Bildungsbedarfe und -bedürfnisse im Erwachsenenalter. Eine bildungstheoretische Perspektive.
Bildungsbedarfe und -bedürfnisse sind ein wesentlicher Ankerpunkt für die Erwachsenenbildung/Weiterbildung, da diese nicht durch Lehrpläne bzw. Studiengänge bestimmt ist. Die Freiwilligkeit und die damit einhergehende Nachfragorientierung – in Bezug auf die Individuen, aber auch auf Organisationen – verlangen unterschiedliche Wege, um Teilnehmende zu gewinnen. Das dafür wichtige Wechselwirkungsverhältnis von Bedarfen und Bedürfnissen im Lebenslauf des Erwachsenen ist noch nicht ausreichend theoretisch entfaltet. Im professionellen Handeln als pädagogisches Planungshandeln vor Ort gibt es verschiedene Wege zur Gewinnung von Themen und Teilnehmenden. Dabei kann zurückgegriffen werden auf sich parallel dazu entwickelnde, spezielle Forschungsansätze – derzeit für wissenschaftliche Weiterbildung – fokussiert auf Bedarfs- und Bedürfniserschliessung. Die Theorie soll der Praxis eine Hilfestellung sein. Welchen Beitrag kann also eine bildungstheoretische Perspektive auf das Thema der Bedarfe und Bedürfnisse leisten?
Zur Struktur von Weiterbildung in Abhängigkeit von Bedarfen und Bedürfnissen
Wir haben es in der Erwachsenbildung/Weiterbildung mit einer sehr offenen, unspezifisch entfalteten Weiterbildungslandschaft zu tun, obwohl sie sich seit mindestens 200 Jahren zivilgesellschaftlich, kirchlich, parteipolitisch, unternehmens- und verbandsbezogen sowie staatlich Schritt für Schritt entwickelt. Im Gefolge der Industrialisierung dehnte sich neben der Schulpflicht zuerst die berufliche Ausbildung aus. Neben den Handwerkerprofilen kamen industrielle Berufsprofile hinzu, wobei ebenso Weiterbildung punktuell angeboten wurde. In einigen europäischen Ländern kam es zur Einrichtung von Volkshochschulen auf gesetzlicher Grundlage und einer Universitätsausdehnungsbewegung, um die Allgemeinbildung der breiten Bevölkerung und ihre Partizipation durch offene Zugänge für alle zu ermöglichen. Der zweite Bildungsweg, die grossen Bildungsreformen, beginnend in den 70er-Jahren des letzten Jahrhunderts, förderten die Zugänge zum Abitur/Matura. Ebenso begann die weitere Förderung der Erwachsenenbildung und die Etablierung von Weiterbildung als berufliche Weiterbildung in den Betrieben, bei Berufsverbänden, bei privaten Organisationen und tätigkeitsspezifisch als zusätzlicher Kompetenzerwerb bei allen Trägern der Erwachsenenbildung sowie an den Universitäten. Die Frage nach den Bedarfen und Bedürfnissen ist in der EB/WB die übliche Praxis, um über gesetzte Angebote und Nachfrage Programme zu gestalten. Es ist ein offener Markt. Dabei bedient man sich zunehmend Kooperationen und Vernetzungen, um auf den Markt einzuwirken. Bedarfe und Bedürfnisse sind wesentliche Faktoren für einen bildungstheoretisch zu begründenden Planungsansatz (vgl. Fleige u.a. 2022), der die Wege beschreibt und dabei Paradoxien sichtbar macht, die man durchläuft (vgl. von Hippel 2011). Ausserdem sind sie bestimmend für die sukzessiven Prozesse des Angleichungshandelns (vgl. Gieseke 2003) bis hin zu den zu entwickelnden Angeboten.
Zwar ist international die individuelle Selbstverpflichtung zum lebenslangen Lernen in allen europäischen und transnationalen Gremien verkündet, unklar ist aber, bei welchen Institutionen, Organisationen und Trägern dies warum und wie legitimiert ist. Die Frage nach den Bildungsbedarfen und -bedürfnissen wird im Planungsmodus der jeweiligen Institutionen/Organisationen immer wieder neu gestellt und ausgerichtet. Gegenwärtig scheinen sich Autonomiefragen in der EB/WB – gerade auch was die Auslegung von Bedarfen und Bedürfnissen betrifft – zu stellen (Alke/Grass 2019), beginnend bei der Frage, unter welchen bildungspolitischen Bedingungen die Weiterbildung die grössten Entwicklungschancen hat (vgl. Martin & Rübner 2017). Die Untersuchung verweist darauf, dass dort, wo sozial- und bildungspolitisch aktive Weiterbildungspolitik stattfindet, die breitesten Initiativen erfolgen.
Differente Interessen der Disziplinen
Verschiedene Disziplinen beschäftigen sich mit Bedarfen und Bedürfnissen und verweisen auf spezifische, jeweilig disziplinäre Fragestellungen. Grob unterschieden wird zwischen Bedürfnissen, die auf Wünsche verweisen, und Bedarfen, die eher auf Notwendigkeiten verweisen. Viele kennen die Maslow’sche Bedürfnispyramide oder auch die 16 Grundbedürfnisse nach Reiss. Bildung taucht hierbei aber nur indirekt auf, so nach Maslow evtl. bei Selbstverwirklichung oder Anerkennung, vielleicht auch in Bezug auf Sicherheit. In anderen Darstellungen könnte man Übergänge zu Bildung herstellen wie bei Begriffen der Beziehungen, des Idealismus, der Neugier, vielleicht auch in Bezug auf Unabhängigkeit und Status. Aber als ein grundständiges Bedürfnis wird Bildung nicht eingeordnet. Dies erscheint spätestens seit der Industrialisierung anachronistisch, da seit dieser Zeit nicht Bedürfnisse generell, sondern Bildungsbedarfe und -bedürfnisse mit dem technologischen, tätigkeitsbezogenen und gesellschaftlichen Wandel sowie mit dem Streben nach Demokratie zugenommen haben. Was die berufliche Weiterbildung und die Erwachsenenbildung im Allgemeinen betrifft, gibt es seitdem organisatorische Initiativen, die jeweils auch Interessen aufgreifen.
Wirtschaftswissenschaftliche Analysen beschäftigen sich mit der Kaufkraft der Bürger, die für Bildung bezahlen wollen. Wirtschaftswissenschaftlich betrachtet interessieren Bedarfe und Bedürfnisse also aus der Perspektive der Kaufkraft. Sie sind zwar irgendwie auch an sich vorhanden, aber um sie im Sinne der Kaufkraft zu aktivieren, übernimmt Marketing die Aufgabe, das Kaufinteresse zu wecken oder zumindest anzuregen. Betriebswirtschaftliche Fragestellungen beschäftigen sich mit den Kostensenkungen z.B. der betrieblichen Weiterbildung durch andere Träger, aber auch mit der Nachfrage nach bestimmten fachlichen Qualifikationsprofilen bei anderen Trägern. Psychologische Betrachtungen interessieren sich für individuelle Interessen und Bedürfnisse aus der Sicht der individuellen Entwicklung der Person, die – was Lernen betrifft – zur Motivationsfrage wird. Bildungstheoretischen Fragestellungen geht es um die individuellen Entwicklungschancen, wobei es in der nachschulischen Entwicklung dabei auch um Anpassung an Berufsanforderungen, um individuelle Qualifikationsinteressen und Anforderungen im alltäglichen Lebenshandeln geht. Somit spielen auch Aufstiegsfragen eine Rolle und es wird immer dort interessant, wo es biographisch bedingt um einen Berufswiedereinstieg oder einen Berufswechsel geht. Milieugebundenheit, gesellschaftliche und politische Strömungen spielen hinein.
Bedarfe und Bedürfnisse – was EB/WB im lebenslangen Lernen betrifft – verweisen bereits durch diesen bildungstheoretischen Ausgangspunkt auf ihre unbestimmten und immer neu zu bestimmenden Herausforderungen. Neben demokratisierenden Ansprüchen – was Bildungspartizipation betrifft – sind sie abhängig von der wissenschaftlichen Wissensentwicklung auf allen Gebieten und den tätigkeitsbezogenen und allgemeinen Lebensanforderungen in sich verändernden und pluralen Welten. Darin eingelassen sind die expliziten oder impliziten Vorstellungen vom lernenden Erwachsenen und ihren Potenzialen. Allein eine Nachfrage, ein Interesse und eine Lust auf Lernen korrespondieren mit den eigenen Bildungserfahrungen während der bisherigen Lebensspanne. Einfluss haben aber ebenso neue Erfahrungen und neue Herausforderungen positiver wie negativer Art. Lernen heisst somit immer, eine Brücke für die Bevölkerung, die eigene Position zu finden und erweiterte Bildungsinteressen unter sich verändernden Bedingungen auszubilden, denn letztlich entscheidet der Bildungsstand der Gesamtbevölkerung nicht nur über die Forschungsentwicklung, die berufliche Entwicklung, die Ausdifferenzierung und ein breiteres Programplanungshandeln in den Organisationen, sondern auch über die demokratische Entwicklung von sich herkunftsmässig pluralisierenden Gesellschaften. Mit anderen Worten: Wenn man Bedarfe und Bedürfnisse – was Bildung und Qualifizierung betrifft – identifizieren und interpretieren will, müssen verschiedenste Einflussgrössen berücksichtigt werden. Programmplanende mit relativer Autonomie haben in der Regel alle Einflussgrössen im Blick, betonen aber unter ihnen nur bestimmte, und zwar diejenigen, die für die Akteure massgeblich sind.
Spezifik von Bildungsbedarfen und -bedürfnissen aus pädagogisch planender Sicht
Bedarfe und Bedürfnisse sind im flexiblen Planungsmodell nur eine Planungskategorie neben anderen Gesichtspunkten, die als Wissensinseln bezeichnet werden, da sie getrennt bearbeitet werden können und nicht linear mit anderen verbunden werden. Planende haben auskunftsfähig zu sein, warum und wie es zu Angeboten und eben den jeweiligen Bündelungen in Programmen kommt. Die Frage der Bedarfe und Bedürfnisse stellt darin nur einen Aspekt, eine Wissensinsel für die Planenden dar (vgl. Gieseke 2003, erweitert und überarbeitet vgl. Fleige u.a. 2022). Dabei stellt sich die Herausforderung, dass Bedarfe und Bedürfnisse immer einem Wechsel unterliegen. Sie können mit Reckwitz und Rosa – bei aller Differenz der Autoren – durchgehend in beiden Texten als ein «doing kulturell-soziales» eingeordnet werden (vgl. Reckwitz & Rosa 2021). Bildungsfragen werden allerdings auch in diesen soziologischen Analysen übergangen oder scheinen eingebunden zu sein und damit nicht sichtbar zu werden. Ein Beispiel dafür, dass die Bildungsforschung auf Prozesse – auch gerade bei der Genese und Weiterentwicklung von individuellen Bildungsinteressen/Bildungsbedürfnissen – einzugehen hat, zeigt eine Arbeit von Grotlüschen aus dem Jahre 2010. Leicht nachvollziehbar ist, dass der Mensch nicht dadurch festgelegt werden kann, was er bildungsmässig vermeintlich zu sein scheint. Grotlüschen spricht von Korridoren, die in der jeweiligen Biographie unterschiedlich wirken. Eine permanente Entwicklung ist möglich, wenn diese auch nicht generell von allen individuell verfolgt wird oder auch durch Umstände behindert ist. Interesse «entsteht selbstbestimmt – jedoch nicht von selbst» (vgl. Grotlüschen 2010, 289). Sie beschreibt die individuell erweiterten Interessensgenesen eben auch als Prozesse, die Veränderungen unterliegen und angeregt werden können. Ja, lebenslanges Lernen lebt davon, dass Anregungen und Aufforderungen im Lebenslauf möglich sind.
Bildungsbedarfe und -bedürfnisse werden selten aufgefächert. Wenn man unterscheiden will, dann kann man Bildungsbedarfe beschreiben als gesellschaftliche, sozial einzufordernde Bildungsbedarfe, die sich an alle oder bestimmte Gruppen in ihrem Tätigkeits- und Lebensumfeld richten. Bedürfnisse werden hingegen eher subjektiv ausgelegt und wechseln entsprechend der Lebenslage. Sie können sich aber zu Bildungsbedarfen auswachsen und umgekehrt können sich Bedarfe zu subjektiven Bedürfnissen transformieren. Der Prozesscharakter spielt hier eine grosse Rolle. Es beginnen transformative Zusammenhänge zwischen gesellschaftlichen Bedarfen und individuellen Bildungsbedürfnissen in etwa so: «1. Das Individuum betrachtet Bedarfe im Betrieb, bezogen auf eigene Handlungsanforderungen. 2. Das Individuum betrachtet Kompetenzanforderungen, die es an sich selbst richtet, für sich selbst, aber bezogen auf den Betrieb. 3. Das Individuum betrachtet generell Bildung, Qualifikationen und Kompetenzerwerb aus der Perspektive subjektiver Entfaltung» (Gieseke 2018, S. 30).
In der Erwachsenenbildungsforschung wird das Verhältnis zwischen Bedarfen und Bedürfnissen ausgelotet. Es gibt gesellschaftliche Bedarfe, die gegenwärtig wachsen. Sie verweisen auf notwendiges Wissen, Qualifikationen und Kompetenzen, die von der EB/WB zu identifizieren sind. Daneben gibt es subjektive Bildungsbedürfnisse, die auf aufzunehmende, individuelle Interessen verweisen und in der EB/WB einen Raum erhalten. Für das Planungshandeln vor diesem Hintergrund spricht man vom seismographischen Erfassen. Auch diese Prozesse verweisen indirekt auf gesellschaftliche und individuelle Veränderungen, was Bildungsbedarfe und -bedürfnisse betrifft. In jeder Disziplin ist deshalb klar, dass Bedarfe und Bedürfnisse schwerlich im Allgemeinen erhoben werden können, sondern bereits durch die fachspezifische Fragestellung eine Ausrichtung erfolgt. Aber auch dann bedürfen die Befunde einer Interpretation und es stehen entsprechende Entscheidungen der Programmplanenden an, bevor daraus ein Angebot wird und dies Eingang in ein Programm findet. Für die Bildungsarbeit kann es unter vorausschauender Planung nicht um eine lineare Umsetzung von Befunden gehen. Man hat bei einem zukunftsorientierten Planungshandeln – bei wechselwirkenden Bedingungen mit professionellem Anspruch – nachfrageorientiert vorzugehen und ebenso professionell gestützte Angebotsentwicklungen als Erprobungsmöglichkeiten bereit zu halten. Dieses Vorgehen ist dann ausserdem bildungstheoretisch zu begründen. Bildungstheoretisch interessiert man sich dafür, Bildungsanregungen und Qualifizierungsvorschläge zu unterbreiten und nicht allein auf Befragungen aus regionaler oder überregionaler Perspektive zu vertrauen.
Was im Besonderen die betriebliche Weiterbildung betrifft, unterscheiden sich die Betriebe. Betriebsintern werden Bedarfe im Sinne von Vorschlägen und Anfragen aufgegriffen. Entscheidungen werden dann im Ausgleichen zwischen verschiedenen Interessen im Unternehmen gesucht (vgl. Heuer 2010, Röbel 2017, von Hippel/Röbel 2016). Anzumerken ist dabei aber: Auch wenn quantitative Befunde vorliegen, bedarf es der Interpretation mit einer Entscheidungsausrichtung; nicht zuletzt auch darüber, welche Mitarbeitergruppen man vor allem mit Bildung/Qualifikation und Kompetenzen (BQK) versorgt bzw. bedient. Bildungstheoretisch wäre für zukünftige Untersuchungen interessant, welche Entscheidungswege wie gewählt werden und welche relative Autonomie die Bildungsorganisationen oder besser die jeweiligen Fachbereiche bzw. Arbeitsbereiche haben, um professionell handeln zu können (vgl. Alke und Grass 2019, Alke und Jütte 2018, Fleige u.a. Kapitel 8, 2022). Beim reagierenden Erschliessen z.B. der Volkshochschulen durch die Programmplanenden haben wir es nach der Befragung von Experten vor Ort mit differenten Gruppen – was Bedarfe und Bedürfnisse betrifft – zu tun. Begründungskontexte liegen sowohl auf regionaler, institutionsbezogener und programmbereichsspezifischer Ebene. Es bilden sich hybride Strukturen, die inhaltlich angeregt oder finanziell notwendig sind und aus den verschiedensten Richtungen kommen, wobei marktwirtschaftlich veranlasste Selbststeuerung – was Finanzierungsquellen betrifft – auf allen Arbeitsebenen vorgenommen werden (vgl. Gieseke/Stimm/Schmidt in Fleige u.a. 2022). Auch Umfeldanalysen zeigen dabei Perspektiven auf, wie Bedarfsanalysen neben Befragungen breiter unterstützt werden könnten (vgl. Hinz u.a. 2014 S. 95, vgl. Fleige u.a. 2018).
Bildungswissenschaftlich betrachtet, ist das Verständnis von Bedarf und Bedürfnis auch im Spannungsverhältnis ihrer transformativen Bedeutung und unter den Bedingungen von individuellem, lebenslangem Lernen neu zu definieren und neu auf der Ebene von Grund- und Existenzbedürfnissen eines jeden Menschen einzuordnen.
Vorgehensweisen zur Erschliessung von Bildungsbedarfen und -bedürfnissen
Alle Aktivitäten werden als seismographisches Handeln interpretiert. Je nach Institution/Organisation wird spezifisch vorgegangen, man…
- schaut auf ähnliche Institutionen/Organisationen und holt sich dort Anregungen,
- nimmt Vorschläge von Teilnehmenden und Dozierenden auf,
- wertet Informationen und Medien aus, was bildungs- und kultur- sowie gesellschaftspolitische Diskurse betrifft,
- spricht mit verschiedenen Gruppen und Betrieben etc. im regionalen öffentlichen Raum,
- setzt selber Angebote im Sinne von Probeläufen ein und prüft die Nachfrage und/oder regt sie an,
- geht auf aktuelle regionale Anforderungen im Sinne von Veränderungen und Problemlagen spezifisch ein,
- schafft fachspezifische und/oder nachbarschaftliche Kooperationsräume,
- geht auf Vernetzungsangebote ein bei der Prüfung institutioneller, professioneller Autonomie,
- geht auf technologische Veränderungen mit spezifischen Angeboten ein,
- reagiert mit Wissensinput und Diskussionsforen auf neue gesamtgesellschaftliche Herausforderungen.
Ein spezieller Forschungsansatz und ein Beispiel
Am Beispiel der wissenschaftlichen Weiterbildung lassen sich verschiedene Ergebnisse zusammentragen. Besonders die Schweizer Arbeiten zur Wahrung der Autonomie der Universitäten und Hochschulen ist für die wissenschaftliche Weiterbildung von Interesse. Diese Weiterbildung bietet genau das an, wofür die Universitäten und Hochschulen zuständig sind, nämlich für Forschungsbefunde zu bestimmten Fächern oder was die Fachhochschulen betrifft für bestimmte Berufe (vgl. Zimmermann 2020). Im Sinne einer potenziellen Aufstiegsfortbildung spielt wissenschaftliche Fortbildung in Verbundprojekten in Hessen eine Rolle. Es geht um den Aufbau wissenschaftlicher Weiterbildung mit Dienstleistungsstruktur und Kundenansprache, wobei es nicht um die Individuen, sondern um Betriebe geht. Unterschieden wird auch nicht theoretisch zwischen Bedarfen und Bedürfnissen, Bedarfe werden sowohl institutionell wie individuell verstanden. Interessant ist aber, dass die Betriebe differieren, was ihre Hauptinteressen an wissenschaftlicher Weiterbildung im Sinne eines Kooperationsmodus und der Nutzung eines Zielgruppenansatzes angeht (vgl. Seitter & Kahl 2018).
Besonders herausfordernd ist nun laut Einzelstudien (vgl. Denniger u.a. 2018), dass die Kooperationen auf institutioneller Ebene – was Bedarfserarbeitung und Weiterbearbeitung betrifft – spezielle Kooperationsanforderungen erkennen lassen. Dabei zeigen sich die unterschiedlichen Kulturen der Organisationen zwischen Unternehmen in der Industrie, dem sozialen Feld und dem Gesundheitsbereich, was den gewünschten Kooperationsmodus betrifft. Von Seiten der Unternehmen wird deutlicher eine Anbindung an Unternehmensziele bzw. -bedarfe erwartet. Den sozialen Unternehmen geht es um inhaltlichen, kooperativen Austausch und für den Gesundheitsbereich trifft eher das inhaltlich berufsgruppenspezifische Interesse zu. Hochschulbezogene Möglichkeiten zeigen sich besonders in neuen Wissensinputs, die für das jeweilige Professionelle von Bedeutung sein könnten. Für Unternehmen scheint es, wenn man die universitäre Weiterbildung nutzen will, eine Herausforderung zu sein, diese weitreichende Autonomie der Hochschulen als Potenzial zu sehen. Die Autoren stellen aber eher eine Notwendigkeit in der Hinsicht fest, dass die Hochschulen ihr eigenes Kooperationsmanagement genau zu überdenken haben (vgl. Denninger u.a. 2018, S. 28 ff.). Im Beitrag von Denninger 2020 zur Bedarfstransformation wird nachvollziehbar, dass das Entscheidende zu sein scheint, den individuellen Bedarfserhebungen und den Bildungsbedürfnissen neben der Bedarfsinterpretation der Organisatoren Beachtung zu schenken und demokratischere Planungsverläufe im Prozess der Bedarfserschliessung zu beachten. Die Autorin bringt hier noch deutlicher ein, dass – angelehnt an Sork – «Programme, die auf Bedarfen basieren, die von den Lernenden selbst identifiziert werden […] attraktiver für Lernende als Programme [sind,] die auf Bedarfen basieren, die durch andere identifiziert werden» (Denniger 2020, S. 56). Dabei findet die Schnittfläche zwischen individuellen Bedürfnissen und betrieblichen Bedarfen Beachtung.
Es geht also bei dem Einstieg ins Planungshandeln über Bedarfe und Bedürfnisse immer um Macht und Interessenskonflikte, die durch Antinomien und Paradoxien gezeichnet sind (von Hippel 2011). Wenn aber der Prozess nicht abgebrochen wird, geht es um Angleichungshandeln. Schon im Prozess der Bedarfs- bzw. Bedürfniserhebung können durch sukzessive, institutionelle und individuelle Abstimmungen und durch Forschung Perspektivenverschränkungen in ihrer wechselwirkenden Bedeutung – wenn es um organisatorische und individuelle Interessen geht – nachvollzogen werden (vgl. Robak 2022). Bildungstheoretische Ansätze auf der institutionellen Ebene, auf der Partizipationsebene, aber besonders auf der planenden Mesoebene zeigen, dass keineswegs interessenfrei oder bildungstheoretisch die Gesamtbevölkerung im Blick habend auf gesellschaftlicher Ebene reagiert wird, sondern dass Interessendivergenzen hineinwirken. Solche Divergenzen entstehen entweder aus einem sich ausdehnenden Dienstleistungsgedanken – aber mit Steuerungsinteressen der nachfragenden Organisationen, deren finanzielle Investition die betriebswirtschaftliche Basis von Weiterbildungsorganisationen erweitert –, oder sind grundständig, da der Staat die selbstgeschaffenen Spielräume für die teilöffentlich finanzierten Institutionen einschränkt und mehr Effizienz über neue Vernetzungsstrukturen erwartet. Die betriebswirtschaftliche Perspektive nötigt dazu, auch in öffentlichen Bildungsinstitutionen wie bei Volkshochschulen in Deutschland (vgl. Fleige u.a. 2022).
Beispiel: Akademie zur kulturellen Bildung
An dem Beispiel einer Akademie zur kulturellen Bildung kann ein zusätzlicher Weg gezeigt werden, wie wissenschaftliche, künstlerische Weiterbildung und daran gebundene tätigkeitsbezogene Anforderungen – hier am Beispiel von Kunstschaffenden – in inhaltlich relevante institutionelle Kontexte (so z.B. Museen, Bildungsinstitutionen) eingebunden werden (vgl. Robak u.a. 2022). Die Bedarfs- und Bedürfniserhebung wird gesteuert durch den Impuls, das breite Arbeitsfeld Kunst und Kultur jeweils zu bedienen, indem sowohl der inhaltliche Fachbezug durch die Planenden inhaltsspezifisch angesprochen wird (z.B. Literatur, Musik etc.) als auch der Handlungsbezug ergänzt wird (z.B. mit Verlagen Kontakt aufnehmen, universitäre Angebote machen, Chorleiterausbildung mit Zertifikat anbieten etc.) und fachliche sowie organisatorische Anforderungen (z.B. in Museen) begleitet werden. Ausserdem finden Suchbewegungen im Sinne seismographischer Offenheit statt, um neue Entwicklungen für das jeweilige, inhaltliche Themenfeld aufzugreifen. Der/die sich künstlerisch Weiterbildende findet also hier bezogen auf die jeweiligen Handlungsfelder – umfassender als allein fachbezogen – eine auch qualifizierende, kompetenzenerwerbende Unterstützung. In einer perspektivverschränkenden bildungswissenschaftlichen Betrachtung werden sowohl Schritte der Bedarfs- und Bedürfniserhebungen, der weiteren Nutzung von Wissensinseln im Planungshandeln und der spezifischen Lernkultur des Bildungshauses als auch das gesamte Programm, das Programmplanungshandeln und die Teilnehmer-/innenstruktur analysiert. Dabei bleiben die Ausgangspunkte generell die Bedürfnisse und Bedarfe des künstlerischen Selbst (vgl. Robak u.a. 2022).
Vernetzungen und Kooperationen sind danach also jeweils auf ihren Bedarfs- und/oder bedürfnisspezifischen Ansatz zu prüfen, um den Individuen eine ausdifferenzierte Entwicklungschance zu bieten.
Abschliessend
All dies macht deutlich, wie wichtig der Ausbau einer bildungswissenschaftlichen Perspektive auf das Thema der Bedarfe und Bedürfnisse als erwachsenenbildungsgenuines Thema ist, um sichtbar zu machen, dass Bildung heute vielleicht mehr als je zuvor als universalistisch geltendes, tiefmenschliches Bedürfnis anerkannt werden muss. Genauso wird aus bildungstheoretischer Sicht deutlich, wie wichtig und gleichzeitig anspruchsvoll die Bereitstellung von Bildungsangeboten ist – und zwar nicht nur in Reaktion auf die erhobene Nachfrage, sondern auch als Anregung und Impuls.
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Prof. Dr. Wiltrud Gieseke, Humboldt-Universität zu Berlin, z.Z. dort Lehrbeauftragte, zuvor dort bis September 2021 Seniorprofessorin für Erwachsenenbildung/Weiterbildung. Kontakt: wiltrud.gieseke@cms.hu-berlin.de