22.11.2022
N°2 2022

Erwachsenenbildung als Beruf – 10 Stimmen zu 30 Jahren Professionalisierung in der Schweiz

In den 1990er Jahren begann eine Gruppe von Fachleuten aus der Weiterbildung gemeinsam mit dem Schweizerischen Verband für Weiterbildung SVEB sowie mit Weiterbildungsinstitutionen, Kompetenzprofile für die methodisch-didaktische Qualifizierung von Erwachsenenbildnerinnen und -bildnern zu entwickeln und entsprechende Bildungsangebote zu definieren. Das daraus hervorgegangene modulare System zur Ausbildung der Ausbildenden (der «AdA-Baukasten») hat die Professionalisierung der Weiterbildung in der Schweiz stark geprägt. Wir haben zehn Fachleute, die den Professionalisierungsprozess in der Schweiz in den letzten 30 Jahren geprägt oder aktiv mitgestaltet haben, um eine Einschätzung dieser Entwicklung gebeten. Manche der Befragten waren in die Entwicklung des AdA-Systems involviert, andere in weiteren Kontexten wie dem hochschulischen oder betrieblichen Bereich aktiv.

In der Schweiz hat sich in der Praxis ein Professionalisierungsverständnis etabliert, das sich primär auf zwei Bereiche konzentriert: die Qualifizierung des Weiterbildungspersonals und die Qualitätssicherung bei Weiterbildungsinstitutionen und -angeboten. Ein dritter Bereich, der für den Professionalisierungsprozess eine zentrale Rolle spielt, ist die Beschäftigungssituation des Weiterbildungspersonals (vgl. Kraus 2012).

Individuelle und kollektive Professionalisierung

Professionalisierung umfasst eine kollektive, gesellschaftliche und eine individuelle Ebene. Zur kollektiven Ebene gehören in einem allgemeinen Sinn die politischen, gesellschaftlichen, ökonomischen Rahmenbedingungen, die Strukturen des Bildungssystems sowie die vorhandenen Qualifizierungsmöglichkeiten für Erwachsenenbildungsberufe. Dazu gehören auch die Möglichkeiten zur Berufsausübung, also die Tätigkeitsfelder, die Beschäftigungssituation und die beruflichen Perspektiven.

Auf der individuellen Ebene kann Professionalisierung als das Erreichen von Professionalität im Sinn kompetenten andragogischen Handelns verstanden werden. Hier stehen neben fachlichen und andragogischen Kompetenzen auch Fragen der beruflichen Identität im Zentrum. Individuelle Professionalisierung resp. die Entwicklung individueller Professionalität kann nicht ohne kollektive Professionalisierung stattfinden. Sie setzt das Vorhandensein von Strukturen und Möglichkeiten zur Qualifizierung und zur Beschäftigung voraus.

Erwachsenenbildung als Profession

Die Herausbildung einer Profession im Sinn einer wissenschaftlichen Fundierung des Berufs spielt in der Schweiz eine untergeordnete Rolle, was primär strukturelle Gründe hat: Im Unterschied etwa zu Deutschland, wo Erwachsenenbildung seit den 1970er Jahren als akademische Disziplin existiert, gibt es in der Schweiz bis heute mit Ausnahme der Universität Genf und der Universität Basel (Vertiefungsrichtung innerhalb der Erziehungswissenschaft) keine Bachelor- oder Masterstudiengänge im Bereich Erwachsenenbildung. Entsprechend gering ist auch die Forschungstätigkeit im Bereich Erwachsenenbildung. Dies hat zur Folge, dass sich ein wissenschaftlich fundiertes Professionsverständnis nur punktuell entwickeln kann.

Einschätzungen aus der Praxis

Für den vorliegenden Beitrag wurden Fachleute, die den Professionalisierungsprozess in der Schweiz geprägt oder aktiv mitgestaltet haben, um eine Einschätzung der Professionalisierungsentwicklung gebeten.

Ziel war, die Professionalisierung der Weiterbildung in den letzten rund 30 Jahren zu reflektieren. Dieser Zeitraum wurde gewählt, weil Anfang der 1990er Jahre eine neue Phase in der Professionalisierung der Weiterbildung in der Schweiz begann: Auf Initiative des Schweizerischen Verbandes für Weiterbildung (damals «Schweizerische Vereinigung für Erwachsenenbildung») erarbeitete 1992 eine Gruppe von Vertreterinnen und Vertretern aus Weiterbildungsinstitutionen gemeinsam mit dem Dachverband die methodisch-didaktischen Anforderungen für die Konzeption und Umsetzung von Weiterbildungsangeboten. Diese legte den Grundstein für den heute etablierten Baukasten zur Ausbildung der Ausbildenden («AdA-Baukasten»)1. Mit der Entwicklung von trägerübergreifenden Kompetenzprofilen für die Bildungsarbeit mit Erwachsenen gelang in der Schweiz ein wichtiger Professionalisierungsschritt, der die Entwicklung der Erwachsenenbildungsberufe stark geprägt hat. Nach wie vor gibt es für diesen Bereich aber auch andere Wege und Qualifizierungsmöglichkeiten.

Perspektiven aus unterschiedlichen Kontexten

Der vorliegende Beitrag gibt einen vielstimmigen Eindruck von der Entwicklung der Professionalisierung der Weiterbildung in der Schweiz. 13 Personen, die in unterschiedlichen Rollen und Funktionen an dieser Entwicklung beteiligt waren, wurden um eine Einschätzung dazu gebeten, was in der Professionalisierung in den letzten 30 Jahren gelungen ist, was (noch) nicht erreicht werden konnte und welche Zukunft sie für die Erwachsenenbildungsberufe sehen. Im Zentrum stand dabei nicht die Professionalisierung insgesamt, sondern «Erwachsenenbildung als Beruf».

Geantwortet haben zehn Personen, davon eine aus der französischen, zwei aus der italienischen und sieben aus der deutschen Schweiz (vgl. Angaben am Schluss dieses Beitrags): Ernst Aebi, Furio Bednarz, Diana Binder Wettstein, Angelica Bochsler, Ruth Meyer Junker, Germain Poizat, Giuseppe Rauseo, André Schläfli, Andreas Schubiger und Geri Thomann. Sie alle haben die Professionalisierung im Rahmen ihrer Tätigkeit bei unterschiedlichen Weiterbildungsinstitutionen, beim Dachverband SVEB, in Betrieben oder als selbstständige Ausbildende über einen längeren Zeitraum mitgeprägt.

Die hier präsentierten Perspektiven spiegeln eine Auswahl der Kontexte, in denen sich die Professionalisierung der Erwachsenenbildung als Beruf abspielt. Sie zeigen, dass der Professionalisierungsprozess trotz einer gewissen Standardisierung der Profile und Abschlüsse durch den AdA-Baukasten heterogen geblieben ist.

Die Anfänge einer gezielten, koordinierten Professionalisierung

Die meisten Befragten haben die Professionalisierung der Erwachsenenbildung als Ausbildende selbst miterlebt. Beispielhaft zeigt die Erfahrung von Giuseppe Rauseo, wie stark sich die Situation der Ausbildenden mit dem Professionalisierungsschub, der Mitte der 1990er in Gang kam, verändert hat:

«Wenn ich an meine persönlichen Erfahrungen in der Erwachsenenweiterbildung denke, wird mir bewusst, dass es heutzutage zumindest sehr gewagt wäre, eine Sprachschule zu eröffnen, indem man einfach ein entsprechendes Schild an die Tür hängt, nachdem man nur einige Jahre Erfahrung im Unterricht des Italienischen als Fremdsprache gesammelt und ein bisschen Unternehmergeist entwickelt hat, wie ich es Ende der 90er-Jahre erfolgreich getan habe. Genau in jenen Jahren begann man im Tessin über eine Ausbildung für Ausbildende und somit über Wege zur Professionalisierung der Rolle des Erwachsenenbildners sowie auch über eine Qualitätszertifizierung für Weiterbildungsinstitute zu reden. Ich hatte das Glück, die positive Entwicklung der Professionalisierung der Rolle des Erwachsenenbildners hautnah mitzuerleben. Dank dieser Erfahrung war es mir möglich, meine Kenntnisse, die ich fast ausschliesslich im Zuge meiner bisherigen praktischen Tätigkeit im Bereich der Weiterbildung erworben hatte, neu einzuordnen.» (Giuseppe Rauseo)

Die Initiative des SVEB, Kompetenzen und Qualifizierungswege für Tätigkeiten in der Erwachsenenbildung klarer zu definieren, fand Anfang der 1990er Jahre bei einigen Weiterbildungsinstitutionen Anklang. André Schläfli, damaliger SVEB-Direktor und Mitinitiant des AdA-Systems, erinnert sich an die Pionierzeit:

«Im Jahr 1992 haben wir eine Gruppe von Expertinnen und Experten aus den Migros-Klubschulen, der Akademie für Erwachsenenbildung aeB und dem Verband der Betriebsausbilder eingesetzt, die sich damit beschäftigen sollte, wie wir ein Modell entwickeln könnten, das die Professionalisierung der Ausbildung von Kursleitenden erlaubt. 1993/1994 konnte die Delegiertenversammlung des SVEB die fünf Grundsätze verabschieden, die von André Stuker2 und mir entwickelt worden waren – und die bis heute Gültigkeit haben (Transparenz und Durchlässigkeit von Ausbildungsangeboten, Erwachsenenbildung als Zusatzqualifikation, Funktionen in der Erwachsenenbildung, Anerkennung, Euro-Kompatibilität). Unsere Überraschung war gross, als wir feststellten, dass die Ziele der bestehenden Angebote vielfach ähnlich oder sogar identisch waren. Wir stellten aber auch fest, dass einige Anbieter für die gleichen Ziele drei Tage brauchten, andere hingegen mehrere Wochen.  

Klar war für uns, dass wir einige gemeinsame Standards aufstellen wollten. Wir liessen uns dabei von einem Modell der Universität Genf inspirieren und definierten zusammen mit der Anbietergruppe vier Stufen, die bis heute bestehen. Bereits in den Anfängen achteten wir zudem auf die internationale Kompatibilität der Angebote.

Dem SVEB wurde in diesem Prozess immer wieder eine Monopolisierung der Professionalisierung vorgeworfen. Dies erforderte eine sorgfältige Reflexion der Entwicklung mit allen Stakeholdern. Das System war so angedacht, dass die Anbieter anfangs je nach Zielgruppe sehr grosse Freiheiten hatten, ohne dass dabei die gemeinsame Zielsetzung aus den Augen verloren wurde. Heute – auch nach der aktuellen Revision des AdA-Baukastens – wird die Freiheit der einzelnen Institutionen teilweise durch genaue Vorgaben eingeschränkt.» (André Schläfli)

Geri Thomann hat diesen Prozess in der Anfangszeit aus der Perspektive einer der beteiligten Weiterbildungsinstitutionen miterlebt und wertet die Rolle, die der SVEB als nationaler Dachverband damals übernahm, als Erfolgsfaktor für die Professionalisierung der Erwachsenenbildungsberufe:

«Eine der erfolgreichsten Entwicklungen ist zweifelsfrei gekoppelt an den Ausbau und die Erhöhung des Masses an Einflussnahme des Verbandes SVEB. Ich erinnere mich, dass man bei meinem Start an der aeB Mitte der 1990er Jahre die Zahl der SVEB-Mitglieder an ein paar Händen abzählen konnte (etwa 40), heute sind es knapp 800. Ich erinnere mich ebenso an unsere Skepsis gegenüber der Konzeption der SVEB-Angebote (Angebote auf den Stufen I und II) und an unsere Bereitschaft, diesen Versuch zu wagen. Es ist unglaublich, was seither an Angeboten und Qualitätssicherung erreicht wurde!» (Geri Thomann)

Parallel zur Entstehung des AdA-Systems fand auch im betrieblichen Bereich ein Prozess zur Professionalisierung der Bildungsarbeit mit Erwachsenen statt:

«Eine erste offizielle Anerkennung der in Unternehmen und Betrieben tätigen Erwachsenenbildner/innen wurde auf Stufe der Höheren Fachprüfung (HFP) vor 27 Jahren (1995) durch den SVBA (Schweizerischer Verband für Betriebsausbildung) mit der höheren Fachprüfung ‹eidg. dipl. Betriebsausbilder/in› erreicht. Im Rahmen der intensiven Zusammenarbeit zwischen SVEB und SVBA wurde das Diplom 2006 aufgegeben zugunsten der neuen, modularen Ausbildung und Prüfung zum/zur eidg. dipl. Ausbildungsleiter/in. Diese neue HFP – als Ergänzung zum bestehenden Fachausweis Ausbilder/in – trug wesentlich zur Professionalisierung und Anerkennung der Berufe in der Erwachsenenbildung bei.» (Ernst Aebi)

Allmähliche Entwicklung eines Berufsverständnisses

Während die Entwicklung einheitlicher Kompetenzprofile und der Aufbau oder die Umgestaltung von Ausbildungsangeboten relativ rasch realisiert werden konnte, verlief die Entwicklung des Berufsverständnisses oder der beruflichen Identität langsamer:

«In der Erwachsenenbildung ist die klassische Beruflichkeit eher die Ausnahme. Personen mit einem beruflichen Hintergrund in irgendeiner Domäne qualifizieren sich für eine häufig nebenberufliche Ausbildungstätigkeit. Hier hat der SVEB mit seinem Baukasten in den letzten 25 Jahren Beachtliches geleistet. Gerade mit dem SVEB-Zertifikat der Stufe 1 hat sie diese Personen für ihre Tätigkeit qualifiziert. Dabei ist es dem SVEB gelungen, die Kompetenzprofile möglichst generisch und transversal zu formulieren, dass eben die unterschiedlichsten Domänen darauf zugreifen konnten. Als ehemaligem Lehrgangsleiter und Schulleiter hat mir diese Qualifizierung immens geholfen, mit diesen nebenamtlichen Lehrpersonen eine Qualitätsentwicklungsoffensive zu realisieren.

Von Beruflichkeit können wir sicherlich mit dem Fachausweis und seiner namensgebenden Berufsprüfung sprechen. Mit einem eigenständigen Berufsprofil konnte sich dieser Abschluss nicht nur in der klassischen Erwachsenenbildung, sondern insbesondere auch in der höheren Berufsbildung und beruflichen Weiterbildung durchsetzen.» (Andreas Schubiger)

Ruth Meyer Junker stellt rückblickend einen positiven Einfluss des Berufsbildes auf die Qualität der Ausbildungen fest:

«Je mehr das Berufsbild des Erwachsenenbildners an Kontur gewann, desto besser wurden die Ausbildungen. Dank des AdA-Baukastens konnten sich fähige Kursleiterinnen und Kursleiter weiterbilden und bei Bildungsanbietern leitende Stellungen besetzen. Damit gewannen die Didaktik und die Bedarfsorientierung insbesondere bei der beruflichen Weiterbildung an Bedeutung.» (Ruth Meyer Junker)

Während sich allmählich ein Berufsbild etablierte und zumindest teilweise auch Beruflichkeit herausbildete, blieb ein Aspekt, der zur Entwicklung des Berufs im Sinn einer Profession gehören würde – die wissenschaftliche Fundierung –, lange Zeit nebensächlich. In den letzten Jahren hat die Aufmerksamkeit für diesen Aspekt der Professionalisierung zugenommen, was kontrovers aufgenommen wird:

«Seit den Anfängen des AdA-Baukastens wurden die Vorgaben zu den Modulen an die Anbieter immer detaillierter. Durch die engeren Vorgaben bei den Kompetenznachweisen stiegen zum Beispiel die schriftlichen Anforderungen an die Teilnehmenden. So wird nach der neusten Revision bereits ein wissenschaftlicher Umgang mit Quellen und eine Legitimationserklärung auf Stufe SVEB-Zertifikat verlangt. Die grosse Stärke des AdA-Baukastens liegt jedoch in der Praxisnähe. Es stellt sich die Frage, ob auf den Stufen I und II des AdA-Baukastens die stärker gewichtete Kompetenz des wissenschaftlichen Arbeitens wirklich professionellere Ausbilder/innen hervorbringt.» (Diana Binder Wettstein)

«Der Forschungsbezug ist im Vergleich etwa zum deutschsprachigen Ausland marginal geblieben. Dies wird nicht durch die vielen CAS-Möglichkeiten in der hochschulischen Weiterbildung kompensiert, da diese meist eher praktisch ausgerichtet sind. Die Universität Genf bietet schon seit Jahrzehnten ein Masterstudium an; eigentlich ist seither lediglich eine Schwerpunktsetzung in Erwachsenenbildung im Rahmen des Masters Educational Science der Uni Basel/der FHNW dazugekommen – sowie zwei Professuren in der deutschsprachigen Schweiz (PH FHNW und PHZH).

Für die künftige Entwicklung der Professionalisierung erachte ich die Berücksichtigung von stärkeren Forschungsbezügen, damit verbunden auch ausgebaute Forschungsaktivitäten, als unumgänglich.» (Geri Thomann)

Parallel dazu zeigt sich, dass die Nachfrage nach Qualifizierungsangeboten, die auf eine Stärkung der Profession im Sinn einer auch wissenschaftlich fundierten Beruflichkeit hinzielt, bisher eher gering ist:

«Die Ausbildung zum Diplom Erwachsenenbildner/in HF (Höhere Fachschule), das eigentlich eine Kundschaft im vollprofessionellen Bereich anstrebt, wird aktuell nur durch eine Institution angeboten. Diese Ausbildung, die inhaltlich auf der Mikro-, Meso- und Makroebene professionalisieren würde, wird nicht genügend nachgefragt.» (Andreas Schubiger)

Günstige Rahmenbedingungen ermöglichen regionale «Ökosysteme»

Die oben skizzierte Entwicklung wurde von Akteuren auf nationaler Ebene angestossen. Parallel dazu fanden mancherorts auch regionale und kantonale Professionalisierungsprozesse statt, wenn dafür günstige Rahmenbedingungen vorhanden waren. Exemplarisch wird dies am Beispiel des Kantons Tessin sichtbar:

«Nicht von ungefähr wurden 1998 im Tessin die Grundlagen für die Entstehung eines Dachverbandes für Erwachsenenweiterbildung (der CFC) gelegt, der noch heute eine unentbehrliche Rolle bei der Vernetzung der Weiterbildungsinstitute und bei der Aufwertung der Rolle der Ausbildenden spielt. Nicht alle Institute und Ausbildenden hielten sich jedoch sofort an diese neuen Qualitätskriterien, da sie – zu Unrecht – meinten, man bewege sich in Richtung einer übermässigen und unnützen Bürokratisierung des Sektors, die unvermeidlich mit einem höheren Verwaltungsaufwand für die Institute und daraus folgend mit höheren Kosten für die Teilnehmenden einherginge. Im Laufe der Zeit kam es auf dem Markt so zu einer gewissen natürlichen Selektion.» (Giuseppe Rauseo)

«Der Kanton hat seit dem letzten Jahrhundert ein Gesetz, das den Bereich der Weiterbildung als lokalpolitische Priorität anführt. Auf kantonaler Ebene wurden ab Mitte der 90er-Jahre verschiedene Formen der Qualifizierung von Lehrkräften für die Erwachsenenbildung ausprobiert. Mit der Zeit ist so ein solides Ökosystem entstanden. Repräsentativ dafür ist die Entstehung der bereits Mitte der 90er-Jahre gegründeten Konferenz der italienischen Schweiz für die Erwachsenenweiterbildung (Conferenza della Svizzera italiana per la formazione continua degli adulti, CFC), die den Sektor nach aussen vertritt und fördert, wobei sie in enger Zusammenarbeit mit dem SVEB vorgeht und im Geiste der Partnerschaft die Institute, die öffentlichen und privaten Schulen sowie die Institutionen aus der Arbeitswelt einbindet. Dies war eine wesentliche Errungenschaft, die in nicht geringem Masse zur Professionalisierung des Sektors beigetragen hat. Ein wichtiger Meilenstein war dann später, im Jahre 2020, die Schaffung der Città dei mestieri della Svizzera italiana, einer wichtigen Drehscheibe im Bereich Berufsberatung, Ausbildung und Beschäftigung.» (Furio Bednarz)

Die Beschäftigungssituation bleibt ein Problemfeld

Die Beschäftigungssituation insbesondere der freischaffenden oder auf Mandatsbasis tätigen Erwachsenenbildnerinnen und -bildner scheint sich trotz fortschreitender Professionalisierung bei den Qualifizierungsangeboten nur unwesentlich verbessert zu haben:

«Dennoch gelang es nicht, die nötigen Bedingungen für eine adäquate Reglementierung der Verträge und Gehälter freischaffender Ausbildender zu schaffen, die sich oftmals gezwungen sehen, mit verschiedenen Ausbildungsinstituten bilateral Stundensätze und befristete Verträge auszuhandeln, und dabei kaum Garantien hinsichtlich der Kontinuität der Zusammenarbeit haben. Darüber hinaus sind zahlreiche Stellen des öffentlichen Sektors in verschiedener Funktion im Bereich der Weiterbildung aktiv und stützen sich in ihrer Tätigkeit auf unterschiedliche, bisweilen divergierende Rechtsgrundlagen, die es den Arbeitnehmenden, die immer stärker mit häufigen beruflichen Umorientierungsphasen zurechtkommen müssen, verunmöglichen, im Zuge ihrer Karriere eine geradlinige Bildungs- und Berufslaufbahn zu verfolgen.» (Giuseppe Rauseo)

«Offen bleibt für mich die Zukunft der professionellen Erwachsenenbildner/innen als Berufsgruppe mit anständigen Anstellungsbedingungen und Entwicklungsmöglichkeiten. Da sich weder ein Berufsverband noch eine Gewerkschaft mit den ganz normalen Kursleiterinnen und Kursleitern beschäftigt, nimmt die Prekarisierung zu. Die Honorare werden kleiner, die Handlungsspielräume ebenso und die Altersvorsorge und die Selbstausbeutung nehmen zu.» (Ruth Meyer Junker)

Konkurrenz erschwert die Professionalisierung

Obwohl zahlreiche Akteure aus allen Weiterbildungsbereichen in die Professionalisierungsprozesse eingebunden sind, gibt es bei der Koordination und Durchlässigkeit immer noch grössere Baustellen:

«Parallel und in Konkurrenz werden verschiedene Erwachsenenbildnerinnen und Erwachsenenbildner ausgebildet: Bei den Ausbildungen zur Berufsfachschullehrperson, zur Lehrperson für überbetriebliche Kurse (ÜK) oder zum Berufsbildner werden die Lehrleistungen gegenseitig nicht anerkannt und unterschiedlich finanziert. Statt fachlich voneinander zu lernen, konkurrenziert man sich. Hervorragende Fachspezialistinnen aus den Berufsfachschulen dürfen in der Weiterbildung nicht unterrichten – und bestens qualifizierte Erwachsenenbildner können keine ÜK oder Lehrerfortbildung anbieten. Dank dieser Pflege der eigenen Gärtchen wurde die historische Chance verpasst, Erwachsenenbildnerinnen und Erwachsenenbildner auszubilden, die an andere Bereiche wie der Berufsbildung, der Arbeitslosenbildung oder der Lehrerfortbildung anknüpfen könnten.» (Ruth Meyer Junker)

Ambivalente Einbindung der Hochschulen in den Professionalisierungsprozess

Obwohl zahlreiche Verbindungen und zunehmend auch Kooperationen zwischen Weiterbildungsinstitutionen und Hochschulen bestehen, bleibt das Verhältnis vielfach ambivalent.

«Die eigentliche Professionalisierung müsste auf der Stufe 3 des AdA-Systems geschehen, wo Ausbildende zu Ausbildungsleiter/innen und Erwachsenenbildner/innen ausgebildet werden. Hier besteht eine hohe Konkurrenz zu Weiterbildungsangeboten von Hochschulen. Allein der Umstand, dass der aktuell alleinige Anbieter den HF-Abschluss mit einem Doppelabschluss eines MAS kombiniert, spricht Bände. Die zunehmende Akademisierung in der Ausbildung von Lehrpersonen wird diesem Trend noch mehr Schub geben.» (Andreas Schubiger)

«Einerseits sind Fachausweise und Höhere Fachprüfung (HFP, Tertiär B) innerhalb der Berufslandschaft noch immer weniger angesehen als Bachelor- oder Master-Titel (Tertiär A) und der Versuch, die HFP als «Professional Master» zu positionieren, ist bisher nicht gelungen. Damit ist auch die Anerkennung im Ausland, insbesondere im englischsprachigen Raum, wieder in weite Ferne gerückt. Andererseits führt die zunehmende Akademisierung in vielen Berufen (Stichwort: Physiotherapeuten und Kindergärtnerinnen) ganz allgemein zu einer weiteren Abwertung der für die Schweiz typischen dualen Berufsbildung mit ihren eindeutigen Stärken.

Insgesamt hat die Bedeutung der offiziellen (möglichst akademischen) Titel und Ausbildungen heute ein zu starkes Übergewicht zuungunsten der praktischen Erfahrung, die in Unternehmen und Betrieben erworben wird.» (Ernst Aebi)

Umgekehrt stehen auch Hochschulen einer stärkeren Annäherung an die Praxis teilweise ambivalent gegenüber, obwohl sich ihnen neue Tätigkeitsfelder eröffnen:

«Eine wichtige Entwicklung im Bereich Professionalisierung war auch der Aufbau von Erwachsenenbildungs-Qualifikationen an Hochschulen, v.a. an Pädagogischen Hochschulen. Hier entstanden im Rahmen der Bologna-konformen Abschlüsse neue Möglichkeiten (CAS, MAS).» (Geri Thomann)

«Eine universitäre Berufsausbildung für im Bereich der Weiterbildung tätige Personen eröffnet eine einzigartige und zugleich von einer komplexitätsbehafteten Mehrschichtigkeit geprägte Perspektive, da die Kultur der Sphäre des Bildungs- und Ausbildungswesens sich klar von der Kultur der Sphäre der Produktion im öffentlichen und privaten Sektor unterscheidet. Daraus ergibt sich eine konstruktiv-kritische Haltung gegenüber der Universität sowie eine ständige Wachsamkeit und Sensibilität hinsichtlich der Bewahrung der universitären Autonomie bei der Festlegung der Lehrpläne, die gleichwohl an die gegenwärtige Arbeits- und Beschäftigungssituation angepasst sein müssen. 

Darüber hinaus setzt das Anliegen einer universitären Berufsausbildung eine Neubewertung der Beziehung zwischen akademischem Wissen und gesellschaftlicher Praxis voraus. Das Anliegen einer Professionalisierung der Ausbildungswege läuft diesbezüglich auf einen möglichen erkenntnistheoretischen Bruch mit dem im universitären Bereich noch vorherrschenden, auf die Aufklärung zurückgehenden Modell hinaus, das einen naturgegebenen Gegensatz zwischen Wissen und Handeln postuliert. Infolgedessen sind alternative Modelle erforderlich, um aus dieser Zweiteilung herauszukommen. Diese Modelle müssen in den jeweiligen Ausbildungen inhaltlich vermittelt werden und sollten in der universitären Forschung berücksichtigt werden.» (Germain Poizat)

Zukunftsaussichten

Die angeschriebenen Expertinnen und Experten wurden gefragt, welche Zukunft sie für die Berufe in der Erwachsenenbildung sehen. Sie identifizieren und antizipieren unterschiedliche Herausforderungen:

Beratung, Begleitung und Individualisierung gewinnen an Bedeutung

«Die Bedeutung von Subjektorientierung wird zunehmen – auch auf der Meso- und Makroebene. Ausbildende werden in Zukunft mehr Prozessbegleiter/innen, Facilitator/innen, Systementwickler/innen als Lehrende sein.» (Andreas Schubiger)

«Die Rolle als Lernbegleiter wird immer wichtiger. Hier sind neue Lernformen, Methoden etc. gefragt. Blended Learning, E-Learning ist Bestandteil der Realität in vielen Organisationen geworden. Individualisierung und überbetriebliches Lernen wird meines Erachtens zunehmen. Es stellt sich vermehrt die Frage: Wie nutzen wir die verschiedenen Kanäle und Möglichkeiten, was tun wir inhouse, was kaufen wir ein? Auch selbstgesteuertes Lernen wird immer stärker gewünscht, erfordert aber Disziplin. Ist diese bei den Lernenden vorhanden? Welche Verantwortung soll bei den Trainern und Entwicklerinnen liegen, welche bei den Lernenden?» (Angelica Bochsler)

«Ich sehe einen grossen Bedarf an Beratungs-Know-how – betriebsintern gekoppelt an HR-Funktionen, innerhalb von Weiterbildungsorganisationen im Rahmen der Begleitung durch ‹Landschaften› von Angeboten (Stichworte Kuratierung und Personalisierung). Ich denke auch, dass es notwendig wäre, Weiterbildungsberatende spezifisch zu qualifizieren. Das heisst für mich nicht, Themen wie ‹Gruppen leiten› u.ä. fallen zu lassen. Im Gegenteil: Sich immer wieder neu formierende Ausbildungsgruppen benötigen dringend eine Revision und Aktualisierung der traditionellen Weiterbildungskonzepte. Kuratierung bedeutet nun nicht die totale Individualisierung; Gemeinschaftsbildung geschieht hier bei kuratierten Angeboten einfach nicht mehr durch Gruppen, sondern in Programmen oder durch kundenbindende Aktivitäten in Organisationen (z.B. durch begleitete Intervisionsgruppen oder durch gemeinsame Kurztagungen oder regelmässige gemischte Treffen mit interessanten Gästen etc.» (Geri Thomann)

«Man geht davon aus, dass die Lernenden zunehmend eine wesentliche Rolle bei der Gestaltung des eigenen Bildungswegs spielen werden, doch dadurch wird die fundamentale Bedeutung der Personen nicht gemindert, die sie in ihrer Entwicklung begleiten und diese strukturieren. Die Fähigkeit, die eigenen Kompetenzen zu erkennen und zu reflektieren, wird zu einer entscheidenden Metakompetenz. Die Herausforderung, Erwachsenen Zugang zu Qualifikationen zu bieten, bleibt bestehen, und in diesem Bereich muss die Autonomie der Lernenden von den ausbildenden Stellen gewährleistet werden, wobei die Beziehungsebene beim Lernen als Voraussetzung für den Aufbau von Vertrauen und Autonomie aufgewertet werden muss.» (Furio Bednarz)

Die Digitalisierung bleibt eine anspruchsvolle Aufgabe

«Die Ausbildung wird sich wahrscheinlich weiter individualisieren und digitalisieren. Gerade neue Technologien (bspw. 5G/Metaverse) werden auch die virtuellen didaktischen Möglichkeiten verändern und eventuell weitere Ausbildungsformate ermöglichen. Was in den nächsten zehn Jahren noch alles geht, können wir uns sehr wahrscheinlich heute gar noch nicht vorstellen.

Eine Herausforderung für die Professionalisierung wird es sein, die aktuellen Angebote und Ausbildungsformate den immer schneller werdenden digitalen Veränderungen und Anforderungen des Marktes anzupassen, ohne dabei an Qualität einzubüssen. Aber sie bringt auch vielversprechende Möglichkeiten mit sich. Die Aufgabe von uns Bildungsanbietern wird es sein, die Bedürfnisse des Marktes aufzunehmen und gestützt auf unsere Werte und Qualitätsstandards diese in eine nachhaltige Weiterentwicklung unserer Lehrgänge einfliessen zu lassen. Das Lebenslange Lernen wird weiterhin ein wichtiger Wert bleiben.» (Diana Binder Wettstein)

«Ganz am Anfang stehen wir natürlich noch hinsichtlich der Herausforderung der Digitalisierung, die meiner Meinung nach über eine Integration zwischen Ausbildungsstätten, die Fähigkeit zur Entwicklung hybrider Ausbildungsmodelle (Präsenz- und Fernunterricht) und eine durchdachte Aufwertung digitaler Werkzeuge laufen wird. Den Ausbildenden würde ich raten, sich vor der Konkurrenz durch die Technologie nicht zu fürchten, sondern sich diese vielmehr zum Vorteil der Lernenden zunutze zu machen.» (Furio Bednarz)

Steigende Anforderungen und neue Tätigkeitsfelder

«Bereits heute stehen die meisten Berufe in der Erwachsenenbildung unter einem starken Veränderungsdruck. Digitalisierung und Homeoffice haben das Ihre dazu beigetragen, dass das ganze Spektrum des Online-Learnings eine ganz andere Bedeutung bekommen hat, als es sich die Vertreter des bislang langsam wachsenden E-Learnings noch vor drei Jahren hätten vorstellen können. Und diese Entwicklung wird rasant weitergehen, verstärkt durch weitere (heute noch nicht absehbare) Herausforderungen, die durch ökonomische und ökologische Veränderungen bedingt sind.» (Ernst Aebi)

«Unterschiedliche Generationen haben sehr unterschiedliche Lernerfahrungen und Kompetenzen (nicht nur im Bereich Digitalisierung). Das erfordert eine grosse Flexibilität der Personalentwicklung und führt zu ganz unterschiedlichen Bedürfnissen und Anforderungen. Ich denke, hier braucht es zukünftig mehr jüngere Leute, die sich in der Personalentwicklung engagieren und etablieren. Oft rutscht man nicht am Anfang des Berufslebens in die Ausbildungstätigkeit. Erfahrene Fachleute müssen bisherige Erfolgsrezepte und eigene Lernerfahrungen und Präferenzen hinterfragen, um teilnehmergerecht zu unterrichten. Generationentandems und Erfahrungsaustausch sind meines Erachtens gute Möglichkeiten und sollten vermehrt institutionalisiert werden.» (Angelica Bochsler)

«In der Programmplanung könnte es zu Verschiebungen kommen. Personen, die für neue Lernplattformen, digitale Lernprogramme und Systeme verantwortlich sind, dürften bei der Planung neuer Entwicklungen und Angebote eine zunehmend wichtigere Rolle spielen. Dafür braucht es neue Profile. Die Planung digitaler Angebote kann nicht allein den IT-Verantwortlichen überlassen werden.» (André Schläfli)

«Der sich zuspitzende Fachkräftemangel könnte die Nachfrage nach Personal zur Unterstützung von Qualifizierungsverfahren erhöhen. Umschulungen, Upskilling etc. werden an Bedeutung wieder gewinnen.» (Andreas Schubiger)

Die bisherigen Sichtweisen auf Professionalisierung brauchen eine Erweiterung

«Die Enge der aktuellen formalen Abschlüsse führt auch zu Trägheit und Gefangenheit in sich selbst – Veränderung der Trägerschaft von der normensetzenden Instanz zu Kuratoren und Plattformanbietern könnte ein mögliches Zukunftsszenario sein.» (Andreas Schubiger)

«In der Professionalisierung müssen weitere Berufsausrichtungen berücksichtigt werden: die Beratung von Teilnehmenden, die Entwicklung von Lernprogrammen, die Umsetzung von didaktischen Prinzipien in der Erwachsenenbildung, die Nachholbildung ab 40 Jahren. Zudem fehlen im aktuellen System zur Ausbildung der Ausbildenden Reflexionen über die fachdidaktischen Aspekte.

Um den Entwicklungsbedarf in der Professionalisierung klarer einschätzen zu können, bräuchte es allerdings eine wissenschaftliche Analyse der Bedürfnisse und Bedarfe der unterschiedlichen Akteure und Berufsfelder.» (André Schläfli)

«Für die künftige Entwicklung der Professionalisierung erachte ich die Berücksichtigung von stärkeren Forschungsbezügen, damit verbunden auch ausgebaute Forschungsaktivitäten, als unumgänglich.» (Geri Thomann)

Gesellschaftliche Entwicklungen prägen die Weiterbildung

«Die grossen wirtschaftlichen, technischen und gesellschaftlichen Veränderungen der letzten 30 Jahre haben zahlreiche Länder dazu bewogen, eine aktive und anreizorientierte Politik im Bereich der beruflichen Grundausbildung, bei der Erfüllung des Bedarfs des Produktions- und Wirtschaftssystems und auf dem Gebiet der berufsbegleitenden Weiterbildung zu entwickeln. Heute kann man sich die Frage stellen, ob aufgrund der zukünftigen Veränderungen und Anforderungen in den Bereichen Umwelt, Demografie, Wirtschaft und Demokratie nicht ein Wandel (und eine neuerliche Offenheit gegenüber einer völlig neuen Art der Erwachsenenbildung und des lebenslangen Lernens) auf dem Gebiet der Weiterbildung nötig wäre. Wesentlich ist, dass im Bildungswesen das paradoxe Schweigen in Bezug auf die gegenwärtigen Veränderungen und Anliegen im zivilgesellschaftlichen und politischen Bereich gebrochen und die ebenso paradoxe diesbezügliche Starre überwunden wird.» (Germain Poizat)

«Die Erwachsenenbildungsberufe hängen eng mit der Entwicklung des gesamten Weiterbildungssystems sowie mit gesellschaftlichen Entwicklungen zusammen. Wie werden die Unternehmen mit der innerbetrieblichen Weiterbildung umgehen – werden sie sie outsourcen? Wie entwickeln sich die Bereiche Umweltbildung, Elternbildung, Altersbildung etc.? Die Professionalisierung muss sich auch an diesen Entwicklungen orientieren.

Kollegen und Kolleginnen aus der Erwachsenenbildung sollten sich vermehrt politisch interessieren und mithelfen, die Zukunft zu gestalten.» (André Schläfli)

Fazit

Insgesamt zeichnen die befragten Expertinnen und Experten ein positives Bild der bisherigen Professionalisierungsentwicklung. Die Tatsache, dass es in der Schweiz bereits vor 30 Jahren gelungen ist, einen Prozess der gemeinsamen Entwicklung und Aushandlung von Grundsätzen, Standards, Kompetenzprofilen und Modulbeschreibungen für Qualifizierungsangebote zu initiieren und auch relativ rasch umzusetzen, scheint eine Basis geschaffen zu haben, die eine kontinuierliche Weiterentwicklung der Erwachsenenbildungsberufe ermöglicht.

Positiv wahrgenommen wird insbesondere die strukturelle Professionalisierung im Sinn eines Aufbaus von Qualifizierungsangeboten und einer guten Abstimmung dieser Angebote auf die Praxis. Weniger ausgeprägt ist die Entwicklung einer Profession «Erwachsenenbildung». Obwohl auch hierzu Ansätze bestehen, scheinen die Bedingungen dazu nur teilweise gegeben.

Die individuelle Professionalisierung im Sinn der Entwicklung von Professionalität im andragogischen Handeln kommt in den Stellungnahmen der Befragten weniger explizit zum Ausdruck, spielt aber bei den Einschätzungen zu veränderten Kompetenzanforderungen sowie im Hinblick auf die beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten eine wichtige Rolle.

Ein problematischer Aspekt der Professionalisierung ist die Beschäftigungssituation von Erwachsenenbildnerinnen und -bildnern. Während es seit Jahrzehnten spezifische Qualifizierungsmöglichkeiten und ausdifferenzierte Tätigkeitsfelder in der Weiterbildung gibt, haben sich Arbeitsbedingungen und berufliche Möglichkeiten für das Weiterbildungspersonal im selben Zeitraum nur unwesentlich verbessert. Es könnte sich also empfehlen, in der künftigen Entwicklung der Professionalisierung neben der Qualifizierung und Professionalität der Erwachsenenbildnerinnen und -bildner vermehrt auch die Beschäftigungssituation als Teil der strukturellen Professionalisierung in den Blick zu nehmen. Dies könnte umso wichtiger werden, als sich die Anzeichen mehren, dass qualifizierte Fachpersonen sich beruflich umorientieren und die Erwachsenenbildung verlassen, um in Bereiche mit besseren Arbeitsbedingungen und attraktiveren Perspektiven zu wechseln, was möglicherweise zu einem Fachkräftemangel führt.

  1. Der SVEB bot seit 1970 selbst einen Lehrgang für Ausbildende an, der 1999 eingestellt resp. an einen Anbieter übergeben wurde, seither tritt der SVEB selbst nicht mehr als Anbieter auf. Die Entwicklung des AdA-Systems begann 1992 auf Initiative des SVEB. Im Jahr 1995 wurden erstmals SVEB-Zertifikate abgegeben (Stufen 1 und 2). Das Zertifikat SVEB 2 wurde im Jahr 2001 in den eidg. Fachausweis Ausbilder/in überführt. 2006 wurde das eidg. Diplom Ausbildungsleiter/in eingeführt. Derzeit bieten rund 120 Weiterbildungsinstitutionen Angebote aus dem AdA-Baukasten an, rund 60’000 Personen haben einen AdA-Abschluss erworben. Das System befindet sich derzeit in einem Revisionsprozess. Die Trägerschaft des Systems liegt beim SVEB. Weitere Informationen: https://alice.ch/de/ausbilden-als-beruf/
  2. André Stuker, selbstständiger Ausbilder, hat in den 1990er Jahren die AdA-Geschäftsstelle entwickelt und aufgebaut. Zudem hat er die Qualitätssicherung begleitet und war danach bis 2021 als Experte im AdA-System tätig (Anerkennungsverfahren und Gleichwertigkeitsbeurteilung).

Literatur

Kraus, Katrin (2012): Professionalisierung und Beschäftigung. Ein Beitrag unter besonderer Berücksichtigung Deutschlands und der Schweiz. In: Sgier, Irena & Lattke, Susanne (Hrsg.): Professionalisierungsstrategien der Erwachsenenbildung in Europa. Bielefeld: wbv, S. 35-45. DOI: 10.3278/6004279w035

Folgende Expertinnen und Experten haben Auskunft gegeben:

Ernst Aebi, langjähriger Ausbildungsleiter in Grossunternehmen und seit 1996 selbstständiger Anbieter von Training und Beratung für die Wirtschaft. Er war von 1996 bis 2016 Präsident des Schweizerischen Verbands für Betriebsausbildung. Im Ada-System leitete er 50-mal das einwöchige Modul «Gruppenprozesse» und wirkte über zehn Jahre als Vizepräsident der Schweizerischen Kommission Ausbildung der Ausbildenden (SK AdA).

Furio Bednarz: Forscher und Experte zu Themen aus den Bereichen Arbeit und Ausbildung. Von 1995 bis 2015 war er Studienabteilungsleiter der Stiftung ECAP, als deren Präsident er von 2004 bis 2014 amtete. Von 2004 bis 2015 hatte er ausserdem den Vorsitz der Conferenza della Svizzera italiana per la formazione continua degli adulti (CFC) inne, und er war Mitglied des Vorstands des SVEB. Von 2015 bis zu seiner Pension war er Direktor der Sektion für Weiterbildung und Innovation beim Amt für Berufsbildung des Kantons Tessin. Zurzeit arbeitet er mit der SUPSI (Fachhochschule Südschweiz) und anderen Organisationen auf dem Gebiet der Weiterbildung zusammen.

Diana Binder Wettstein ist seit mehr als zehn Jahren Mitglied der Geschäftsleitung der Lernwerkstatt Olten. Sie leitet die Entwicklung resp. Weiterentwicklung der Lehrgänge im Bereich Berufs- und Erwachsenenbildung und ist verantwortlich für die Anerkennungsverfahren der Kurse beim SVEB und beim SBFI.

Angelica Bochsler ist seit über 25 Jahren in der Erwachsenen- und Berufsbildung tätig und leitet seit 13 Jahren die nationale Ausbildung von Coop. Sie ist langjähriges Mitglied des geschäftsführenden Ausschusses des BDS (Bildung Detailhandel Schweiz).

Ruth Meyer Junker, Solothurn. Seit 1985 in der Erwachsenenbildung (Computerkurse, Elternkurse, Arbeitslosenkurse, emotionale Intelligenz) tätig, seit 1988 als Train the Trainer. Ab 1998 bis 2018 als Selbstständige für den AdA-Baukasten engagiert als Anbieterin, Ausbilderin und Mitentwicklerin von Modulen. Parallel dazu tätig als Auditorin für die Zertifizierung nach eduQua, ISO 9001 und ISO 29990 in Berufsfachschulen, Brückenangeboten und Verbandsschulen.

Germain Poizat ist Professor für Erwachsenenbildung und Arbeitsanalyse an der Universität Genf. Er leitet die Forschungsgruppe CRAFT (Conception, Recherche, Activité, Formation, Travail) und betreibt Forschungen in verschiedenen sozialen und organisatorischen Kontexten. Seine Forschung betrifft vornehmlich das Gebiet der Arbeits- und Ausbildungsanalyse. 

Giuseppe Rauseo ist seit 2006 Direktor des Centro di Formazione Professionale der Gewerkschaft OCST (Organizzazione cristiano-sociale ticinese). Seither ist er auch Mitglied des Vorstands der Conferenza della Svizzera italiana per la formazione continua degli adulti. Seit 2019 ist er Vizepräsident des Projektausschusses der Città dei mestieri della Svizzera italiana und seit 2018 Präsident des nationalen Dachverbandes für Weiterbildung Travail.Suisse Formation (TSF). 

Dr. André Schläfli, Direktor des SVEB von 1992 bis 2016, hat die Entwicklung des AdA-Baukastens zusammen mit André Stuker und einer Gruppe von Weiterbildungsanbietern initiiert und aufgebaut. Professionalisierung war während eines Vierteljahrhunderts ein zentraler Schwerpunkt seiner Arbeit, wozu neben AdA auch die Entwicklung des Qualitätslabels eduQua gehörte.

Andreas Schubiger, Dr. phil., ist Leiter des Instituts für Kompetenzentwicklung, Training und Transfer I-K-T. Von 2010 bis 2016 war er Präsident der Kommission für Qualitätssicherung QSK im AdA-Baukasten. Seit 2019 ist er Prüfungsleiter Fachausweis Ausbilderin/Ausbilder.

Dr. Geri Thomann, Prof.em., war Gründungsleiter der Abteilung Hochschuldidaktik und Erwachsenenbildung der Pädagogischen Hochschule Zürich. Von 2009 bis 2022 hat er die Abteilung geleitet und hatte zugleich die Professur in Hochschuldidaktik und Erwachsenenbildung ZFH an der PH Zürich inne. Von 1995 bis 2005 war er Ausbildungsleiter sowie Leiter Weiterbildung und Dienstleistungen bei der Akademie für Erwachsenenbildung aeB Schweiz.