsenen um die Hälfte, die Überwindung von Geschlechterdisparitäten und die Verbesserung der Bildungsqualität) erreicht, zu denen sie sich im Jahr 2000 selbst verpflichtet hat.»
Es werden viele wichtige, interessante und gehaltvolle Dinge debattiert. Wie etwa in CONFINTEA, das vor allem Aspekte der Illiteracy, der Teilhabe und der lernenden Städte und Regionen betont. Die Tatsache, dass sich bei der Lektüre der Abschlussdokumente von CONFINTEA seit 1949 viele Déjà-vu-Erlebnisse einstellen, stimmt allerdings nicht sehr optimistisch. Es werden immer wieder die gleichen Dinge erörtert, problematisiert, angemahnt, der «talk» ändert sich kaum, mit Ausnahme vielleicht der Begriffe «education/learning»: In den Dokumenten 1949 war die Rede vom Recht auch der Erwachsenen auf «education», heute geht es um das Recht der Erwachsenen auf «learning» – Adressaten waren damals Bildungsanbieter, heute sind es die erwachsenen Lernenden, wobei das «Recht» eher einem moralischen Imperativ entspricht. Aber auch die «action», die Realität der Erwachsenenbildung, ändert (und verbessert) sich seit den 1970er Jahren kaum mehr, mit Ausnahme des zunehmenden Fokus auf berufliche Weiterbildung, abzulesen etwa an den Daten Adult Education Survey in Europa. Doch es bestehen die Annahme und die Hoffnung, dass unterhalb dieser grossangelegten Veranstaltungen des Zuschnitts von CONFINTEA auf der internationalen Arbeitsebene, in Projekten und Kooperationen mehr an Fortschritt erzielt wird. Auf der wissenschaftlichen Ebene allemal: Viele Projekte, Large-Scale-Studies und Tagungen haben zentrale gemeinsame Fragen und Lösungsvorschläge aufgezeigt, Terminologien geschärft und unterschiedliche Zugänge zum Feld deutlich gemacht. Aber die Weiterbildung ist auch bekannt dafür, dass es zwischen Wissenschaft und Praxis mindestens ebenso hohe Hürden gibt wie zwischen internationalen Debatten und nationalen Realitäten. Doppelte Hürden also.
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