28.05.2024
N°1 2024

Diversity-Schulungen nachhaltig gestalten: Ergebnisse einer Studie in der Berliner Verwaltung

Die Diversity-Schulungen der Berliner «Landesstelle für Gleichbehandlung – gegen Diskriminierung» sind Teil landesweiter Massnahmen zur Förderung von Diversity und Antidiskriminierung in der Berliner Verwaltung und Gesellschaft. Schulungsteilnehmende sollen Diversity-Kompetenzen erlangen und diese im Arbeitskontext anwenden und teilen. Eine Interviewstudie hat untersucht, ob und wie Schulungsteilnehmende diesen Transfer von neuem Wissen und Fähigkeiten erleben. Aus den Studienergebnissen konnten zehn Handlungsempfehlungen abgeleitet werden, wie Diversity-Schulungen Transfer in den Arbeitsalltag unterstützen und fördern können.

Öffentliche Verwaltungen in Deutschland arbeiten vermehrt daran, Diversität unter den Mitarbeitenden zu fördern, Diskriminierung vorzubeugen und Vielfalt-wertschätzende Arbeitsumgebungen zu schaffen (Meister und Hörmeyer, 2023). Diversity-Schulungen sind oft ein wichtiger Teil solcher Bemühungen. Entsprechend bietet auch die «Berliner Landesstelle für Gleichbehandlung – gegen Diskriminierung» (LADS) ein umfassendes Angebot an Fortbildungen an. Jedoch tragen Diversity-Schulungen nur dann zur Wertschätzung von Vielfalt im Arbeitskontext bei, wenn Schulungsteilnehmer*innen neu erworbenes Wissen und Fähigkeiten im Arbeitsalltag teilen und anwenden – also Transfer nach Diversity-Schulungen stattfindet.

Der Artikel stellt die LADS und ihr Angebot an Diversity-Schulungen vor und fasst Erkenntnisse einer Interviewstudie zusammen, die der Frage nachgegangen ist, ob und wie Teilnehmer*innen der LADS-Schulungen Transfer von neuem Wissen und Fähigkeiten erleben. Im Fokus stehen aus der Studie gewonnene Handlungsempfehlungen dazu, wie Diversity-Schulungen einen aktiven Part in der Vorbereitung und Unterstützung von Transfer spielen können.

Diversity im Kontext der Arbeit der LADS

Die Berliner «Landesstelle für Gleichbehandlung – gegen Diskriminierung» (LADS) wurde 2007 als Stabsstelle in einer Senatsverwaltung (Ministerium) eingerichtet. Seitdem ist die Stelle stetig gewachsen und wurde 2018 zu einer Abteilung mit vier Referaten umstrukturiert. Berlin war das erste Bundesland, das eine Landesantidiskriminierungsstelle in der Verwaltung geschaffen hat. Die Gründung der LADS war eine Reaktion auf das 2006 in Deutschland in Kraft getretene Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Ziel dieses Gesetzes ist es, Benachteiligungen aufgrund der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Lebensalters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.

Die LADS hat die Aufgabe, in Gesellschaft und Verwaltung eine Kultur der Wertschätzung von Vielfalt und gegen Diskriminierung zu fördern. Diesem Auftrag kommt die LADS nach, indem sie durch Öffentlichkeitskampagnen, Broschüren, Handreichungen etc. Gesellschaft, Politik und Verwaltung zum Thema Diskriminierung und Förderung von Vielfalt informiert und sensibilisiert. Darüber hinaus zielt die Arbeit der LADS darauf, strukturelle Diskriminierung zu lokalisieren und abzubauen und die Beratungs- und Projektlandschaft zum Abbau von Diskriminierung und zur Förderung einer demokratischen Alltagskultur auszubauen. Zur Sensibilisierung bietet die LADS seit dem Jahr 2009 Diversity-Schulungen für Verwaltungen und Zivilgesellschaft an.

Die LADS verwendet meist den englischen Begriff «Diversity», um deutlich zu machen, dass Vielfalt als Ressource und Bereicherung verstanden wird. Sie vertritt einen menschenrechtlich basierten Diversity-Ansatz. Verwaltungen haben die Aufgabe, gesellschaftliche Teilhabe zu fördern, Diskriminierung abzubauen und einen gleichberechtigten Zugang zu öffentlichen Gütern zu ermöglichen. Eine solche Motivation steht nicht grundsätzlich im Widerspruch zu ökonomisch argumentierenden Diversity-Ansätzen (Krell und Sieben, 2011). Ein Fokus auf einen menschenrechtlich basierten Ansatz bedeutet aber, dass es bei Diversity-Management in Verwaltungen nicht primär um den Nutzen für die Organisation, sondern um Fragen der sozialen Gerechtigkeit, der Verwirklichung von Selbstbestimmung und des gesellschaftlichen Zusammenhalts geht (Dudek und Collien, 2023).

Die Frage, wie proaktiv Diskriminierung verhindert, Barrieren abgebaut und Diversity-Kompetenz innerhalb der Verwaltung aufgebaut werden kann, war von Beginn an Bestandteil der Arbeit der LADS. Anfangs lag der Fokus darauf, Informationsmaterialien zu entwickeln, Konferenzen und Workshops durchzuführen und Pilotprojekte umzusetzen. Im Lauf der Jahre stellte sich heraus, dass es sinnvoll ist, auch landesweite Massnahmen zur Vereinheitlichung des Diversity-Verständnisses, zum Aufbau von Netzwerken und zur Stärkung von Chancengleichheitspolitik zu entwickeln. Mit diesen Zielen wurde seit 2017 an einem Diversity-Landesprogramm gearbeitet, das der Berliner Senat im Jahr 2020 beschlossen hat.1 Der Beschluss umfasst im Kern die Umsetzung von 37 zentralen Massnahmen in den Handlungsfeldern Personal und Sprache/Öffentlichkeitsarbeit. Aktuell wird das Diversity-Landesprogramm evaluiert und weiterentwickelt.

Das Inkrafttreten eines Landesantidiskriminierungsgesetzes (LADG), ebenfalls im Jahr 2020, hat wesentlich zur Verstetigung von Ansätzen zur Förderung von Vielfalt in der Verwaltung beigetragen. Das LADG enthält einen eigenen Abschnitt mit der Überschrift «Diversity – Förderung einer Kultur der Wertschätzung von Vielfalt». Darin wird zunächst betont, dass die Verhinderung von Diskriminierung und Förderung von Vielfalt «durchgängiges Leitprinzip» bei allen Verwaltungsmassnahmen sein soll. Ausserdem wird festgehalten, dass öffentliche Stellen ihre Geschäftsprozesse auf Diskriminierungen prüfen und geeignete Gegenmassnahmen ergreifen sollen. Diesbezüglich betont das Gesetz die Verantwortung von Führungskräften. Ein weiterer Absatz des LADG widmet sich dem Erwerb und der Weiterbildung von Diversity-Kompetenz. Diesbezüglich wird für Führungskräfte eine Fortbildungspflicht postuliert, die auch bei der Beurteilung Berücksichtigung finden soll (§ 11, LADG). Das Gesetz legt ausserdem fest, dass der Senat landesweite Massnahmen zur Förderung einer Kultur der Wertschätzung ergreifen und diese stetig fortentwickeln soll (§ 12, LADG).

Diversity-Schulungen im Portfolio der LADS

Die LADS führt seit 2009 Diversity-Schulungen durch, seit 2011 unter dem Namen «LADS-Akademie». Während im Jahr 2018 im Rahmen der LADS-Akademie fünf Fortbildungen durchgeführt wurden, waren es im Jahr 2023 bereits 23 Angebote. Seit einigen Jahren übertrifft die Nachfrage das Angebot bei Weitem. Die Schulungen der LADS-Akademie sind für Verwaltung und Zivilgesellschaft gleichermassen offen.2

Seit 2023 bietet die LADS über das Kernangebot der Akademie hinaus Schulungen für Führungskräfte in der Verwaltung an. Diesen liegt eine im Diversity-Landesprogramm erarbeitete Definition von Diversity-Kompetenz für die Verwaltung zugrunde. Diversity-Kompetenz wird in einem Rundschreiben der Senatsverwaltung für Finanzen 2021 wie folgt definiert: «Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Menschen (u.a. hinsichtlich Lebensalter, Geschlecht, Behinderung, Migrationsgeschichte, Religion, sexueller und geschlechtlicher Identität, chronischer Krankheit, sozialem Status, Sprache) wahrzunehmen, in der Aufgabenwahrnehmung zu berücksichtigen, bestehende Barrieren abzubauen und einen diskriminierungsfreien und wertschätzenden Umgang zu pflegen.»3

Grundsätzlich kann Diversity-Kompetenz – in Anlehnung an pädagogische Kompetenzmodelle – in drei Bestandteile untergliedert werden: Wissen, Haltung und Können.

Wissen, insbesondere zu rechtlichen Grundlagen, ist für Führungskräfte unerlässlich und für Beschäftigte je nach Aufgabenfeld ebenfalls empfehlenswert. Wissen bezieht sich dabei z.B. auf Kenntnisse der Lebens- und Bedarfslagen verschiedener gesellschaftlicher Gruppen.

Haltung zielt auf ein demokratisches Grundverständnis, das auf der Wertschätzung von Vielfalt basiert. Hierunter sind insbesondere soziale Kompetenzen gefasst: Offenheit und Respekt gegenüber unterschiedlichen Erfahrungshintergründen und Lebensweisen, die Fähigkeit zum Perspektivwechsel, die Bereitschaft, eigene Verhaltensweisen zu hinterfragen und ggf. zu verändern sowie eine Positionierung gegen Diskriminierung.

Können beinhaltet, die Bestandteile Wissen und Haltung in den Arbeitsalltag überführen zu können.

Diversity-Kompetenz kann unter anderem in Diversity-Schulungen vermittelt werden. Damit sind diese eine wichtige Voraussetzung, um Diskriminierung im Arbeitsalltag wahrnehmen zu können und Gegenstrategien zu entwickeln. Gerade zu Beginn von Veränderungsprozessen können Diversity-Schulungen zur Sensibilisierung von Führungskräften und Mitarbeitenden hilfreich sein. Sie sollten aber in ihrer Wirkmächtigkeit nicht überschätzt werden: Sie sind sehr häufig keine ausreichende Intervention gegen Diskriminierung oder um Vielfalt zu fördern, vor allem dann nicht, wenn umfassende Diversity-Strategien fehlen (Dreas und Rastetter, 2016). Das Wirkungspotenzial von Diversity-Schulungen in bestimmten Kontexten sollte daher regelmässig kritisch betrachtet werden. 

Transfer nach Diversity-Schulungen: eine Studie mit Teilnehmenden der LADS-Akademie

Transfer beschreibt den Prozess, durch den Schulungsteilnehmende das in den Schulungen erworbene Wissen und die dazugehörigen Kompetenzen in ihren Arbeitskontext einbringen und anwenden und damit Veränderungen in Arbeitsweisen und -leistungen fördern. Es gibt jedoch kaum Untersuchungen dazu, unter welchen Umständen und wie Transfer nach Diversity-Schulungen stattfindet. Auch aus den oft sehr positiven Rückmeldungen von Schulungsteilnehmenden, die die LADS-Akademie im direkten Anschluss an die Schulungen mit Evaluationsbögen sammelt, kann nicht abgeleitet werden, ob und wie Teilnehmende Wissen, Ideen und Fähigkeiten aus den Schulungen im Arbeitskontext teilen und anwenden. Mehr Wissen darüber, welche Möglichkeiten und welche Herausforderungen Schulungsteilnehmer*innen im Transfer erleben, ist auch für die Weiterentwicklung von Diversity-Schulungen wichtig.

Um diese Wissenslücken zu verringern, führten wir 2021 eine Studie mit 16 Teilnehmenden der LADS-Akademie-Schulungen durch. Diese Personen wurden einige Tage bis einige Monate nach ihren Schulungsbesuchen von der Zweitautorin zu ihren Transfererfahrungen interviewt. 13 Personen kamen aus der Berliner Landesverwaltung (z.B. Ordnungsamt, Personalabteilungen), drei waren in Universitäten oder Museen tätig. Sie hatten an unterschiedlichen Schulungen der LADS-Akademie teilgenommen (u.a. Diversity-Grundlagentraining, sexistische Diskriminierung, Rassismus). Die Interviewpartner*innen unterschieden sich in gelesenen demografischen Merkmalen sowie der Länge und Art ihrer Arbeitserfahrungen. Jedoch einten sie ein grosses Interesse an den Themen der jeweiligen Diversity-Schulungen und fast ausschliesslich positive Bewertungen der Schulungen.

Drei zentrale Studienergebnisse legen nahe, dass Transfer in den Arbeitsalltag ein wichtiges Thema im Kontext von Diversity-Schulungen der LADS-Akademie ist und dass Diversity-Schulungen eine bedeutende Rolle für den Transferprozess spielen können. Erstens berichteten die Interviewpartner*innen, dass sie die Schulungen aus beruflichem Interesse und mit dem Ziel besucht hätten, zu einem diversitygerechten und diskriminierungsfreien Arbeitsumfeld beizutragen. Diese Teilnehmenden waren also bereits vor Beginn der Schulung motiviert, Transfer in den Arbeitsalltag anzustossen. Fast alle verliessen die Schulungen auch mit der Überzeugung, neues Wissen und Impulse im Arbeitsalltag anzuwenden. Entsprechend wünschten sich viele von den Schulungen noch mehr Unterstützung für den Transfer.

Zweitens zeigte die Studie, dass Transferprozesse zwar individuell verlaufen, aber auch systematische Ähnlichkeiten und Muster aufzeigen.4 So bestimmen erstens organisationale Faktoren den Handlungsspielraum für den Transfer. Das sind erstens die Gelegenheiten, die der Arbeitskontext den Schulungsteilnehmenden für den Transfer bietet (z.B. wenn Position und Arbeitsaufgaben es Schulungsteilnehmenden ermöglichen, häufig mit anderen über Schulungsinhalte ins Gespräch zu gehen oder Veränderungen in Prozessen zu initiieren). Zweitens prägt die Unterstützung (bzw. Ablehnung) von Vorgesetzten, Kolleg*innen und Mitarbeitenden das Ausüben und die Wirkung von Transferhandlungen. Drittens kann die vorherrschende Lernkultur im Arbeitskontext, die sich u.a. in Kommunikation und Haltung zu Veränderungen und Neuerungen ausdrückt, Transfer fördern und hindern (Botke et al., 2018).

Innerhalb ihrer Handlungsspielräume bietet sich Schulungsteilnehmenden eine recht grosse Anzahl an Transferhandlungen. Die von den Interviewpartner*innen thematisierten Transferhandlungen lassen sich in einer von Yelon et al. (2014) entwickelten Taxonomie zusammenfassen. Fast alle berichteten, a) neues Wissen und Impulse innerhalb des eigenen Arbeitsbereichs anzuwenden und auszuprobieren, («Ausführen»), b) die eigene Arbeit und Haltung mit Input und Techniken aus den Schulungen zu reflektieren («Bewerten»), sowie c) Kolleg*innen und Führungskräften von Inhalten und Methoden der Schulungen zu erzählen und ihnen die LADS-Akademie weiterzuempfehlen («Kommunizieren und teilen»). Ausserdem sprachen Personen in Führungspositionen und diejenigen, deren Arbeitsaufgaben explizit die Beschäftigung mit Diversity umfasste (z.B. Diversity-Beauftragte), davon, Mitarbeitenden und Kolleg*innen Inhalte der Schulung explizit zu vermitteln und sie in der Anwendung zu unterstützen («Instruieren und lehren») sowie die Umsetzung neuer Praktiken und struktureller Veränderungen zu initiieren («Führen und lenken»).

Die dritte wichtige Erkenntnis der Studie ist, dass Schulungsteilnehmende als Multiplikator*innen wirken können. Die Interviews lieferten zahlreiche Beispiele dafür, dass Schulungsteilnehmende innerhalb unterschiedlicher Handlungsspielräume und über diverse Transferhandlungen hinweg Kolleg*innen, Vorgesetzte und Mitarbeitende erreichen und so die Wirkungen der Schulung in ihr Arbeitsumfeld tragen.

Unsere Ergebnisse legen nahe, dass Schulungsteilnehmende bereits in den Schulungen ihre Handlungsspielräume (Gelegenheiten, Unterstützungen, Hindernisse, organisationale Lernkultur) und für sie mögliche und passende Transferhandlungen reflektieren sollten. Durch Übungen, Teilen von Ressourcen und Austausch unter Schulungsteilnehmenden können Schulungen alle Teilnehmenden darin unterstützen, ihre individuellen Transferprozesse zu antizipieren und zu planen.

Handlungsempfehlungen

Im Folgenden machen wir anhand von 10 Transferhandlungen, die Interviewpartner*innen beschrieben haben, Vorschläge dazu, wie Schulungen einen aktiven Part in der Vorbereitung und Unterstützung des Transfers spielen können. Dabei haben wir weder den Anspruch, eine vollständige Liste von Handlungsempfehlungen zu präsentieren, noch wollen wir vermitteln, dass alle Vorschläge von allen Schulungen aufgegriffen werden müssen. Sie sind als empirisch begründete Impulse für Praktiker*innen zu verstehen.

1. Führungskräften, Kolleg*innen und Mitarbeitenden von den Schulungen berichten, neues Wissen teilen und die Relevanz für den Arbeitskontext aufzeigen 

Fast alle Interviewpartner*innen hatten Kolleg*innen und Mitarbeitenden von der besuchten Schulung erzählt. Vielen fiel es leichter, mit denjenigen zu sprechen, die bereits Interesse an Diversity-Themen geäussert hatten, als mit denen, die Diskussionen zum Umgang mit Vielfalt im Arbeitskontext eher ablehnten. Auch im Austausch mit direkten Vorgesetzten fühlten sich die Interviewpartner*innen vom jeweiligen Interesse der Führungskraft ermächtigt oder begrenzt. Während einige interessierten Führungskräften in Einzelgesprächen die Relevanz der Schulungsinhalte für ihre Arbeit und den Arbeitskontext darlegen konnten, nutzten andere reguläre Teambesprechungen, um ihren weniger an Details interessierten Führungskräften ihre Beurteilung der Schulungen komprimiert mitzuteilen. Home-Office, Online-Meetings und technisch geprägte Arbeitskontexte, in denen Führungskräfte die Relevanz von Diversity-Schulungen aufgrund von geringem Bürger*innenkontakt infrage stellten, erschwerten das Teilen von neuem Wissen.

Viele Interviewpartner*innen wünschten sich von den Schulungen Unterstützung darin, auch mit desinteressierten oder wenig sensibilisieren Kolleg*innen und Führungskräften ins Gespräch zu kommen. Gerade diese frühen Momente im Transfer, für die eventuell nur in den ersten Tagen nach der Schulung Gelegenheit besteht, machen Schulungsteilnehmende als Multiplikator*innen für Diversity-Themen sichtbar und können weiteren Transfer motivieren. Schulungen könnten daher das Kommunizieren und Teilen von Schulungsinhalten mit ihren Teilnehmenden explizit vorbereiten. Teilnehmende können so vorab Faktoren wie das Interesse und Vorwissen der jeweiligen Kolleg*innen und Führungskraft und die Zeit für einen Austausch und dessen Rahmenbedingungen bedenken.

2. Reflexion und Perspektivenwechsel im Arbeitskontext anwenden

Alle Interviewpartner*innen sahen in der Analyse der eigenen Arbeit und Haltung nach Diversity-Kriterien eine wichtige und nützliche Transferhandlung. Fast alle hatten Schulungsinhalte und Übungen zur Reflexion des eigenen Arbeitsbereichs genutzt und entsprechende Veränderungen angestossen. Besonders aufgrund von Schulungsinhalten, die Reflexion und Perspektivenwechsel trainieren, empfahlen sie die Schulungen ihren Kolleg*innen. Diese Verknüpfung von Übungen zur Selbstreflexion und Transfer könnte bereits in den Schulungen herausgestellt werden. So könnten Schulungen auch Teilnehmende besser erreichen, die nach eigenen Aussagen weniger an Selbstreflexion und mehr an Fakten und Handreichungen interessiert sind.

3. Praxisorientierte Materialien (z.B. Checklisten und Handreichungen) für den eigenen Arbeitskontext anpassen und nutzen

Die Interviewpartner*innen bewerteten Checklisten, Konzepte und praxisorientierte Handreichungen für den Transfer als besonders nützlich (z.B. bzgl. diversitygerechter Sprache, Anwendungen des AGG, Begriffsbedeutungen im Bereich LSBTQI*, Aufbau einer AGG-Beschwerdestelle). Einige berichteten, dass sie die in den Schulungen geteilten Materialien direkt in ihrer Arbeit angewandt oder sie für ihre Arbeit angepasst hatten. Diejenigen, zu deren formaler Verantwortung es gehört, Diversity-Themen in ihren Behörden zu vertreten, schätzten vor allem Schritt-für-Schritt-Leitfäden dazu, was sie bei der Umsetzung struktureller Veränderungen in ihren Behörden bedenken müssen («das Kochbuch für die AGG-Beschwerdestelle»). 

Diese Ergebnisse zeigen, dass die Ressourcen, die Schulungsverantwortliche in praxisorientierte Materialien stecken, gut investiert sind und weitere Bemühungen, Inhalte für die Praxis zu übersetzen, Transfer fördern können. Die Entwicklung von Checklisten, Handreichungen und Konzepten für spezielle berufliche Kontexte kann auch in die Schulungen integriert und die Teilnehmenden können in diese Aufgaben involviert werden. Letzteres sollte den Transfer deutlich unterstützen.  

4. Diskriminierung und Vielfalt-missachtende Handlungen erkennen und darauf reagieren

Viele Interviewpartner*innen fühlten sich unsicher im Erkennen von und Umgang mit Diskriminierung anderer, vor allem im Kontext von Alltagsrassismus, Alltagssexismus, Homophobie und strukturellen Ungerechtigkeiten. Während einige berichteten, deutlich bestärkt aus den Schulungen herausgekommen zu sein und aufgrund der Schulungen im beruflichen oder öffentlichen Kontext bereits aktiver gegen Diskriminierung agiert zu haben, wünschten sich andere mehr Übungen und weitere Schulungen zu genau dieser Kompetenz.

Die Kompetenz, auf Diskriminierung effektiv zu reagieren, ist essentiell für die Förderung einer Kultur der Wertschätzung von Vielfalt und Gleichbehandlung im Arbeitsalltag. Diese Kompetenzen können Schulungen trainieren und entsprechende Erfahrungen von Teilnehmenden aufgreifen. Die Studie legt nahe, dass sich Schulungsteilnehmende durch einen solchen praktischen Fokus in den Schulungen besonders gestärkt fühlen. Sie können dabei auch von den Erfahrungen anderer lernen.

5. Erkennen, wie man selbst Unterstützung und Vorbild für andere sein kann als Mitarbeitende und Führungskraft

In den Berichten der Interviewpartner*innen wurde deutlich, dass sie selbst als Unterstützer*innen in ihrem Arbeitskontext fungierten, wenn andere sich für mehr Vielfalt und gegen Diskriminierung engagierten. Als sensibilisierte und geschulte Personen können sie diese Rollen vermutlich gut erfüllen. Jedoch schienen sich die Interviewpartner*innen nicht gleichermassen bewusst darüber, dass sie unterstützende Rollen einnahmen. Einerseits verstanden sich die interviewten Teamleitungen gegenüber ihren Mitarbeitenden explizit als Vorbilder im Umgang mit Diversity am Arbeitsplatz. Und sie erlebten die Wertschätzung einzelner Mitarbeitenden als besonders motivierend für diese Vorbildrolle. Auch die interviewten Diversity-Beauftragten verstanden sich als Unterstützer*innen für Kolleg*innen und Vorgesetzte, auch wenn sie keine Teamleitungen verantworteten. Andererseits hatten manche Interviewpartner*innen den Eindruck, einzelne Kolleg*innen und Vorgesetzte in deren Engagement unterstützt zu haben, waren sich aber der Wirkung und Wichtigkeit ihrer Unterstützung unsicher.

Schulungen können mit Teilnehmenden erarbeiten, wie diese selbst als Unterstützer*innen im Arbeitskontext agieren können. Die Dynamik, dass Führungskräfte, die Diversity-Schulungen besuchen, auf Unterstützung aus ihren Teams, und Teammitglieder, die Diversity-Schulungen besuchen, auf Unterstützung von ihren Vorgesetzten bauen, kann in Schulungen insbesondere thematisiert werden.

6. Schlüsselpersonen (z.B. in der Personalabteilung) ausmachen und Allianzen aufbauen

In den Interviews wurde deutlich, wie wichtig die Unterstützung von relativ einflussreichen Personen oder Gruppen im Transfer ist. Die Interviewpartner*innen nannten unterschiedliche solcher Schlüsselpersonen, u.a. Fortbildungsbeauftragte, Diversity-Ansprechpersonen, Amtsleitungen, Personalabteilungen sowie Diversity-AG und andere Arbeitsgruppen, in denen sie selbst eine Diversity-Perspektive einbringen konnten. Schulungen können Teilnehmer*innen helfen, diese und andere Unterstützer*innen und unterstützende Strukturen zu erkennen und im Transfer effektiv zu nutzen. Teilnehmer*innen können in diesem Prozess auch Personen und Einheiten identifizieren, die ihren Transfer eventuell blockieren und den Umgang mit Barrieren reflektieren und planen.

7. Antidiskriminierungsarbeit sichtbar machen, neue Möglichkeiten und Strukturen schaffen 

Vor allem für diejenigen, die formal damit beauftragt sind, Diversity-Themen in ihrer Behörde zu vertreten (z.B. Diversity-Beauftragte, AGG-Beschwerdestellen), bedeutet Transfer, Antidiskriminierungsarbeit sichtbar und konkret zu machen. Diese Personen berichteten, stets auf der Suche nach neuem Input und konkreten Handlungsanleitungen dazu zu sein, wie sie Beschwerdestellen und -prozesse aufbauen, Personalauswahlkonzepte diversitygerecht erstellen und Diversity-Themen durch Newsletter, Veranstaltungen, Arbeitsgruppen und bereichsübergreifende Projekte sichtbar machen können. In den Schulungen schätzten sie jegliche Impulse für diese Aufgaben sowie innovative Ideen und Erfahrungsberichte anderer Schulungsteilnehmenden. Besonders Schulungen speziell für Diversity-Ansprechpersonen könnten mit designierter Zeit und Hausaufgaben Teilnehmer*innen darin unterstützen, bestehende Konzepte auf ihren Kontext anzupassen und vorzustellen sowie den Umgang mit antizipierten Möglichkeiten und Grenzen zu diskutieren.

8. Den in den Schulungen begonnenen Austausch weiterpflegen und als Motivation für Transfer nutzen

Die Interviewpartner*innen schätzten die Schulungen wegen der Möglichkeit des Austauschs und der Vernetzung mit anderen Menschen, die im Arbeitskontext Vielfalt und Antidiskriminierung vorantreiben. Viele berichteten, dass sie aus den Erzählungen und Beispielen der anderen lernen konnten und Impulse für die eigene Arbeit mitgenommen haben. Ausserdem fühlten sie sich durch den Austausch in den Schulungen weniger allein in ihrem Engagement. Einige beschrieben, dass sie aufgrund des Austauschs mit neuem Elan in ihren Arbeitskontext zurückkamen und sich bemächtigt gefühlt haben, in kritischen Situationen zu reagieren, in denen sie vor den Schulungen eventuell nicht aktiv geworden wären (z.B. Ungerechtigkeiten ansprechen, Diskriminierungen benennen). Entsprechend wünschten sich viele Teilnehmende, dass die in den Schulungen entstandenen Kontakte nach den Schulungen bestehen bleiben. Ein reiner Austausch von Kontaktdaten schien jedoch für die Förderung eines weiteren Austauschs nicht zu genügen. 

Schulungen könnten Vernetzungsmöglichkeiten vorbereiten und mit explizit geplanten Impulsen (z.B. über Messengergruppen) über einen längeren Zeitraum hinweg unterstützen. Im weiteren Austausch können Transferideen, -erfahrungen und -erfolge geteilt und kommentiert werden. Auch Personen, die Gruppenchats eher passiv verfolgen, können von diesem Austausch profitieren und sich weiterhin im Transfer motiviert fühlen.

9. Transfer bewusst meiden, um sich vor Diskriminierung zu schützen

Zwei Interviewpartner*innen erlebten persönliche, rassistische Diskriminierung am Arbeitsplatz und berichteten, in ihren Transferhandlungen sehr bedacht zu sein. Eine dieser Personen entschied trotz positiver Erfahrungen in der Schulung und des Wunsches, zu einem besseren Umgang mit Vielfalt am Arbeitsplatz beizutragen, im Arbeitskontext nicht über die Teilnahme an der Schulung und ihre Inhalte zu sprechen. Die Person erwartete, auf Ablehnung zu stossen und sich für die Teilnahme an der Schulung rechtfertigen zu müssen.

Transfer in den Arbeitsalltag ist daher nicht für alle Schulungsteilnehmenden gleichermassen möglich oder sinnvoll. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass alle Schulungsteilnehmenden zum Transfer bereit sind. Zur Unterstützung von Personen, die von Diskriminierung im Arbeitskontext besonders betroffen sind, könnten daher auch separate Schulungen angeboten werden. 

10. Sich zu weiteren Fortbildungsangeboten anmelden

Viele Interviewpartner*innen hatten die Schulungen mit «Lust auf mehr» verlassen. Am Ende der Schulungen fühlten sie sich gerade im jeweiligen Thema angekommen. Viele fanden, dass sie die Schulung gerne um einen weiteren Tag verlängern, Folgeschulungen besuchen oder Aufgaben gemeinsam mit anderen Teilnehmenden weiterbearbeiten würden. Schulungsverantwortliche können diesen Enthusiasmus nutzen, Aufbauschulungen konzipieren und bereits in laufenden Schulungen auf Folgeangebote aufmerksam machen und inhaltliche Verknüpfungen herstellen.

Fazit

Mit der steigenden Nachfrage nach Diversity-Schulungen innerhalb der Berliner Verwaltung sowie in öffentlichen und privaten Unternehmen generell ist es umso wichtiger, die Wirkung dieser Massnahmen auf das Arbeitsumfeld besser zu verstehen und Schulungen so zu konzipieren, dass sie den Transfer durch die Teilnehmenden bestmöglich unterstützen. Studien, die zeitversetzt in den Blick nehmen, wie Teilnehmende neues Wissen und Impulse im Arbeitsumfeld anwenden und auf welche Möglichkeiten und Grenzen sie dort stossen, sind eine gute Ergänzung zu Evaluationen direkt nach den Schulungen. Auf Basis der Ergebnisse unserer Interviewstudie werden die Angebote der LADS-Akademie derzeit überarbeitet, sodass zukünftig Transferhandlungen sowie Transfermöglichkeiten, -unterstützungen und -hindernisse eine grössere Rolle in den Schulungen spielen werden. 

  1. https://www.berlin.de/sen/lads/schwerpunkte/diversity/diversity-landesprogramm/ (abgerufen am 16.02.2024)
  2. https://www.berlin.de/sen/lads/sensibilisierung/lads-akademie/ (abgerufen am 16.02.2024)
  3. https://www.berlin.de/politik-und-verwaltung/rundschreiben/index.php?category=SenFin&issue_no=74&issue_year=2021&send=1 (s. Rundschreiben 74/2021)(abgerufen am 19.02.2024)
  4. Siehe Hagelskamp (under review) für eine detaillierte Beschreibung der aus der Datenauswertung entstandenen vier Typen von Transfererfahrungen nach Diversity-Schulungen der LADS.

Literatur

Botke, J. A., Jansen, P. G. W., Khapova, S. N., und Tims, M. (2018): Work factors influencing the transfer stages of soft skills training: A literature review. In: Educational Research Review 24, S. 130–147.

Krell, G., und Sieben, B. (2011): Diversity Management: Chancengleichheit für alle und auch als Wettbewerbsvorteil. In: G. Krell, R. Ortlieb, B. Sieben, (Hrsg.). Chancengleichheit durch Personalpolitik, Wiesbaden, Gabler: 155–174.

Dreas, S., und Rastetter, D. (2016): Die Entwicklung von Diversity-Kompetenz als Veränderungsprozess. In: P. Genkova und T. Ringeisen (Hrsg.). Handbuch Diversity Kompetenz. Band 1: Perspektiven und Anwendungsfelder, Wiesbaden, Springer: 361–369.

Dudek, S., und Collien, I. (2023): Diversitätsbewusste Organisationsentwicklung. In: J. Meister und M. Hörmeyer (Hrsg.). Vielfalt in der öffentlichen Verwaltung, Wiesbaden, Springer: 189–202.

Hagelskamp, C. (under review): Transfer nach Diversity-Schulungen: Eine Studie in der Berliner Landesverwaltung. In: Organisationsberatung, Supervision, Coaching.

Meister, J., und Hörmeyer, M. (Hrsg.) (2023): Vielfalt in der öffentlichen Verwaltung. Wiesbaden, Springer.

Yelon, S. L., Ford, J. K., und Bhatia, S. (2014): How Trainees Transfer What They Have Learned: Toward a Taxonomy of Use. In: Perf Improvement Qrtly 27 (3), S. 27–52.