Editorial: Veränderte Bedürfnisse?
Lernbedürfnisse und -bedarfe zu erschliessen, ist eine zentrale und anspruchsvolle Anforderung an diejenigen, die Programme und Angebote in der Weiterbildung planen und konzipieren. Die Bedürfniserschliessung kann als Einstieg in Prozesse der Programm- und Angebotsplanung gelten. Die Pandemie hat diese Anforderung noch einmal besonders in das Blickfeld treten lassen: Haben sich die Lernbedürfnisse unter dem Einfluss der Pandemie verändert, was zum Beispiel Lernthemen oder Lernsettings anbelangt? Von Seiten der Forschung gibt es bislang kaum Resultate zu den Lernenden und ihren möglicherweise veränderten Bedürfnissen in der Folge der Pandemie.
Weiterbildungsinstitutionen beobachten hingegen nicht erst seit der Pandemie Veränderungen bei der Nachfrage und versuchen, mit angepassten oder neuen Angeboten darauf zu reagieren. Dabei wird oftmals die Überzeugung geäussert, die veränderte Nachfrage sei Ausdruck veränderter Lernbedürfnisse und der Lernpraxis ihrer Adressatinnen und Adressaten. Weiter wird vermutet, dass sich der Weiterbildungsbedarf von Betrieben oder ganzen Branchen wandle. Dabei werden die Begriffe Lernbedürfnis, Lern- oder Weiterbildungsbedarf und Weiterbildungsnachfrage häufig als gleichbedeutend betrachtet und wenig differenziert verwendet. Wenn bei der Angebotsplanung auf veränderte Lernbedürfnisse verwiesen wird, ist es indes hilfreich, über genauere Vorstellungen darüber zu verfügen, wie Lernbedürfnisse und Weiterbildungsbedarf sowie Weiterbildungsinteressen entstehen und wo tatsächlich Veränderungen im Gange sind.
Die vorliegende Ausgabe der EP hat sich zum Ziel gesetzt, die Begriffe «Lernbedürfnis, Lern- und Weiterbildungsbedarf» sowie «Nachfrage nach Weiterbildung» aus wissenschaftlicher und praxisorientierter Perspektive zu thematisieren und die dahinterstehenden Konzepte zu hinterfragen. Im einleitenden Beitrag arbeitet Christine Zeuner die Differenzierung zwischen gesellschaftlichem Bedarf und subjektiven Bildungsbedürfnissen heraus. Wiltrud Gieseke geht den Wechselwirkungen von Bedürfnissen und Bedarfen nach und fokussiert dabei auf die Angebotsplanung. Die Chancen und Grenzen der Bedarfsorientierung in der Angebotsplanung unterzieht Walter Schöni einer kritischen Analyse. Bei Christian Müller steht der Weiterbildungsbedarf von Klein- und Kleinstunternehmen im Zentrum. Chris Parson untersucht Diskurse und Strategien im Umgang mit Lernbedarfen und -bedürfnissen im Bereich Grundkompetenzen. Im Beitrag von Falk Scheidig wird mit Learning Analytics ein Thema behandelt, das in der Weiterbildungspraxis noch kaum angekommen ist. Wie solche Datenanalysen im betrieblichen Kontext genutzt werden können, zeigt ein Beitrag von Emmerich Stoffel anhand der Erfahrungen bei Swisscom. Ronald Schenkel zeigt in seiner Recherche, wie Weiterbildungsanbieter mit kollaborativen Settings auf veränderte Arbeits- und Lernbedürfnisse der Arbeitswelt reagieren. Abgerundet wird diese EP durch die Carte blanche von Theres Roth-Hunkeler, die über die Sprache, das Sprechen und das Alleinsein nachdenkt.
Die Redaktion wünscht Ihnen eine anregende Lektüre und hofft, dass Sie in diesem Heft die eine oder andere Einsicht und Anregungen für Ihre eigene Praxis finden.